# taz.de -- Gamification als Mitarbeitermotivation: Virtuellen Möhren hinterhe… | |
> Ein Trend auf dem Arbeitsmarkt: Gamification. Angestellte werden für ihre | |
> Leistung wie in einem Computerspiel belohnt. Das ist nicht ungefährlich. | |
Bild: Klassisch: Schokolade. Dank Gamifikation funktioniert Belohnung nun auch … | |
Der Unternehmer Roman Rackwitz ist begeistert: „Viele sind überrascht, wie | |
wirkungsvoll teamfördernde Maßnahmen für die individuelle | |
Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern sind“, sagt er. „Selbst innerhalb von | |
Verkaufsabteilungen, die ja als Sinnbild für abteilungsinternen Wettbewerb | |
gelten.“ Wie viele Geschäftsmänner, die ein neues Produkt verkaufen, ist | |
Rackwitz ein Meister der Euphemismen. Er weiß, dass „teamfördernd“ besser | |
klingt als wettbewerbsfördernd. | |
Die Idee, von der er spricht, ist der Traum jedes Managers: Angestellte, | |
die bei ihrem Job Spaß haben – und dadurch effizienter arbeiten. In der | |
immer digitaler werdenden Arbeitswelt könnten zukünftig die Faktoren Spiel | |
und Spaß eine zentrale Rolle einnehmen, wo momentan Monotonie den | |
Arbeitsalltag prägt. Der Begriff dafür: Gamification. | |
Spielerische Programme werden in spielferne Bereiche eingebunden. | |
Erkenntnisse aus Spielanalysen der angewandten Psychologie und | |
Neurowissenschaft sollen das Verhalten von Mitarbeitern und Kunden | |
beeinflussen, um Arbeitsabläufe zu verbessern. Doch Gamification gibt es | |
nicht nur für Arbeitnehmer. Bei Kunden und Nutzern wird es schon lange | |
eingesetzt. | |
Während man im externen Bereich Bonuspunkte oder Kaufprämien seit Längerem | |
aus dem Einzelhandel kennt, erhalten Nutzer des Online-Netzwerks Foursquare | |
digitale Punkte, wenn sie regelmäßig in entsprechend markierten Locations | |
einchecken. Die Nutzer werden mithilfe von Prämien zur regen Seitennutzung | |
angeregt, dies generiert Klicks, was Foursquare wiederum mehr Werbung | |
verschafft. Bonusmeilen hingegen sind ein Beispiel für virtuelle | |
Belohnungen, die eigentlich keinen unmittelbaren Wert besitzen und dennoch | |
als Anreiz funktionieren. | |
## Dopamin-Ausschüttung | |
Was die Bonusmeilen für treue Konsumenten waren, könnten bald | |
Leistungspunkte für Angestellte sein. Angestellte, die dank positiver | |
Anreize ständig virtuellen Möhren hinterherhecheln. Wie sehr | |
Onlineumgebungen unsere Psyche beeinflussen, zeigte eine Harvard-Studie von | |
2012, laut der sich die Facebook-Nutzung signifikant auf unseren | |
Gefühlshaushalt auswirkt. Jeder „Like“ löst die Ausschüttung des | |
Neurotransmitters Dopamin aus, der für Belohnung zuständig ist und in etwa | |
so wirkt wie Schokolade oder Sex. Genauso wirken auch die bunten Icons und | |
Punkte, mit denen eine Gamification-Software Leistungen würdigt – und dem | |
digitalen Angestellten ständig neue Endorphin-Flashs verschafft. | |
In den USA hat sich der Hype längst zu einem Trend entwickelt. Ganz im | |
Gegenteil zu Deutschland, das in Fachkreisen seit jeher als | |
Innovationswüste gilt – auch wenn am 12. Februar mit dem „Gamification-Day… | |
in Köln die erste deutsche Fachkonferenz stattfinden wird. Auch Roman | |
Rackwitz wird dort sein. Er ist Leiter von „Engaginlab“, einer der ersten | |
deutschen Agenturen für Gamification. Das Marktforschungsinstitut M2 | |
Research geht davon aus, dass 2016 weltweit rund 2,8 Milliarden Dollar in | |
Gamification investiert werden. Dem IT-Marktforschungsunternehmen Gartner | |
zufolge werden 2014 rund 70 Prozent der großen Konzerne solche Software | |
benutzen. | |
Samsung, Foursquare, Dell, Siemens, E-Bay, Microsoft oder Universal Music | |
haben dies längst getan. Den Wandel der Arbeitskultur zeigen vor allem die | |
jüngsten Erfolge von Badgeville, dem weltweit führenden | |
Gamification-Unternehmen, das seine Gewinne Ende 2013 verdoppelte. Erst vor | |
Kurzem führte Badgeville-Kunde IBM die „Behavior Platform“ ein – eine | |
Analysesoftware, die das Verhalten von Mitarbeitern festhält. | |
