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# taz.de -- Homosexualität an Schulen in BaWü: Die Angst vor der Klasse
> Lehrer Peter F. ist beliebt. Doch keiner weiß, dass er schwul ist. Es ist
> weniger die Reaktion der Kinder, die er fürchtet - es sind ihre
> evangelikalen Eltern.
Bild: Homosexualität als Unterrichtsthema an Schulen? Konservative in Baden-W�…
STUTTGART taz | Peter F.*, 35 Jahre alt, fürchtet sein Outing so sehr, wie
er es sich wünscht. Er ist schwul. Er ist ein schwuler Lehrer in
Baden-Württemberg, unterrichtet an einem kleinen Gymnasium, 500 Schüler,
knapp 50 Lehrer. Der Ort liegt in einer pietistischen Gegend, wo die Namen
der Dörfer auf -bach und -tal enden. An den Schulhof grenzen Wiesen und
Felder.
Im Kollegium hat er nur ein paar Vertrauten von seiner Homosexualität
erzählt. Sonst weiß es niemand. Nicht der Rektor, der ihn als großen
Motivator lobt und sich mehr von seiner Sorte wünscht. Nicht die
Reinigungskraft, die ihn gern in die Wange kneift und für die er „mein Bub“
ist. Keine der Schülerinnen aus der Siebten, die wohl heimlich für ihn
schwärmen.
Peter F. stapft durch das vom Raureif weiße Gras an der Schule. Es ist
Samstag, nichts los. Die Stühle stehen auf den Tischen in den
Klassenzimmern, wo Peter F. unter der Woche Musik und Deutsch unterrichtet.
Wo ihn die Schüler mögen, wo er versucht, authentisch zu sein, und es doch
nicht ist. Dass er sich an der Schule nicht outet, hat Gründe. Da ist die
Angst vor den Schülern, die je nach Alter jede Verletzlichkeit von Lehrern
ausnutzen. „Man muss in der Höhle des Löwen überleben“, sagt Peter F. Ab…
das würde er in den Griff bekommen. Mit seiner Offenheit, seiner mal
einfühlsamen, mal resoluten Art. Was bleibt, ist die Angst vor den Eltern.
In dieser Gegend, wo der evangelische Glaube von vielen Familien bibeltreu
und extrem konservativ gelebt wird, stehen die Eltern schnell vorm Rektor.
Wenn „Harry Potter“ gelesen werden soll, beschweren sie sich, ihren Kindern
werde Hexerei beigebracht, erzählt er. Bei manchen Einheiten im
Biounterricht nehmen sie ihre Kinder aus der Schule. „Dann ist das Mädchen
eben krank.“ Einmal, als er ein Arbeitsblatt mit Totenkopf ausgab, um auf
einprägsame Art vor Fehlern zu warnen, stand er selbst im Fokus. Totenköpfe
zu malen sei zu Hause verboten, sagte eines der Kinder. So ist das eben
zwischen -bach und -tal.
## „Akzeptanz sexueller Vielfalt“
In Baden-Württemberg wird heftig über den Bildungsplan diskutiert, in dem
„Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als fächerübergreifendes Thema verankert
sein soll. In einem Arbeitspapier ist zum Beispiel als Lernziel
festgehalten: „Erkennen der eigenen sexuellen Identität und Respektieren
anderer sexueller Identitäten und Lebensentwürfe.“ Ein Lehrer aus dem
Nordschwarzwald hat die Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der
Ideologie des Regenbogens“ ins Internet gestellt, die von mehr als 160.000
Leuten unterschrieben wurde.
Der Initiator gehört zu einer evangelikalen Gemeinde und fordert den
„sofortigen Stopp einer propagierenden neuen Sexualmoral“. Die
„Infragestellung der heterosexuellen Geschlechter von Mann und Frau“ könne
zu einer „problematischen Entwicklung in unserem Bundesland“ führen.
