| # taz.de -- Bremer Raumfahrttechnik: Standort der Fernaufklärung | |
| > In Bremen ist man stolz, Produktionsort von Satelliten oder | |
| > Ariane-5-Teilen zu sein - für die EU-Grenzsicherung und die Bundeswehr, | |
| > wie man nicht so gern laut sagt. | |
| Bild: Sollen demnächst auch per Satellit geortet werden können: Flüchtlinge … | |
| BREMEN taz | Raumfahrt und Rüstung sind miteinander verwoben – was | |
| Friedensaktivisten und Antimilitaristen seit Jahren kritisieren, wird beim | |
| Luft- und Raumfahrtkonzern EADS nun offiziell: Mit dem neuen Jahr legt der | |
| Konzern seine Raumfahrtsparte mit der Rüstungssparte zusammen. Aus | |
| „Astrium“ und „Cassidian“ werden „Airbus Defence & Space“. Im Zuge | |
| weitreichender Rationalisierungen trägt EADS seit dem ersten Januar den | |
| neuen Namen „Airbus Group“, 5.600 Angestellte könnten Ihre Jobs verlieren. | |
| Gezittert wurde darum auch in Bremen – 4.000 Mitarbeiter arbeiten in Bremer | |
| EADS-Werken, sowohl deren Raumfahrt- wie Rüstungssparte sind hier | |
| vertreten. Der Konzern ist ein Schwergewicht im von Arbeitslosigkeit | |
| geplagten Stadtstaat, an politischer Unterstützung fehlt es nicht. | |
| Auch ob der anderen ansässigen Unternehmen der Luft- und Raumfahrtbranche | |
| brüstet man sich in Bremen: Mehr als 12.000 Beschäftigte sind hier in über | |
| 140 Unternehmen und Institutionen angestellt. Man zähle in der Branche zu | |
| den „produktivsten Regionen Europas“, wirbt die städtische | |
| Wirtschaftsförderung und verkündet den Bau der Oberstufen-Teile für die | |
| Ariane-5-Rakete durch EADS oder die maßgebliche Beteiligung am | |
| eigenständigen europäischen Navigationssystem Galileo durch den | |
| Satellitenbauer OHB wie eine Staatsangelegenheit. | |
| Erst Mitte Dezember erhielt die damals noch eigenständige | |
| EADS-Raumfahrttochter Astrium einen 195-Millionen-Auftrag für den Betrieb | |
| der Internationalen Raumstation ISS. Bemannte Raumfahrt, Wissenschaft, | |
| Arbeitsplätze – das klingt faszinierend, darauf ist man stolz. Selbst die | |
| einst friedensbewegten Grünen haben sich in die Innovationskraft der | |
| Raumfahrt-Branche verliebt und luden etwa zur Diskussion über „grüne | |
| Raumfahrt“ mit dem Satellitenbauer OHB. In den Jahren 2011/2012 förderte | |
| Bremen OHB mit fast 75.000 Euro im Bereich Forschung und Innovationen. | |
| Fragt man bei der friedenspolitisch ausgerichteten Informationsstelle | |
| Militarisierung (IMI) in Tübingen nach, so ist die Aussage eindeutig: Die | |
| Raumfahrtbranche sei generell der Rüstungsbranche zuzuordnen. Der Weltraum | |
| wird traditionell als sicherheitspolitisch wichtig erachtet, Militärs | |
| sitzen bei Weltraum-Projekten und der Finanzierung mit am Tisch. | |
| Als Pläne von OHB bekannt wurden, an der Uni Bremen eine Stiftungsprofessur | |
| zu finanzieren, entbrannte darum eine Diskussion um die Auslegung der | |
| Zivilklausel der Universität. Rüstungskonzern zu sein, hört man bei OHB | |
| nicht gern. Viel lieber stellt das Unternehmen die technischen | |
| Möglichkeiten seiner Erdbeobachtungs-Satelliten heraus, Erosionen oder | |
| Umweltverschmutzung besser erfassen zu können. | |
| Das militärische Wort für Erdbeobachtung ist Fernaufklärung. Deutlich wird | |
| eine Vermischung von ziviler und militärischer Nutzung von Raumfahrttechnik | |
| beim EU-Programm „Copernicus“. Das hieß früher GMES, was auf Deutsch für | |
| „Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung“ stand. Beteiligt sind sowohl | |
| EADS Astrium als auch OHB. Es geht um die Überwachung der Meeresumwelt, der | |
| Atmosphäre oder des Klimawandels – daneben aber auch um Grenzüberwachung, | |
| etwa auf dem Mittelmeer. Bei Projekten zur Aufzeichnung von | |