Scott Schnaars, Manager von Badgeville, ist vom wirtschaftlichen Nutzen | |
seiner Dienstleistungen überzeugt: „Gamification hilft Ihren Mitarbeitern | |
und Kunden, vermehrt das zu tun, was Sie von ihnen erwarten, um so die | |
Geschäftsergebnisse zu verbessern“, sagt er im Experteninterview mit der | |
Beratungsagentur Capgemini Consulting. | |
## Motivation als Wirtschaftsfaktor | |
Es geht also wie immer um Profit. Denn gerade die Motivation der | |
Mitarbeiter ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Dem | |
Marktforschungsinstitut Gallup zufolge führt die innere Kündigung allein in | |
Deutschland jährlich zu Produktivitätseinbußen im Wert von bis zu 138 | |
Milliarden Euro. Das Konzept Gamification könnte, unterstützt von solchen | |
ökonomischen Heilsversprechen, damit die Zukunft vieler Arbeitsbereiche | |
beeinflussen. | |
Rackwitz beobachtet vor allem in Ländern mit hohen Personalkosten ein | |
vermehrtes Interesse am betriebsinternen Einsatz. Mithilfe von | |
Verbesserungen „im Bereich des Employee-Life-Cycles wie Recruiting, | |
Onboarding, Verringerung der Mitarbeiterfluktuation“ ließen sich sehr hohe | |
Einsparungseffekte erzielen. So gehören Verhaltensänderungen zu den | |
„zentralen Schlüsselfaktoren“ für die Zukunft digitaler Arbeitsbereiche, | |
wie es in einer Studie von Capgemini Consulting und dem MIT heißt. | |
Besonders im Kundensupport, also dort, wo das Image nach außen besonders | |
wichtig ist, werden gamifizierte Programme immer beliebter. So bietet die | |
Firma Freshdesk ein Programm für Call-Center an, bei dem Mitarbeiter für | |
schnelle Problemlösungen virtuelle Belohnungen erhalten. „Verwandelt Ihren | |
Kundensupport in ein Spiel“, lautet der Slogan. | |
## Wettbewerb unter Mitarbeitern | |
Gerade dieser unreflektierte Enthusiasmus ist bedenklich. Denn die Linie | |
zwischen Motivation und Manipulation ist sehr dünn. So mögen es | |
gelangweilte Beamte zunächst begrüßen, wenn Arbeit spielerischer wird. Doch | |
dahinter steckt mehr als die vermeintliche Gunst der Chefetage. Die | |
subtilen psychologischen Strategien fördern vor allem den Wettbewerb unter | |
Mitarbeitern. | |
Wie sich das auf die Stimmung im Büro auswirken kann, sieht man bei | |
Microsoft. Das dort verwendete Programm „vitality curve“ erstellte | |
Ranglisten über die Produktivität und Qualität der Arbeitsleistungen von | |
Mitarbeitern und ordnete sie in „top performer“, „average“ oder „poor… | |
Schon nach wenigen Monaten kritisierten Angestellte, dass dadurch ein | |
„kontraproduktiver Wettbewerb“ erzeugt werde. Nicht selten verschwieg | |
jemand eine gute Idee vor Kollegen, um positiv eingestuft zu werden. | |
Im August 2012 kommentierte der amerikanische Journalist Kurt Eichenwald | |
die Praxis wie folgt: „Jeder Microsoft-Mitarbeiter, den ich interviewt | |
habe, bezeichnete dieses Ranking als destruktiven Prozess.“ Schließlich | |
verging noch ein Jahr, bis das Management beschloss, die Software | |
abzuschaffen. Und zwar „zugunsten eines neuen und flexibleren Systems, das | |
die Kooperation unter Mitarbeitern bestärkt“, wie die Vizepräsidenten für | |
Human Resources Lisa Brummel in einem offiziellen Statement verlauten ließ. | |
## Anstieg arbeitsbedingter Erkrankungen | |
Wie sich subtiler Druck negativ auswirken kann, zeigt der | |
überdurchschnittliche Anstieg von arbeitsbedingten Erkrankungen wie | |
Burnout. Diese gesundheitlichen Schäden sind den hohen Arbeitsanforderungen | |
geschuldet. Roman Rackwitz sieht aber vor allem die Vorteile der | |
Gamification – und schreibt unbescheidene Sätze wie: „Was die | |
Ingenieurskunst für die Industriegesellschaft bedeutet, kann Gamification | |
für die Wissensgesellschaft sein.“ | |
Macht, so eine der zentralen Thesen des Philosophen Gilles Deleuze, werde | |
heute nur noch selten von autoritären Individuen ausgeübt. In der | |
gegenwärtigen Kontrollgesellschaft funktioniert sie vor allem als | |
unsichtbare Instanz in uns selbst. | |
10 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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