In einem Café in einer nahe gelegenen Stadt kann Peter F., der selbst aus
der Region kommt, reden. Die Tische stehen weit genug auseinander. Er kennt
niemanden hier. Und hoffentlich niemand ihn. „Die Petition kotzt viele
schwule Lehrer an. Ich bin sauer und erschrocken über die Diskussion. Sie
wirft mich selbst zurück“, sagt er. „Weil ich mich frage: Was für ein
Hamsterrad läuft hier eigentlich? Schon vor Jahren hat sich ein Politiker
hingestellt und gesagt: Ich bin schwul, und das ist gut so. Ich dachte
deshalb, das wär durch.“
## In die Perversen-Ecke
##
Ist es aber nicht. Schwule würden immer noch in die Perversen-Ecke
gestellt, in die Pädophilen-Ecke, wenn es schlimm kommt. Lesbische Frauen
seien selten Thema, worunter diese wiederum litten. Die ganze Diskussion
hält er für dominiert von Männern, die alles abstoßend fänden, was zwischen
zwei Männern läuft. Peter F. würde sich wünschen, dass die Debatte nicht
auf diese Art und Weise stattfindet. Vielmehr dass sie gar nicht
stattfindet. Nicht stattfinden muss.
Er zieht eine Klarsichtfolie aus seiner Jacke, darin zwei Blätter: die
Petition, durchgelesen und gelb markiert. Und ein Wort rot eingekringelt,
wie einen Fehler im Diktat. „Verhalten“ steht da, der ganze Satz: „Aus der
gleichen Würde jedes Menschen folgt noch nicht, dass jedes Verhalten als
gleich gut und sinnvoll anzusehen ist“, schreibt der Petent Gabriel
Stängle. Peter F. schüttelt den Kopf. Ein bestimmtes Verhalten ist für ihn
etwas Situatives, etwas, was man ändern kann. „Homosexualität ist ja kein
Verhalten. Wer das behauptet, der hat gar nichts verstanden.“
Peter F. Hat lange gebraucht, bis er verstanden hat, was mit ihm los ist.
Damals, in der siebten Klasse, wurde er gehänselt. „Schwuchtel“, riefen die
Jungs in der Schule. Man müsse ja mit dem Arsch an der Wand laufen, wenn
man ihn auf der Toilette treffe. Er zog sich zurück, schloss sich auf dem
Klo ein. Und insgeheim war er damals schon in einen älteren Schüler
verliebt.
## „Totale Desorientierung“
Aber dann plötzlich standen die Mädchen auf ihn, schrieben ihm Briefchen,
er traf sich mit ihnen - und stieg dadurch im Ansehen der Jungs, hatte
jetzt seine Ruhe. In seinem Innern sah es anders aus: „Totale
Desorientierung“, sagt er. „Schwul“ war und ist oft ein Schimpfwort. „M…
wächst auf und denkt, man ist was Schlechtes, minderwertig, eklig. Und das
ist überhaupt nicht vereinbar mit dem, was man beim ersten Verliebtsein
fühlt: was Schönes.“
Peter F. spricht, als wäre es ein früheres Leben, ein Kokon, aus dem er
sich mühsam befreit hat. An den Schmerz erinnert er sich aber noch. „Die
Schulzeit fand ich ganz schlimm.“ Sein einziges Vorbild als schwuler Mann
war „der aus der Lindenstraße, mit der Glatze“ – Carsten Flöter. „Abe…
war ja total verklemmt.“ Peter F. wäre gern selber so ein Vorbild für
Jungs, ein besseres, lebensnäheres. Auch deshalb denkt er über ein Outing
nach. „Es wäre wichtig, dass betroffene Schüler sehen: Man muss nicht in
einem Tutu um die Ecke springen, wenn man schwul ist. Ich bin gerne Mann.“
Ihm hätte das damals geholfen.
Es gibt statistisch gesehen in jeder Klasse homosexuelle Kinder. „Warum
sind die ihr ganzes Schulleben über nicht präsent?“, fragt Peter F. In
seiner Familie hat er sich mit 18 geoutet und erstmal mit der Mutter drei
Stunden geheult. Dann haben sie gemeinsam einen Weg gesucht, wie sie damit
leben können. Die Mutter engagiert sich inzwischen im Bundesverband der
Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen. „In der zwölften Klasse
bin ich erst mal sitzen geblieben, weil ich zu sehr mit meinem Gefühlsleben
beschäftigt war.“ Er hat sich damals selbst gesucht. Und er hat sich
gefunden.
