# taz.de -- Energie: „Sympathische Forderungen“ | |
> Ein kommunales Stadtwerk kann einen Beitrag zum sozialen und ökologischen | |
> Wandel Berlins leisten, sagt der Energieforscher Matthias Naumann. | |
Bild: Am 3. November hat Berlin die Wahl | |
taz: Herr Naumann, der anstehende Volksentscheid über ein landeseigenes | |
Stadtwerk macht Sie zu einem glücklichen Wissenschaftler – oder? | |
Matthias Naumann: Warum? | |
Sie erforschen „lokale energiepolitische Konflikte“. Da ist die Debatte in | |
Berlin doch wie gemacht für Sie. | |
Ja, das ist wirklich ein ganz aktuelles Beispiel für das, was wir | |
untersuchen: Wie ringen verschiedene Akteure um die Ausrichtung der | |
Energieversorgung, und wer setzt sich am Ende durch? Der Volksentscheid hat | |
da drei Dimensionen. | |
Welche? | |
Erstens die grundsätzliche Frage, wer städtische Infrastrukturen betreiben | |
soll. Seit den 1990ern galten private Unternehmen als Garanten für eine | |
preiswerte und qualitativ hochwertige Versorgung. Diese These hat in den | |
letzten Jahren jedoch stark an Überzeugungskraft verloren, wie viele | |
gescheiterte Privatisierungen weltweit belegen. Wie beim Wasser fragt sich | |
Berlin jetzt bei der Energieversorgung, ob ein Betrieb durch Vattenfall der | |
Weisheit letzter Schluss ist. Zweitens geht es um die Umsetzung der | |
Energiewende auf lokaler Ebene. Ist dafür Vattenfall mit seiner bisherigen | |
Ausrichtung der richtige Partner? Drittens geht es um Partizipation und | |
Teilhabe der Bürger, sowohl an energiepolitischen Entscheidungen als auch | |
an den wirtschaftlichen Erträgen. | |
Der Energietisch will, dass ein Stadtwerk alles besser macht als | |
Vattenfall. Ist das realistisch? | |
Das kommt darauf an, ob ein Stadtwerk wirklich anders agiert. Wenn es | |
Gemeinwohlziele in seinem Verständnis und seiner Praxis verankert, dann | |
kann es natürlich einen Beitrag zur sozialen und ökologischen | |
Transformation der Stadt leisten. | |
Welche Rolle spielt dabei das Stromnetz? | |
Der Rückkauf kostet viel Geld, aber der Betrieb bringt wiederum Einnahmen. | |
Wie dieses Geld verwendet wird, darauf kommt es an. Ähnlich dem | |
Schienenverkehr ist das Netz bei der Stromversorgung von hoher | |
strategischer Bedeutung. Die künftige Gestaltung gibt vor, welche Formen | |
der Stromerzeugung technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv sind. | |
Wenn das Land Berlin die Energieversorgung stärker selbst gestalten möchte, | |
gehört das Netz notwendigerweise dazu. | |
Aber am Hebel für die Energieversorgung sitzen doch jetzt schon die Bürger: | |
sie können einfach und wirkungsvoll zu einem Ökostromanbieter wechseln. | |
Ja, aber ein Stadtwerk kann gegenüber einem solchen Anbieter einen | |
entscheidenden Vorteil haben: demokratische Kontrolle durch die Verbraucher | |
ist auch dann möglich, wenn sie keine Anteile oder Aktien am Unternehmen | |
erworben haben. Gemeinwohlziele können stärker Berücksichtigung finden. | |
Was soll das konkret heißen: Gemeinwohlziele? | |
Ich verstehe darunter Ziele, die über die Aufgabe hinausgehen, eine | |
zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten. Das reicht von | |
sozialverträglichen Preisen und Gebühren über umweltpolitische Ziele des | |
Klimaschutzes bis hin zu fairen Arbeitsbedingungen. Ob rekommunalisierte | |
Stadtwerke all diese Ziele besser erfüllen können, das untersuchen wir | |
allerdings gerade erst. Generell versuchen natürlich viele Akteure, ihre | |
jeweiligen Interessen durch einen Bezug auf das Gemeinwohl zu legitimieren. | |
Der Energietisch nennt seinen Gesetzentwurf „ökologisch, sozial und | |
demokratisch“. Was halten Sie davon? | |
Da stehen sehr sympathische Forderungen drin. Aber es gilt genauer zu | |
bestimmen, wie all das in die Praxis umgesetzt werden kann: Lassen sich | |
soziale Ziele und Demokratisierung im Unternehmensalltag realisieren? Sind | |
faire Preise mit Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten und | |
anständigen Löhnen zu vereinbaren? Wie werden die Bürger kontinuierlich an | |
energiepolitischen Entscheidungen beteiligt? | |
Was denken Sie? | |
Auf all diese Fragen gibt es keine allgemeingültigen Antworten, sie müssen | |
immer wieder neu diskutiert werden. Aber die Debatten sind auf jeden Fall | |
produktiv: sie tragen dazu bei, den Energiesektor zu repolitisieren. Das | |
ist dringend nötig. | |
Warum? | |
Weil wir an einer zeitlichen Weiche stehen. Ursprünglich wurde die | |
Energiewende damit begründet, dass viele kleine Produzenten in kleinen | |
Kraftwerken Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugen. Der Markt | |
sollte demokratisiert werden, das galt für viele als attraktiv. Aber neben | |
steigenden Energiepreisen prägen mittlerweile große Wind- und Biogasanlagen | |
vor allem in Ostdeutschland die Debatte. Hinter den Anlagen stehen große, | |
teils institutionelle Investoren, die von vielen Bürgern als egoistisch | |
wahrgenommen werden. | |
Was hat das mit dem Volksentscheid in Berlin zu tun? | |
Viele solcher großen Anlagen zu bauen, das ist für die bisherigen vier | |
bestimmenden Energiekonzerne in Deutschland kein Problem. Aber die | |
Herausforderungen der Energiewende sind komplexer. Es geht darum, den | |
Verbrauch entscheidend zu reduzieren und Energie anders zu nutzen: | |
effizienter, intelligenter. Dafür braucht es andere Energieversorger als | |
Partner: sie müssen in etwas investieren, das ihre eigenen Abnahmemengen | |
reduziert! Und dafür müssen sie der Energiewende und dem Gemeinwohl | |
verpflichtet sein und nicht den Interessen ihrer Aktionäre. Um diese Frage | |
geht es auch beim Volksentscheid in Berlin. | |
Matthias Naumann, 37, ist Geograph und forscht am Leibniz-Institut für | |
Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Mehrere Projekte | |
dort untersuchen den regionalen und institutionellen Wandel von | |
Energiesystemen. Internet: [1][www.irs-net.de/enerlog] | |
[2][http://www.irs-net.de/forschung/forschungsabteilung-2/EnerLOG/index.php | |
] | |
23 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.irs-net.de/forschung/forschungsabteilung-2/EnerLOG/index.php | |
[2] http://www.irs-net.de/forschung/forschungsabteilung-2/EnerLOG/index.php | |
## AUTOREN | |
Sebastian Puschner | |
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