| Schiffsbewegungen sitzt die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit am | |
| Tisch, ebenso die Bundespolizei. Der „satellitenbasierte | |
| Notfallkartierungsservice“ des GMES-Programms soll beim Nato-Einsatz in | |
| Libyen eingesetzt worden sein. | |
| Ausschließlich auf Flüchtlings-Abwehr ausgelegt ist das im Oktober vom | |
| EU-Parlament beschlossene Eurosur-Programm, bei dem nationale Grenzbehörden | |
| auf gemeinsame Informationen von Drohnen, Sensoren und auch Satelliten | |
| zurückgreifen. EADS Astrium ist unter anderem über seinen Ableger | |
| „Infoterra“ beteiligt. Ein vorbereitendes EU-Projekt für Eurosur war | |
| „Perseus“ („Protecting European seas and borders through the intelligent | |
| use of surveillance“). Dabei sollten verschiedene Überwachungssysteme | |
| stärker vernetzt werden, um die Überwachung der EU-Grenzen an Land und auf | |
| See zu verbessern. Zwei der Satelliten für das System lieferte die Firma | |
| Luxspace aus Luxemburg – eine hundertprozentige Tochterfirma von OHB. | |
| Groß wurde OHB überhaupt erst mit einem rein militärischen Auftrag: Für das | |
| Bundesverteidigungsministerium realisierte OHB ein Satelliten-System namens | |
| „SAR-Lupe“: Fünf Kleinsatelliten kreisen mittlerweile in 500 Kilometern | |
| Höhe durch den Orbit und können innerhalb von maximal sechs Stunden Bilder | |
| von jedem Punkt der Erden aufnehmen. Der Auftrag hatte ein Volumen von 320 | |
| Millionen Euro und etablierte OHB als Unternehmen in der | |
| Satelliten-Hochtechnologie und der Erdbeobachtung. Dank eines speziellen | |
| „Radars mit einer synthetischen Bündelbreite“ sind mit dem SAR-Lupe-System | |
| Bilder von der Erdoberfläche unabhängig vom Wetter auch durch Wolken | |
| möglich. 2008 wurde das System an das Kommando „Strategische Aufklärung“ | |
| der Bundeswehr übergeben, OHB hat einen Vertrag über den Betrieb der | |
| Satelliten bis 2018. | |
| Wie hoch die Auflösung der Satelliten-Bilder der SAR-Lupe genau ist, bleibt | |
| geheim. Objekte von der Größe eines halben Meters sollen erkennbar sein. | |
| Zustande kamen die deutschen Beobachtungs-Satelliten überhaupt erst, | |
| nachdem die Bundeswehr 1999 bei der Bombardierung Belgrads auf die Angabe | |
| von Zielkoordinaten durch das US-Militär angewiesen war. Eine Armee, die | |
| global agieren will, ist nichts ohne eigene Satelliten-Aufklärung, das | |
| wurde damals klar. OHB profitierte von der neuen, offensiveren Ausrichtung | |
| der Bundeswehr. | |
| Auch die Schaffung des eigenen europäischen Satelliten-Navigationssystem | |
| Galileo folgte dem Impuls, unabhängig vom amerikanischen GPS-System zu | |
| sein. OHB baut 22 der rund 30 Satelliten. Galileo gilt als „zivile | |
| Alternative“ zu GPS. Rainer Bomba, Staatssekretär im | |
| Bundesverkehrsministerium, betonte etwa noch im Februar 2013, dass das | |
| militärisch-kontrollierte GPS durch die Amerikaner ja auch abgeschaltet | |
| werden könnte – auch eine Erfahrung aus dem Kosovo-Krieg. | |
| Laut Informationsstelle Militarisierung behält sich jedoch auch die EU vor, | |
| die zivile Nutzung wenn nötig zu sperren. Und einer von fünf | |
| Navigations-Diensten wird ausschließlich den Sicherheitsbehörden, dem | |
| Militär und den Geheimdiensten zur Verfügung stehen. | |
| Dennoch wird das zivile Image von Galileo ebenso verteidigt wie der Mythos | |
| einer friedlichen europäischen Raumfahrt. Satelliten-Beobachtungs-Systeme | |
| dienen „zur Erlangung von Umweltinformationen“, so wird etwa von OHB | |
| betont. Wie solche PR-Umwidmungen von Kriegs-Technologie auch | |
| staatlicherseits funktioniert, verriet eine US-Botschafts-Depesche, die im | |
| Januar 2011 über die Enthüllungs-Plattform Wikileaks an die Öffentlichkeit | |
| gelangte: Ganz offen, weil für den internen Gebrauch, wurde da über die | |