## Es geht um Sensibilisierung
Das Klischee des Schwulen, das viele Leute im Kopf haben, erfülle er nur
zum Teil. „Das verwirrt auch die Schüler.“ Er lache viel und mache gern
Quatsch, aber er könne auch streng sein; wenn seine Schüler Worte wie
„schwul“ oder „behindert“ als Schimpfworte benutzen. „Das will ich ni…
hören. Die sollen sich mal vorstellen, wie das ist, wenn jemand betroffen
ist.“
Ihm geht es um Sensibilisierung für das Thema Homosexualität. Von schwuler
Propaganda, wie der Petent sie vermutet, von Umerziehung gar, will Peter F.
nichts hören. „Wir sind eine Lehranstalt, keine Erziehungsanstalt.“
Homosexualität würde er wertfrei behandeln. „In dem Moment bin ich neutral.
Ich darf ja auch keine politische Meinung im Unterricht vertreten. Es geht
darum, Meinungen der Schüler zuzulassen.“
Peter F. hat die Gegenpetition unterschrieben. Er befürchtet, dass die
kirchenaffinen Gruppen, politisch sehr gut vernetzt, Druck aufbauen. Er
will zu einem Gegendruck beitragen. So lange das Thema „Akzeptanz sexueller
Vielfalt“ nicht im Bildungsplan verankert ist, „drückt man sich herum“,
sagt er. Und selbst wenn es verankert ist, würden es nur diejenigen Lehrer
machen, die eine offene Haltung zum Thema haben. „Der Lehrer Stängle wird
es wahrscheinlich auch dann nicht behandeln.“
## „Herrlich, es geht ums Gefühl“
Peter F. hätte schon Ideen, wo es Anknüpfungspunkte gibt. Der Komponist
Peter Tschaikowsky war höchstwahrscheinlich schwul. Oder der Sänger von
Queen. In Deutsch ist „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf Lektüre. „Herrlic…
sagt Peter F. „Da wird thematisiert: Egal wen man liebt, es geht ums
Gefühl.“
Genau das ist ihm wichtig. Homosexualität. Der Wortbestandteil „Sex“ störe
ihn. „Darum geht es doch gar nicht.“ Was im Schlafzimmer vor sich geht,
gehe niemand was an. Mit Schwulsein hat das nichts zu tun. „Ich frag ja
auch nicht: Kollege, wie magst du deine Frau am liebsten?“ Aber bei
Homosexuellen werde die Sexualität oft vor den Menschen gestellt. Das
verletzt ihn.
Peter F. wünscht sich das Outing. Es wäre eine Erleichterung. Trotz der
Angst. „Ich steh mit beiden Beinen auf dem Boden. Ich bin selbstsicher in
dem, was ich bin und will.“ Er mag sich selbst und will zu sich stehen.
Einen Partner hat er nicht. „Aber ich lerne gerade jemanden kennen.“ Er
strahlt.
## Authentisch sein
Auch für ihn ist Glauben wichtig. Früher war Peter F. Ministrant. Mit 30
trat er zur papstfreien evangelischen Kirche über. „Liebe ist doch das
Höchste. Das darf man doch ausdrücken. Es geht darum, den Menschen
anzunehmen, so wie er ist.“
Diese Haltung wünscht er sich auch bei anderen. „Ich kann nicht
schauspielern, ich bin authentisch“, sagt er. „Die Schüler sind ja nicht
doof, die ahnen das, glaub ich, schon.“ Ein paar Mädchen aus der siebten
Klasse haben ihn mal gefragt, ob er eine Freundin habe. Auf sein Nein haben
sie gekichert. „Fragt mich, was ihr wissen wollt“, habe er gesagt. Doch sie
haben sich nicht getraut. Hätten sie gefragt, er hätte geantwortet.
*Name geändert
1 Jan 1970
## AUTOREN
Lena Müssigmann
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