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# taz.de -- Internetaktivist über Netzneutralität: „Uns bleibt nur noch seh…
> Thomas Lohninger glaubt, dass die EU die Netzneutralität abschafft. Mit
> einer Kampagne sollen die Grundlagen des freien Netzes gerettet werden.
Bild: Gleichberechtigt unterwegs auf der Datenautobahn.
taz: Der Telekommunikationmarkt der EU soll reguliert werden. In der
aktuellen Fassung der EU-Verordnung wird damit die Netzneutralität
beschnitten. Wieso ist die so wichtig?
Thomas Lohninger: Netzneutralität ist ein Grundprinzip des Internets. Im
Netz selbst wird ursprünglich keine Entscheidung über die Wichtigkeit eines
Datenpakets getroffen. Anfangs war das eine technische Notwendigkeit, denn
man hatte die Rechenleistung nicht. Heute haben wir durch die „Packet
Inspection“ die technische Möglichkeit im Netz Unterscheidungen zu treffen.
Das weckt gewisse Begehrlichkeiten, vor allem bei
Kommunikationsunternehmen, die dort neue Möglichkeiten sehen ihre Gewinne
zu steigern und neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Sie wollen einen Teil
des Kuchens haben, den Google oder Facebook verdient.
Internetprovider wollen also mit Unternehmen gemeinsam Produkte auf den
Markt bringen oder einfach die Hand aufhalten – nach dem Motto: „Ihr wollt
unsere Kunden gut erreichen, dann müsst ihr uns auch Weggeld zahlen.“ Das
wird [1][in der geplanten EU-Verordnung unterstützt]. Im Kern geht es darum
was der Internetprovider entscheiden darf – soll der kontrollieren dürfen,
was ich im Internet machen kann, oder ist das Internet ein neutrales
gleichberechtigtes Medium, in dem alle auf Augenhöhe sind und jeder Blog
genauso schnell und wichtig ist, wie der große Internetkonzern aus Silicon
Valley. Wir wollen ja auch nicht, dass es auf der Autobahn eigene Spuren
für bestimmte Autoklassen gibt, oder dass unser Stromanbieter entscheidet
wofür wir unseren Strom verbrauchen.
Nach dieser Verordnung könnte also ein großer Verlag seine Inhalte besser
an die NutzerInnen bringen als die taz, wenn er entsprechend dafür bezahlt
– wäre das nicht eine Beschränkung der Informationsfreiheit?
Hier gäbe es die Möglichkeit die Informationsfreiheit einzuschränken. Die
Funktion die das Internet heutzutage für Demokratie, Bildung und Kultur hat
würde sich ändern. Nach dieser EU-Verordnung wäre es etwa möglich „Facebo…
only Specialised Services“ anzubieten. Das heißt bei einem begrenzten
Wertkartentarif mit 200 MB Internet im Monat, das nach einer Woche
verbraucht ist, kann man nur noch diesen einen „Specialised Service“ des
Anbieters nutzen. Da ist egal, ob Facebook dafür bezahlt oder ein großer
Verlag und man dann nur noch Onlinezeitungen aus diesem Verlag lesen kann.
Das heißt man kann kommerziellen Anbietern, die es sich leisten können,
einen strukturellen Vorteil geben.
Dagegen könnte man doch klagen.
Das Wettbewerbsrecht hilft hier nicht wirklich. Die taz könnte vielleicht
noch dagegen klagen, dass sie von diesem Provider benachteiligt wird. Wenn
aber irgendein neuer Blog, ein nicht kommerzielles Projekt oder die neue
taz gegründet wird, haben die diese Mittel nicht zur Verfügung. Damit
werden Innovationen und neue Services verhindert, weil man nur noch diese
gelenkten Bahnen hat, über die besonders ein Großteil der
einkommensschwachen Menschen das Internet nutzen werden. Netzneutralität
garantiert niedrige Markteintrittshürden, also einen wirklichen Wettbewerb
und hilft Wissen in unser Gesellschaft gerecht zu verteilen.
Was sind die Hauptkritikpunkte an der jetzigen Form der EU-Verordnung im
Punkt Netzneutralität?
Es ist eigentlich eine Abschaffung der Netzneutralität. Es gibt irrsinnig
viele schwammige Formulierungen. Den Nutzern wird die Freiheit gegeben,
sich zwischen Produkten zu entscheiden, aber kein Rechtsanspruch darauf,
wie der Provider ihnen diese Dienste zur Verfügung zu stellen hat. Eines
der größten Probleme ist die viel zu breite Definition von „Specialised
Services“. Das sollte nichts sein, das auch so als Dienst im Internet
existiert. Das heißt ich kann mein eigenes „Voice over IP“ anbieten, damit
meine Kunden telefonieren können, aber ich darf nicht Skype oder Spotify zu
meinem Internet dazu verkaufen und das im Netz anders behandeln. Ein
weiteres großes Problem sind die Netzsperren – Artikel 23 5a besagt, dass
es ein legitimer Grund ist ins Netzwerk einzugreifen, es also zu sperren,
um ein Gesetz durchzusetzen, einen Gerichtsbeschluss durchzusetzen oder ein
schweres Verbrechen zu erschweren oder zu verhindern.
