| # taz.de -- Wagenknecht über die Sozialdemokraten: „Das Einknicken hat Tradi… | |
| > Die Große Koalition wird den Beschäftigten nichts bringen, sagt | |
| > Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Ihre Hoffnungen ruhen nun auf der | |
| > SPD-Basis. | |
| Bild: „Diese Koalition wird die Lage der Beschäftigten nicht verbessern“, … | |
| taz: Frau Wagenknecht, sind Sie überrascht von dem Koalitionsvertrag? | |
| Sahra Wagenknecht: Nein. Die SPD-Führung hat sich leider schon lange davon | |
| verabschiedet, sozialdemokratische Politik zu machen. Insofern hat das | |
| Einknicken Tradition. | |
| Aber sie hat doch sehr sozialdemokratische Programmpunkte durchgesetzt: | |
| Mindestlohn ab 2015, Rente mit 63 für Arbeitnehmer, die 45 Jahre versichert | |
| sind, und mehr Regeln für die Leih- und Zeitarbeit. | |
| Das ist nicht das, was die SPD versprochen hatte. Der Mindestlohn wird | |
| flächendeckend erst 2017 kommen. Und schon jetzt kündigt der | |
| CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, an, dass es | |
| sogar dann noch Ausnahmen geben soll. | |
| Es ist nur Haseloff, der von Ausnahmen nach 2017 redet. | |
| Wenn der SPD-Mitgliederentscheid erst einmal vorbei ist, werden es mehr | |
| werden. Interessant ist doch, dass die CDU noch nicht einmal das abwartet. | |
| Die Gewerkschaften unterstützen den Koalitionsvertrag. Fallen die | |
| Gewerkschaften damit als Bündnispartner der Linkspartei gegen die Agenda | |
| 2010 künftig aus? | |
| Nicht die, sondern einige Gewerkschafter. Ich kenne viele, die zutiefst | |
| frustriert wegen der Großen Koalition sind und sich eine linke Regierung | |
| wünschen. | |
| DGB-Chef Michael Sommer lobt den Vertrag. | |
| Sommer hat schon direkt nach der Wahl zusammen mit Arbeitgeber-Chef Dieter | |
| Hundt für die Große Koalition geworben. Das war mehr als peinlich. Und | |
| absurd: Diese Koalition wird die Lage der Beschäftigten nicht verbessern. | |
| Das sieht Sommer anders. | |
| Leiharbeiter sollen erst nach neun Monaten wie die Stammbelegschaft bezahlt | |
| werden – die meisten wechseln aber nach sechs Monaten den Betrieb. Bei den | |
| Werkverträgen passiert so gut wie gar nichts, sachgrundlose Befristung | |
| bleibt legal. Das Lohndumping wird weitergehen. Das ist dürftig. | |
| Warum sind dann die Arbeitgeber so verärgert über diese Große Koalition? | |
| Das sind sie doch gar nicht. Sie machen öffentlich Druck für Kapitalismus | |
| brutal, um die Politik möglichst weit in diese Richtung zu drängen. Es ist | |
| das alte Spiel: Wer die Rente erst ab 67 will, muss die mit 70 propagieren. | |
| Bei manchen Pressestatements der letzten Wochen hat man das Gefühl, Merkels | |
| Mütterrente käme der Einführung des Sozialismus in Deutschland gleich. | |
| Fakt ist: Die SPD nimmt die Agenda 2010 teilweise zurück. | |
| Ach was. Mit uns könnte sie sie zurücknehmen, wenn sie das wollte. Mit | |
| Grünen und Linken gäbe es im Bundestag eine Mehrheit für mindestens 8,50 | |
| Euro Mindestlohn sofort. Flächendeckend. Doch die SPD feilscht lieber mit | |
| der Union. Die Verbesserungen bei der Rente sind sinnvoll, aber für die | |
| meisten in meiner Generation sind 45 Beitragsjahre eine Illusion, weil es | |
| kaum noch ungebrochene Erwerbsbiografien gibt. Und es bleibt bei der | |
| generellen Absenkung des Rentenniveaus. Die OECD hat gerade noch mal | |
| betont, dass Deutschland eine besonders miese Rentenvorsorge für | |
| Niedrigverdiener hat. | |
| Aber für Niedrigverdiener soll es eine Mindestrente geben. | |
| In diesem Koalitionsvertrag werden viele Versprechungen gemacht, bei denen | |
| die Umsetzung offen ist. So soll es 23 Milliarden Euro mehr für Bildung und | |
| Infrastruktur geben, aber zur Gegenfinanzierung wird nur gesagt, dass sie | |
| weder über Steuererhöhungen noch über Schulden erfolgen soll. Also wird es | |
| bald heißen: Leider haben wir mit Mehreinnahmen kalkuliert, die jetzt doch | |
| nicht da sind. Dabei hat die SPD, wie die Grünen und wir, im Wahlkampf eine | |
| Vermögenssteuer gefordert. | |
| Hat der Wahlsieg der Union nicht gezeigt, dass es keine Mehrheit für eine | |
| Reichensteuer gibt? | |
| Wieso? Im Bundestag haben SPD, Grüne und wir die Mehrheit. Umfragen zeigen, | |
| dass die meisten Bürger eine Vermögenssteuer wollen, wenn die Freibeträge | |
| so hoch sind, dass sie nur die wirklich Reichen trifft. Viele fragen sich: | |
| Wie kann es sein, dass die Vermögen der Multimillionäre um 8 bis 10 Prozent | |
| jährlich wachsen – aber Kommunen Schwimmbäder und Büchereien schließen? | |
| Daran haben auch Kampagnen von kapitalkräftigen Lobbyorganisationen nichts | |
| geändert. | |
| Rechnen Sie also mit Widerstand an der SPD-Basis gegen den | |
| Koalitionsvertrag? | |
| Ich hoffe, dass die SPD-Basis ihre Parteispitze wachrüttelt. Wenn sich die | |
| SPD in einen Merkel-Wahlverein verwandelt, dürfte sie bei der nächsten Wahl | |
| vielleicht bei 15 Prozent landen. | |
| Und was wird aus der Linkspartei? Der Mindestlohn war ein wichtiges | |
| Mobilisierungsthema – nun ist er beschlossen. | |
| Künftig wird um die Höhe gekämpft. 8,50 Euro im Jahr 2017 entspricht in | |
| heutigen Preisen vielleicht 8 Euro oder weniger. Das ist im Vergleich mit | |
| anderen EU-Staaten sehr niedrig. 10 Euro, wie es Die Linke fordert, wären | |
| angemessen. | |
| 29 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
| Ulrike Herrmann | |
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