| # taz.de -- SPD-Veranstaltung im Taunus: „Die gleiche Verantwortung wie ich“ | |
| > Vor seinem Ausraster im „heute journal“ war Sigmar Gabriel unter | |
| > Sozialdemokraten in Hofheim. Was böse hätte ausgehen können, wurde zum | |
| > Heimspiel. | |
| Bild: Alles unter Kontrolle: Gabriel unter Genossen in Hessen. | |
| HOFHEIM taz | Am Ende, die Stadthalle leert sich bereits, hat Marietta | |
| Slomka noch eine Frage. Es ist kurz vor 22 Uhr im eben noch mit mehr als | |
| 900 Menschen restlos gefüllten Saal in Hofheim im Taunus. | |
| Zuvor hatte sich Sigmar Gabriel bereits drei Stunden lang der Aufgabe | |
| gestellt, seiner Partei einen Koalitionsvertrag zu verkaufen, den manche in | |
| dieser Partei für einen Ausverkauf ihrer Seele halten. Die Mühen der Ebene, | |
| wie es heißt. Gleich am Eingang bekam Gabriel ein Flugblatt der | |
| Jungsozialisten in die Hand gedrückt. Es zeigte einen kleinen roten Fisch, | |
| der arglos in das Maul eines großen schwarzes Fisches schwimmt. | |
| Wenn es an diesem Abend um Ängste ging, dann brachte diese Zeichung sie auf | |
| den Punkt. „Regieren“, stand da noch, dürfe „nicht zum Selbstzweck“ we… | |
| Die Atmosphäre in der Halle erinnerte ein wenig an die Versammlung einer | |
| weitverzweigten Familie, deren Mitglieder alle ganz schön alt werden können | |
| – und der aufgekratzten Jugend in ihren „We Are Anonymous“-T-Shirts mit | |
| Wohlwollen begegnen. | |
| Zumal alle Beteiligten wussten oder von den hektischen Kamerateams daran | |
| erinnert wurden, dass ihnen ganz Deutschland zuschaute. Die Veranstaltung | |
| begann mit dem von Blitzlichtern begleiteten Einzug Gabriels in die Manege | |
| pünktlich um 19 Uhr. Bis zur „Tagesschau“ um 20.15 Uhr und darüber hinaus | |
| lieferten die Sozialdemokraten brav Bilder einer geschlossenen, aber | |
| streibaren Partei. | |
| ## Bedenken zerstreut | |
| Wie sich das für gute Demokraten gehört, gab es kaum Zwischenrufe, keine | |
| Pöbeleien. Im Vorprogramm redete Thorsten Schäfer-Gümbel, der als SPD-Chef | |
| in Hessen den umgekehrten Weg gewählt und in die Opposition gegangen ist – | |
| und allein deshalb an diesem Abend ein Fremdkörper bleibt, mehr noch als | |
| der junge Genosse mit dem grellroten Irokesenschnitt vorne in der dritten | |
| Reihe. | |
| Und dann Gabriel. Hier warb er nicht um Wähler, hier spach er nicht mit | |
| Journalisten, hier saß keine Kanzlerin neben ihm. Hier konnten Sigmar | |
| Gabriel und seine „lieben Genossinnen und Genossen“ so tun, als wären sie | |
| gewissermaßen unter sich. Und der Vorsitzende wusste genau, welche | |
| rhetorischen Register er zu ziehen hatte. Er würde die irrationalen Ängste | |
| auf das Niveau berechtigter Sorgen abkühlen müssen, um sie in rationale | |
| Bedenken zu verwandeln und die dann endlich zerstreuen zu können. Das | |
| gelang ihm, und es gelang ihm mit Bravour. | |
| Gabriel erinnerte die SPD an ihr biblisches Alter, sprach von „Stolz“ und | |
| „Mut“ und seiner Achtung für „die Alten in der Partei“, was die | |
| „eingesetzt“ und „gewagt“ hätten. Auch bei den Verhandlungen mit der C… | |
| habe viel auf dem Spiel gestanden: „Aber da haben wir etwas geschafft, von | |
| dem ich selbst nicht dachte, dass wir's schaffen“. | |
| Er pries die Einigungen zum Mindestlohn, bei der Bankenregulierung und die | |
| kommende „Trendwende“ in der Europapolitik, als wär's ein | |
| „sozialdemokratischer Koalitionsvertrag“, wie es auch sein Kronzeuge | |
| empfindet, der FDP-Chef Lindner: „Ruft den an, wenn ihr mir nicht glaubt!“ | |
| Im Ton blieb Gabriel dabei immer beschwörend, bisweilen einschmeichelnd und | |