Was genau ist ein „schweres Verbrechen“?
Das ist nicht definiert. Wir kennen diese Taktik von der
Vorratsdatenspeicherung, es ist der selbe Wortlaut. Das wird in allen
Mitgliedsländern sehr unterschiedlich ausgelegt. In Österreich kann das
alles mögliche sein – von Stalking, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Verstöße gegen das Amtsgeheimnis bis hin zu Zigarettenschmuggel. Und noch
viel schwerwiegender ist das „oder“ – ein Gesetz oder ein Gerichtsbeschlu…
oder die Verhinderung schwerer Straftaten. Das heißt hier ist kein
Gerichtsbeschluss nötig und man hat überhaupt keine rechtsstaatliche
Kontrolle darüber was die Provider tun.
Die große Gefahr ist, dass damit versucht wird Urheberrechtsverletzungen im
Internet präventiv zu umgehen. Das erschweren von Straftaten kann schon
bedeuten, dass jemand selbst gar keine illegalen Dienste anbietet, aber auf
eine Seite verlinkt, die das tut. Es gibt niemals einen Grund für
Netzsperren, man muss immer das Problem an der Wurzel packen und den
Content direkt da wo er ins Netz gesendet wird löschen. Das nächste Problem
ist die „Assured Service Quality“ in Artikel 19. Das ist die Verpflichtung
zu einem Zweiklasseninternet – also die Pflicht als Internetprovider zu
sagen: „Du kannst mir wie üblich Daten schicken, oder du kannst mir Geld
bezahlen und dann hast du mit deinen Daten Vorrang in meinen Netzen“
Welche Folgen hätte die Verordnung für den europäischen
Telekommunikationssektor?
Großteils wären die Folgen genau was die großen Internetprovider Europas
wollen. Es ist deren Vorstellung von einem Markt, in dem es keine hunderte
Internetprovider gibt, sondern nur noch zwei, drei oder vier große, die
sich den gesamten europäischen Markt teilen. Neben einer Zentralisierung
der Internetstruktur bedeutet das auch, dass in vielen Ländern die Firmen,
die lokal für Arbeitsplätze sorgen, verschwinden werden. Das heißt die
Profiteure sind die großen internationalen Konzerne, aber alle anderen
können eigentlich nur verlieren. Wir brauchen diesen Wettbewerb aber. Für
die Konzerne ist der einzige Grund in Netze zu investieren, dass sie mit
Konkurrenten mithalten können.
Ist es denn realistisch, dass man einfach aufhört in Netze zu investieren?
Es gab das ETICS Forschungsprojekt, das mit den Geldern der
Telekommunikationsindustrie finanziert wurde und die Grundlage für diesen
EU-Antrag geschaffen hat. Da wurden „Quality of Experience-Studien“
gemacht. Das bedeutet man misst ganz genau wie langsam und wie schlecht man
Internet machen kann, bevor sich die Kunden beschweren. Hier geht es um
simple Gewinnmaximierung und darum die Netze - egal wie schlecht sie sind –
um so viel Geld wie möglich zu verkaufen. Die verbleibenden Bandbreiten
werden dann zwischen den großen Internetkonzernen versteigert.
Welche Haltung vertritt Neelie Kroes, die EU-Kommissarin für Digitale
Agenda, beim Thema Netzneutralität?
Also diese ganze EU-Verordnung ist im Grunde die Geschichte des Versagens
von Neelie Kroes. Als sie ins Amt gekommen ist, war Netzneutralität eines
ihrer größten Themen. Da hat sie die meisten Ankündigungen gemacht und
zuerst wirklich große Hoffnungen aufkommen lassen. Im Zuge ihrer
Amtsperiode hat sie sich um 180 Grad – hin zu einer extremen
industriefreudigen Politik – gedreht.
Ein [2][BEREC-Report hat festgestellt], dass die Hälfte aller europäischen
Bürger und Bürgerinnen schon von Einschränkungen der Netzneutralität im
Mobilfunk betroffen sind. Trotz alldem kommt die Kommissarin mit diesem
Gesetz nur zehn Monate vor der Europawahl aufs europäische Parkett und
liefert ein riesiges Gesetzeswerk, das in dieser kurzen Zeit nicht
professionell abzuarbeiten ist und das signifikante negative Konsequenzen
für den gesamten Telekommunikationssektor hätte. Neelie Kroes tut das
wahrscheinlich weil sie in ihrer Amtsperiode sonst nichts zustande gebracht
hat und bald in Pension geht. Das geplante Gesetz – das sagen alle
Kritiker, auch die EU-Inspektion – ist nicht nur unsauber gearbeitet, also
nicht nur schlecht gemacht, sondern auch schlecht gemeint.
