# taz.de -- TV-Doku über Amokläufer: Kleinstädtisch, männlich, depressiv | |
> Warum verüben Menschen brutale Massaker? Die Doku „Ansichten eines | |
> Amokläufers“ sucht mit nach wissenschaftlichen Antworten. | |
Bild: Relikt des „School Shootings“: die Tatwaffe von Sandy Hook. | |
Aelrun Goettes Fernsehfilm „Ein Jahr nach morgen“ aus dem Jahr 2012 ist | |
nicht zuletzt deshalb einer der bislang besten Filme zum Thema School | |
Shooting – zu Deutsch: Schulmassaker –, weil sie bewusst nicht erst | |
versucht, zu erklären. Die Erlösung durch Erklärung bleibt sie einfach | |
schuldig. Als Spielfilmregisseurin kann sie sich das leisten. | |
Aber wir wollen natürlich eine Erklärung. Und natürlich suchen Fachleute | |
längst nach Erklärungen. Und natürlich ist erst mal rein gar nichts dagegen | |
einzuwenden, wenn ein Dokumentarist akribisch Fachfrau um Fachfrau, | |
Fachmann um Fachmann besucht und nach dem Warum fragt: Warum bringen | |
Heranwachsende erst ihre Mitschüler um und anschließend – wir lernen: | |
statistisch in 60 Prozent aller Fälle – sich selbst? Und wenn wir das Warum | |
erst verstanden haben: Ist es dann möglich, einen Amokläufer schon vor | |
seiner Tat zu erkennen? | |
Miles O’Brien, amerikanischer Wissenschaftsjournalist, ehemals | |
Korrespondent und Anchor bei CNN, hat besucht und gefragt – für seine | |
TV-Dokumentation „Mind of a Rampage Killer“, die 3sat heute als „Ansichten | |
eines Amokläufers“ zeigt. Die deutschen Ereignisse – in Freising, Coburg, | |
Erfurt, Emsdetten, Winnenden, Ansbach – bleiben außen vor. In den USA gab | |
es Fälle genug, um nicht über den nationalen Tellerrand hinaus schauen zu | |
müssen. | |
O’Brien besucht zwölf Experten im ganzen Land, die an so renommierten | |
Institutionen wie der Harvard oder der Columbia University forschen. Und | |
sie forschen bereits seit Jahrzehnten. Seit der Student an der University | |
of Texas at Austin und frühere Marine Charles Whitman am 1. August 1966 | |
seine Mutter und seine Frau erstach, mit einem Waffenarsenal zum Campus | |
fuhr, dort von einem Turm aus 17 Menschen erschoss und 32 verletzte, um | |
dann plangemäß selbst von der Polizei erschossen zu werden. In einem | |
Abschiedsbrief hatte er ausdrücklich um seine Autopsie gebeten. | |
## Hirnstruktur und Schubladen | |
Der Harvard-Wissenschaftler Joshua Buckholtz ist sich sicher: „Wenn wir | |
Straftäter mit unbescholtenen Menschen vergleichen, lassen sich | |
Unterschiede innerhalb der Schaltkreise jener Hirnstruktur erkennen, die | |
den Ausgleich emotionaler Erregungszustände steuern.“ Die Rede ist von | |
präfrontalem Cortex und Amygdala. Seine Kollegin Karlen Lyons-Ruth | |
beobachtete jahrelang das Verhalten von Kleinkindern: Man könne | |
vorhersagen, ob „sie gewalttätig zu ihren Klassenkameraden sein werden“. | |
Andere Forscher befassen sich mit versicherungsmathematischen Annahmen. | |
Vergleicht man hinterher die Amokläufer miteinander, so scheinen sie alle | |
in die gleiche Schublade zu passen: kleinstädtisch, männlich, waffenaffin, | |
depressiv, gemobbt et cetera. Nur, da legt Paul Appelbaum von der Columbia | |
den Finger in die Wunde: „Zehntausende von Menschen passen in diese | |
Schublade.“ | |
## Nicht erkannte Anzeichen | |
Denn wer es ernst damit meint, einem Menschen ohne Tat das Label des – | |
potenziellen – Amokläufers zu verpassen, öffnet die Büchse der Pandora. Die | |
Populärkultur hat das längst durchgespielt: Philip K. Dicks / Steven | |
Spielbergs Dystopie „Minority Report“ handelt vom Umgang einer Gesellschaft | |
mit Mördern, die ihre Tat erst in der Zukunft begehen würden. | |
In Miles O’Briens Film kommen auch die Eltern von Amokläufern zu Wort. Jeff | |
Williams’ Sohn hat mit der Waffe seines Vaters – „eine der Waffen, mit | |
denen ich ihm das Schießen beigebracht habe“ – zwei Mitschüler erschossen. | |
Liza Long bloggt regelmäßig über ihren Sohn als Amokläufer. Sie sagt: „We… | |
ich heute zurückblicke, glaube ich, dass da schon immer Anzeichen waren.“ | |
Allein, der Amoklauf ihres Sohnes hat noch gar nicht stattgefunden. | |
16 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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