| fast zärtlich weich, als redete er einem durchaus verständigen Kind ins | |
| Gewissen. | |
| ## „Sagt's nicht weiter“ | |
| Um Einvernehmen zu erzeugen, scheute er auch nicht vor komplizenhaften | |
| Vertraulichkeiten zurück. Die SPD habe erreicht, dass das „alte | |
| Rentenrecht“ wieder hergestellt sei: „Aber sagt's nicht weiter, sonst | |
| gibt's Ärger in der CDU!“ Mit dem nötigen Pathos zitierte er Willy Brandt | |
| („Politik is immer Kompromiss, aber die besten Kompromisse macht man mit | |
| der SPD“) und die Verantwortung für Deutschland und Europa. Regieren dürfe | |
| nicht zum Selbstzweck werden? „Ja, aber Nichtregieren darf auch nicht zum | |
| Selbstzweck werden!“ | |
| Er sprach fast 30 Minuten und erntete vollumfänglichen, zuletzt sogar | |
| rhythmischen Applaus. Kein Wunder, hatte er doch nur an den eigentlichen | |
| Glutkern der sozialdemokratischen Seele appelliert. Das System | |
| mitgestalten, Verantwortung übernehmen, nicht das Vaterland verraten. 47 | |
| Wortmeldungen gab es an diesem Abend, ein Querschnitt durch die Volkpartei, | |
| vom 18-Jährigen bis zur 80-Jährigen. | |
| Die Äußerungen waren überwiegend bekenntnishaft, nur vereinzelt wurde | |
| kritisiert. Was ist mit der Maut? Was ist mit dem Adoptionsrecht für | |
| homosexuelle Paare? Was ist mit der Residenzpflicht? Gabriel ging auf alle | |
| Einwände akribisch ein und erinnerte die Genossen, sie hätten „am Tag der | |
| Abstimmung die gleiche Verantwortung wie ich“. | |
| Er sah gut aus, als er das sagte, er glühte fast ein wenig. Wie ein | |
| Sportler, der weiß, dass er das 1:0 bis zum Schlusspfiff retten wird. Es | |
| war für ihn wirklich eine faire Partie, eine „fröhliche Veranstaltung“. | |
| 29 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
| ## TAGS | |
| Gabriel | |
| SPD | |
| Hessen | |
| Marietta Slomka | |
| Koalition | |
| Marietta Slomka | |
| ZDF | |
| Sigmar Gabriel | |
| Große Koalition | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wortgefecht mit Gabriel: ZDF-Intendant springt Slomka bei | |
| Thomas Bellut nimmt die „heute-journal“-Moderatorin gegen die Kritik von | |
| CSU-Chef Seehofer in Schutz und pocht auf die Unabhängigkeit | |
| journalistischer Arbeit. | |
| Koalitionsvertrag und Generationen: Verfrühstückte Zukunft | |
| Alte statt Junge stärken und Schwache gegen Schwache ausspielen: Darauf | |
| haben sich CDU und SPD geeinigt. Ob sie so harte Konflikte umgehen können? | |
| Reaktionen auf Slomkas Interview: Seehofer stärkt Gabriel den Rücken | |
| Von absurden Fragen an der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka spricht CSU-Chef | |
| Horst Seehofer. Auch ein Linkspartei-Politiker unterstützt Sigmar Gabriel. | |
| Gabriel contra Slomka im „heute-journal“: Paranoid, enttäuscht, hilflos | |
| Inhaltlich gab das Wortgefecht zwischen SPD-Chef Gabriel und | |
| ZDF-Moderatorin Slomka wenig her. Psychologisch umso mehr. | |
| Sigmar Gabriel im „heute-journal“: Die Slomka und der ganze Quatsch | |
| Eigentlich wollte SPD-Chef Gabriel im ZDF über die Regionalkonferenzen der | |
| Partei sprechen. Doch dann lieferte er sich lieber ein Duell mit | |
| Moderatorin Slomka. | |
| Debatte um Mitgliedervotum: SPD-Landeschefs auf Werbetour | |
| Der schwarz-rote Koalitionsvertrag steht, jetzt plädieren die norddeutschen | |
| Sozialdemokraten für ein Ja ihrer Mitgliederbasis zur großen Koalition. | |
| Union und SPD in der Großen Koalition: Warten auf die Sozialdemokratie | |
| Diese Regierung wird großartig, verkündet die zukünftige Regierung. | |
| Eigenlob ist nötig, denn die SPD-Mitglieder müssen noch „Ja“ sagen. |