Inwiefern beinflusst der EU-Wahlkampf diese Verordnung?
In der Verordnung gibt es auch einen Passus zu Roaming, das soll gänzlich
abgeschafft werden. Im Zuge dieser Konsolidierung würden sowieso nur ein
paar große Provider in Europa übrigbleiben und dass die dann innerhalb
ihrer Firma, in den einzelnen Netzen der Länder, noch Roamingkosten
verlangen, ist nicht mehr zu rechtfertigen. Was aber nicht gesagt wird ist,
dass so wie es in dieser Verordnung vorgeschlagen wird, Sprachtelefonie
teurer werden würde. Es fallen zwar die Roamingkosten weg, aber dafür
müssten die Minutenpreise für alle steigen.
Die Abschaffung der Roamingkosten ist leider auch der strategische Clou und
das Wahlzuckerl an die Parlamentarier, damit die diese Verordnung noch vor
der EU-Wahl im Mai durchs Parlament bringen. Die meisten Abgeordneten haben
verstanden, dass Roaming ein emotional gutes Thema ist, mit dem man bei der
Bevölkerung durchkommt und man setzt darauf, dass in so kurzer Zeit nicht
erkannt wird, was sonst noch alles in dieser Verordnung steht.
Wie kann man in der kurzen Zeit noch etwas dagegen tun?
Der beste Weg ist einfach die eigenen Parlamentarier im Europaparlament
anzurufen und ihnen klarzumachen, dass Netzneutralität ein Prinzip ist, das
wir nicht aufs Spiel setzen dürfen. Dass diese Verordnung, wie sie jetzt am
Tisch liegt, niemals durchs Parlament gehen darf und Reparaturen gemacht
werden müssen. Dafür bleibt uns nur noch sehr wenig Zeit, die nächsten zwei
Monate werden darüber entscheiden.
Wir liefern auf [3][savetheinternet.eu] alle Argumente, Hilfestellungen und
Erklärungen, die es braucht und diese Seite wird weiterhin der zentrale
Anlaufpunkt zu diesem Thema bleiben. Es ist wichtig, dass alle den
Telefonhörer in die Hand nehmen oder zumindest eine Email schreiben und die
Abgeordneten wissen lassen, dass das so nicht geht. Im Europaparlament kann
man Mehrheiten verschieben, wenn die Bürger ihrer Stimme Gehör verschaffen.
Wenn die Verordnung in der aktuellen Fassung nicht durchgeht, werden sich
die Konzerne das Geld nicht einfach auf einem anderen Weg holen?
Natürlich probieren sie es immer wieder. Der Gegenseite geht es um viel
Geld, die haben einen langen Atem, das haben wir auch bei ACTA gesehen. Im
Grunde geht es ihnen immer darum die Natur des Internets und das
Geschäftsmodell zu verändern– dass das zur eigenen Profitmaximierung
passiert wird klar ausgesprochen. Die sind auch nicht böse, sie sind nur
Kapitalisten. Und den Kapitalismus werden wir kurzfristig nicht abschaffen
können. Das heißt aber wir müssen als Öffentlichkeit die Gesetze schaffen,
die den Markt in die richtigen Grenzen setzen.
Gibt es unter den EU-Mitgliedstaaten Beispiele für gute Gesetze zur
Netzneutralität?
Ja, in Slowenien und den Niederlanden gibt es die. In den Niederlanden war
ein großer Aufschrei der Grund. Es wurde bekannt, dass der
Telekommunikationskonzern KPN das Internet in einzelne Produkte aufspalten
wollte, um mehr Geld zu verdienen und Daten über das Nutzerverhalten zu
sammeln. Es wird viel leichter drüber zu reden, wenn die Konzerne die
Masken abnehmen und man das Problem benennen kann.
An einer Lösung scheitert es nicht, wir haben schon so viele
Änderungsanträge geschrieben. Das ist wirklich keine Hexerei. In zwei
Monaten wird abgestimmt, da wissen wir dann, ob wir in Zukunft noch
Netzneutralität haben werden, oder das ein Prinzip der Vergangenheit ist
und wir uns daran gewöhnen müssen, dass das Internet bald ganz anders
aussehen wird.
8 Jan 2014
## LINKS
[1] http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/news/regulation-european-parliament-a…
[2] http://berec.europa.eu/eng/document_register/subject_matter/berec/opinions/…
[3] http://savetheinternet.eu/
## AUTOREN
Saskia Hödl
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