# taz.de -- Tötung von Küken: Brüder, zur Sonne, zum Kochtopf | |
> 100.000 männliche Küken werden hierzulande täglich getötet – mit Gas od… | |
> durch Schreddern. Einige Biohöfe machen das nicht mehr mit. | |
Bild: Mädchen oder Junge? Leben oder Tod? | |
BERLIN taz | Der Plastikbehälter ist grau. Der für die Tötung zuständige | |
Mitarbeiter trägt einen weißen Arztkittel. Die Küken sind gelb wie die | |
Sonne. Der Mitarbeiter nimmt den Deckel des Behälters ab, durch den über | |
einen Schlauch das Kohlendioxid hineingeleitet wird. Einige Küken bewegen | |
sich noch, es muss „nachgegast“ werden, wie die Fachleute sagen. | |
Aus einer zweiten Box kippt der Mann im Arztkittel noch einige Küken dazu – | |
als würde er Wasser ausgießen. Schließlich befestigt er den Deckel, das | |
tödliche Gas kann einströmen. Die ganz unten in der Box liegenden Tiere | |
würden vermutlich auch so ersticken. | |
Am Ende liegt eine gelbe Masse bewegungslos in dem Behälter, ein Heer | |
offener Schnäbel. Der rationelle Kükentod als fester Bestandteil der | |
heutigen Hühner- und Eierproduktion. Im Netz kann man sich per Video | |
ansehen, wie die Tiere vernichtet werden. | |
Weil Hähne keine Eier legen, werden die männlichen Küken in den | |
Legehennen-Brütereien aussortiert und kurz nach dem Schlüpfen getötet. Als | |
Masthähnchen taugen sie nicht. Ihr Brustmuskel ist zu klein. | |
## Endstation Plastikbox | |
Und vor allem fehlen ihnen die Gene der schnell wachsenden Fleischrassen, | |
die in der industriellen Massentierhaltung in 35 Tagen ihr Schlachtgewicht | |
erreichen. Also Endstation Plastikbox. | |
Manche Betriebe benutzen auch einen Schredder oder „Kükenvermuser“. Die | |
Kadaver kommen anschließend in die Tierkörperbeseitigungsanstalt, ihre | |
Asche landet im Straßenbau. Nur ein kleiner Teil der toten Küken wird von | |
Zoos und Tierhandlungen als Futter abgenommen. | |
Biobauer Carsten Bauck aus Klein Süstedt bei Uelzen hat diese Barbarei nie | |
in Ruhe gelassen: „Warum haben wir das alles so lange mitgemacht?“ Seit | |
Beginn dieses Jahres macht Bauck nicht mehr mit. Er ist zum Lebensretter | |
für Eintagsküken geworden; und er träumt davon, langfristig die gesamte | |
Geflügelbranche aufzumischen: „Die hat sich mit ihrer sturen Leistungszucht | |
komplett verrannt“, sagt er. Deshalb hat er die Bruderhahn-Initiative | |
Deutschland angeschoben. | |
Zwölf Biohöfe, die sich bisher an der Initiative beteiligen – zehn weitere | |
stehen in den Startlöchern –, ziehen parallel zu jeder Legehenne auch ein | |
männliches Küken groß. Ab der fünften Woche werden sie getrennt. Die Hennen | |
kommen in die Eierproduktion, „die Jungs“ (Bauck) werden in | |
Biofreilandhaltung gut 20 Wochen lang gemästet. Eigentlich wäre diese lange | |
Mastdauer ruinös. Doch weil die Eier der Schwestern um vier Cent teurer | |
verkauft werden, erhalten die Brüder eine Quersubvention. Dann können sie | |
zum üblichen Preis eines Demeter-Hähnchens von 16,50 Euro je Kilo verkauft | |
werden. | |
## Nische in der Nische | |
Kann solch ein Geschäftsmodell funktionieren? Ein ethisch motiviertes | |
Spezialprojekt innerhalb des Biosektors, also eine Nische in der Nische? | |
Zehn Monate nach dem Start ist zumindest die Eiernachfrage größer als der | |
Nachschub. „Wir könnten 20 Prozent mehr verkaufen“, sagen die Initiatoren. | |
Der kleine Aufpreis für den ethischen Mehrwert wird offenbar gern bezahlt. | |
Beim Absatz der Hähnchen gibt’s dagegen noch Luft nach oben, aber | |
inzwischen hat die Initiative eine neue unverhoffte Vermarktungsstrategie | |
entdeckt: die Spitzengastronomie. Die Bruderhähne entwickeln nämlich durch | |
die langsame Mast eine grandiose Fleischqualität und sind einem „normalen“ | |
Hähnchen in puncto Geschmack und Konsistenz weit überlegen. Die ersten | |
Gastronomen haben das kapiert und greifen zu. Hagen Schäfer, Mitbesitzer im | |
Hamburger Restaurant Lokal 1, serviert seinen Gästen neuerdings neben | |
„Sportlersalat“ und „der besten Currywurst der Stadt“ auch „Coq au Vi… | |
Bruderhahn“. | |
Schäfer kommt sofort ins Schwärmen: „Rohdiamanten“ seien diese Tiere, sie | |
schmeckten wie früher vom Bauern. Das Fleisch sei dunkler und fester und | |
entwickle beinahe ein wenig Wildgeschmack. Das Restaurant klärt die Gäste | |
genau über die Herkunft der Tiere auf und bekommt ständig Applaus. „Ich | |
hoffe, die wissen, was sie da für ein großartiges Produkt erzeugen“, sagt | |
Schäfer in Richtung Bruderinitiative. | |
Die hat im Moment andere Sorgen. Durch Funkenflug beim Schweißen ist Baucks | |