| Fortschritte der Deutschen bei der Fernaufklärung durch | |
| Sateliten-Überwachungs-Systeme informiert. Erwähnt wird ein zukünftiges | |
| Satelliten-Aufklärungssystem, bei dem EADS Astrium als Auftragnehmer | |
| genannt wird. Das Projekt wurde zwar mittlerweile eingestellt. Interessant | |
| aber bleiben die Nebensätze: Um politischen Gegenwind zu minimieren, hätte | |
| das Programm von einer zivilen Behörde gemanagt werden sollen, etwa dem | |
| Wirtschaftsministerium, so heißt es über die deutschen Pläne. | |
| Gelobt wird in der US-Depesche auch die Radar-gestützte Aufklärung, wie sie | |
| durch die SAR-Lupe von OHB möglich wurde. Das sah die Bundeswehr auch so: | |
| OHB bekam den Zuschlag für das Nachfolge-System namens „SARah“ – ein | |
| 800-Millionen-Euro-Auftrag bis 2019. | |
| Den ganzen Schwerpunkt "Weltraumforschung" lesen Sie in der taz.am | |
| Wochenende oder [1][hier] | |
| 3 Jan 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /e-Paper/!p4350/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| ## TAGS | |
| Eurosur | |
| Flüchtlinge | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Bremen | |
| Drohnen | |
| Weltraumforschung | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Rüstungsindustrie | |
| Raketen | |
| Weltraum | |
| Satellit | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Rüstung | |
| Verteidigungsministerium | |
| Militär | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Frankreich will Weltraumkommando: Macron kündigt Space Force an | |
| Die Großmächte arbeiten daran, ihre Weltraumsatelliten aufzurüsten. | |
| Frankreich will dafür 3,6 Milliarden Euro ausgeben. | |
| Unterschriften gegen Rüstungsindustrie: Bremen rüstet weiter auf | |
| Das entwicklungspolitische Netzwerk macht mobil gegen Rüstungsproduktionen | |
| in Bremen. Fast fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gehören zur | |
| Rüstungsindustrie | |
| Datentransfer im Weltraum: Flieger, grüß mir die Sonne | |
| Zwei Telekommunikationssatelliten wurden vom europäischen Weltraumbahnhof | |
| in Französisch-Guyana ins All geschossen. Eine Ariane-5-Rakete | |
| transportierte sie. | |
| EU-Navisystem Galileo in Gefahr: Rätseln über Soyus Flight VS09 | |
| Zwei Satelliten des EU-Ortungssystems Galileo sind verloren. Was aus dem | |
| Projekt wird, hängt offenbar auch vom Ukraine-Konflikt ab. | |
| Galileo-Satelliten auf falscher Bahn: Zu wenig Sprit für Kurskorrektur | |
| Zwei ausgesetzte Satelliten müssen wohl abgeschrieben werden. Experten | |
| gehen davon aus, dass sie nicht mehr auf die richtige Bahn gebracht werden | |
| können. | |
| Erdbeobachtung per Satellit: EU schickt Sentinel-1A | |
| Der erste Satellit des Copernicus-Programms ist im All. Das | |
| Erdbeobachtungssystem soll bei Katastrophen eingesetzt werden. Frontex will | |
| es auch nutzen. | |
| Bremens Beitrag zur Flüchtlings-Abwehr: „Drehscheibe für Drohnen“ | |
| Was Bremen mit Lampedusa verbindet: Die Hansestadt ist ein Hotspot bei der | |
| Entwicklung von Techniken, um Flüchtlinge an Europas Grenzen abzuwehren- | |
| Proteste gegen Kissinger-Lehrstuhl: Als Vorbild ungeeignet | |
| Das Verteidigungsministerium möchte den ehemaligen US-Außenminister Henry | |
| Kissinger mit einem Lehrstuhl ehren. Eine Bonner Initiative ist dagegen. | |
| Forschen im Auftrag des Militärs: Eine Blackbox | |
| An deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen gibt es doch mehr | |
| Militärprojekte als bisher bekannt war. Friedensaktivisten fordern | |
| Transparenz. | |
| Frieden mit Waffen: Stolz und Standort-Vorteil | |
| Rüstungsdeals mit Saudi-Arabien? „Gut“ sei das für Bremen, sagt | |
| Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD). Der Senat dagegen will sich | |
| nicht äußern. |