# taz.de -- Koalitionsvertrag und Generationen: Verfrühstückte Zukunft | |
> Alte statt Junge stärken und Schwache gegen Schwache ausspielen: Darauf | |
> haben sich CDU und SPD geeinigt. Ob sie so harte Konflikte umgehen | |
> können? | |
Bild: Die Älteren kommen im Koalitionsvertrag besser weg als die Jüngeren. | |
BERLIN taz | Um 84 Euro steigt die monatliche Rente einer Ruheständlerin, | |
die drei Kinder großgezogen hat und nun für jedes Kind mehr Geld aus der | |
Rentenkasse bekommen soll. So steht es im Koalitionsvertrag von Union und | |
SPD, und das könnte in Deutschland wieder Verteilungsdebatten zum Thema | |
„Alt gegen Jung“ befeuern. | |
Doch diesmal erscheinen Bevölkerungsgruppen als Gewinner, die sonst nicht | |
auf der Sonnenseite des Lebens verortet wurden. Und das macht eine | |
Gerechtigkeitsdebatte so schwer. | |
Allein 6,5 Milliarden Euro soll die Verbesserung der Mütterrenten jährlich | |
kosten, von der Frauen profitieren, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. | |
Schätzungsweise mindestens 5 Milliarden Euro werden für die abschlagsfreie | |
Rente ab 63 Jahren für langjährig Versicherte fällig. Hinzu kommen | |
milliardenteure Anhebungen für Erwerbsgeminderte und Geringverdiener. | |
„Die Rentner fahren sehr gut mit diesem Papier“, sagt Ulrich Schneider, | |
Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes der taz. Wenn | |
man bedenke, dass etwa der Ausbau der Ganztagschulen in der Endfassung des | |
Koalitionsvertrags wegfalle, dass es keine Erhöhung des Bafögs gebe und | |
künftig vor allem die Beitragszahler die neuen Sozialleistungen stemmen | |
würden, „dann stimmt es, dass die Älteren besser wegkommen als die | |
Jüngeren“, meint Schneider. | |
## Eine Verteilungsdebatte entsteht so nicht | |
„Die Zukunft wird verfrühstückt“, bemängelt der grüne Fraktionschef Ant… | |
Hofreiter. Damit entsteht eine ungewollte Nähe zu den Wirtschaftsverbänden. | |
Die geplante „Rente mit 63“ sei ein „kapitaler Fehler“, die Mütterrent… | |
teuer, rügt auch Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen | |
Arbeitgeberverbände (BDA) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Flugs | |
rechnete Kramer die jährlichen Mehrkosten für die Mütterrente bis zum Jahre | |
2030 zusammen und kam auf die schlagzeilenträchtige Summe von 130 | |
Milliarden Euro, die über Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden | |
müssten. | |
Eine Verteilungsdebatte entsteht so aber nicht, denn die Frontlinien sind | |
komplizierter. Der Koalitionsvertrag stellt letztlich nicht nur Alt gegen | |
Jung, sondern auch Schwache gegen Schwache. Alte Frauen der Kriegs- und | |
Nachkriegsgeneration standen bisher nicht als Profiteure des Sozialstaats | |
da, auch wenn diese Ruheständlerinnen im Vergleich zu künftigen | |
Rentnergenerationen noch ein relativ gut versorgter Personenkreis sind. | |
Auch langjährig Erwerbstätige, die nicht abschlagsfrei in Rente gehen | |
können, galten eher als Verlierer im Sozialstaat, obgleich von der bereits | |
existierenden Rente für langjährig Versicherte bisher vor allem gut | |
gestellte Arbeitnehmer profitieren, denn sie kommen eher auf die | |
erforderliche Beitragszeit von 45 Jahren. | |
Schwach sind nicht nur viele Rentner, sondern auch die Beitragszahler, | |
darunter viele jüngere Arbeitnehmer, denn vor allem sie müssen die neuen | |
Lasten schultern. Ihnen bleibt keine Flucht aus den Sozialkassen. Der | |
Rentenversicherungsbeitrag wird langfristig steigen, desgleichen auch der | |
Beitrag zur Pflege und zur gesetzlichen Krankenversicherung, dessen | |
Arbeitgeberanteil eingefroren bleibt. | |
Eine am Freitag veröffentlichte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergab, | |
dass 86 Prozent der Bürger die Verbesserung der Mütterrenten begrüßen. 79 | |
Prozent bezweifeln allerdings, dass die Koalitionspläne ohne neue Schulden | |
oder Steuererhöhungen umsetzbar sind. Bei den Befragten hat sich offenbar | |
noch nicht herumgesprochen, dass die Rentenverbesserungen vor allem von den | |
Beitragszahlern geleistet werden sollen. | |
## Risikofreudige Fondsmanager | |
Insofern stimmt es, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: „Der | |
Koalitionsvertrag ist auch einer für die kleinen und fleißigen Leute.“ Die | |
„fleißigen Leute“ braucht man, denn sie zahlen die Beiträge. Die neue | |
Bundesregierung setzt dabei wie ein risikofreudiger Fondsmanager auf einen | |
auch künftig boomenden Arbeitsmarkt. | |
Wenn Arbeitgeberpräsident Kramer nun fordert, den Anstieg der Mütterrenten | |
aus Steuermitteln zu bezahlen, ist dies ein wenig heuchlerisch. Aus welchen | |
Steuern? Die Wirtschaft hätte laut aufgeschrien, wenn Steuererhöhungen für | |
Besserverdienende, Vermögende, Firmenerben, Betriebe gekommen wären – davon | |
steht auch auf Wunsch der Wirtschaft nichts mehr im Koalitionsvertrag. | |
Die üblichen Frontlinien „Reich gegen Arm“ wurden von Union und SPD damit | |
auf gespenstische Weise ignoriert. Es fehlen auch fast alle Bezüge zu | |
Hartz-IV-Empfängern oder Beschäftigungsmaßnahmen für abgehängte | |
Langzeitarbeitslose. Diese Gruppen stehen nicht mehr im Mittelpunkt des | |
politischen Interesses. Die harten Konflikte wollte man vermeiden. | |
Die Lücken im Koalitionsvertrag sind so bedeutsam wie das, was drinsteht. | |
Die Auslassungen fallen auch – günstig für die Politik – kaum auf. 52 | |
Prozent der Wähler begrüßen den Vertrag, so die Forschungsgruppe Wahlen. | |
Nur 26 Prozent sind explizit dagegen. Eine knappe Mehrheit, immerhin. Das | |
war die politische Rechnung der „GroKo“. | |
1 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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