eigene Schlachterei Ende September komplett abgebrannt. Jetzt müssen die | |
Bruderhähne in fremde Schlachthöfe gefahren werden. Solche Transporte, die | |
den Tieren Stress machen, wollte Bauck eigentlich vermeiden und auch auf | |
diesem Sektor Maßstäbe setzen. Ebenso beim Arzneimitteleinsatz: Für die | |
Bruderhähne wird 100-prozentige Antibiotika-Freiheit garantiert, damit hat | |
man die Regeln der Bioverbände Demeter und Bioland noch einmal heftig | |
verschärft. Der komplette Verzicht auf Arzneikuren wird durch das langsame | |
Wachstum erleichtert. Während normale Turbo-Masthähnchen schnell krank | |
werden, sind die genügsamen Legehennenbrüder robuster, so Bauck, und leicht | |
aufzuziehen. | |
## Ethik-Chicken für Babys | |
Der Verzicht auf Arzneimittel macht die Hähne für Babykosthersteller | |
attraktiv. Die Schweizer Holle baby food GmbH ist als Projektpartner bei | |
der Bruderhahn-Initiative eingestiegen und hat die Abnahme größerer | |
Fleischmengen vertraglich garantiert. | |
Ab Februar 2014 sollen die ersten Gläschen in den Regalen stehen. | |
Holle-Chef Udo Fischer zur taz: „Die Bruderhahn-Initiative setzt neue | |
Standards, sie zeigt, dass Tierhaltung nach ethischen Maximen möglich ist.“ | |
Doch Carsten Bauck will mehr. Er will raus aus der doppelten Nische, er | |
will die Biohühnerhalter komplett in die Pflicht nehmen. Eigentlich müsste | |
jeder Biobetrieb, der Eier produziert, auch Hähne aufziehen. Das würden sie | |
aber nur dann tun, wenn die Kunden Druck machen. Sein Rat: „Triezt die | |
Leute, die euch Bioeier verkaufen.“ Der Biosektor, sagt Bauck, habe die | |
millionenfache Kükentötung genauso verdrängt wie alle anderen, das müsse | |
aufhören, fordert er. Bauck selbst will jedenfalls nicht locker lassen. In | |
der Bioszene sei er deshalb „etwa so beliebt wie Fußpilz“. | |
20 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
## TAGS | |
Eier | |
Hühner | |
Küken | |
Lebensmittelindustrie | |
Tierbefreier | |
Eier | |
Massentierhaltung | |
Tierhaltung | |
Nordrhein-Westfalen | |
Nahrungsmittel | |
Essen | |
Tiere | |
Bund | |
Küken | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gewalt gegen Veganer: Massentierhalter rastet aus | |
Ein Aktivist gegen Mastanlagen will eine Hühnerfarm fotografieren. Der | |
Besitzer fährt ihn daraufhin mit dem Auto an. Die Polizei ermittelt. | |
Gefälschte Ökoprodukte: Faule Eier vor Ostern | |
Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Firmen, Millionen Eier illegal als | |
Ökoware verkauft zu haben. Vermutlich ist einer der größten Biolieferanten | |
betroffen. | |
Hormonbehandlung bei Schweinen: Ferkel feiern zeitgleich Wurffest | |
Landwirte geben Sauen Präparate, um Eisprung und Geburtstermine | |
„gleichzuschalten“. Das Umweltbundesamt fürchtet Schäden für die Natur. | |
Debatte Tierhaltung: „Fleisch for fun“ | |
Die Medien entscheiden über die Art der Tierhaltung. Die Produzenten haben | |
das längst begriffen – und passen sich entsprechend an. | |
NRW ändert Hühnerzuchtbedingungen: Massentötungen werden untersagt | |
In Deutschland werden jedes Jahr rund 50 Millionen männliche Eintagsküken | |
umgebracht. NRW hat dieses Vorgehen der Züchter als erstes Bundesland | |
untersagt. | |
Ökoeier von Wiesengold: Bioeier-Baron löst Firma auf | |
Der Druck der Medien war zu groß: Ökoeierlieferant Heinrich Tiemann | |
schließt seine Firma Wiesengold. Sie war mehrfach in Tierschutzskandale | |
verwickelt. | |
Kommentar Kükentod: Schluss mit Kollateralschäden | |
Ein Gericht in Nordrhein-Westfalen hat verboten, männliche Küken zu | |
vergasen. Das ist der Ansatz für eine neue Agrarpolitik | |
Menschen und Tiere im Kampf: Viecher im Widerstand | |
Auch nette Viecher haben genug von den Zumutungen des Homo sapiens: Sie | |
schlagen, beißen, kratzen zurück – und töten. Ein Überblick. | |
BUND nimmt Pestizid-Video zurück: Bauern sind doch keine Babykiller | |
Der BUND verzichtet auf einen Clip gegen Pestizide. Darin wurden Landwirte | |
in die Nähe von Kindermördern gerückt. Nicht nur Bauern fanden das zu | |
drastisch. | |
Agrarindustrie: Ein Schlachthof wird verhindert | |
Im niedersächsischen Ahlhorn gäbe es neben einer Puten-Schlachtfabrik wohl | |
längst eine weitere Anlage für mehr als 200.000 Hähnchen – wäre nicht im | |
vorigen Herbst der Bürgermeister verstorben. | |
NRW sucht Legehennen-Küken-Lösung: Mästen statt Schreddern | |
Der Agrarminister in NRW droht, in einem Jahr die Tötung männlicher | |
Legehennen-Küken zu verbieten. Doch was wird dann aus den Tieren? |