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# taz.de -- Serious Games: Lernen im nächsten Level
> Auf der Karlsruher Learntec-Messe kämpfen Lernende nicht mehr um Noten,
> sondern um Level. Hinter den Games steckt die milliardenschwere
> Computerspielindustrie.
Bild: Daddelnd lernen – die Zukunft der Schule?
KARLSRUHE taz | Der Referent ist jetzt in Fahrt. "Die Königsklasse ist es
natürlich, wenn Sie das Game mit einem echten Menschen bestücken", sagt er.
"Das ist besser als jeder Avatar."
Tatsächlich taucht nun im Spiel ein alter Chinese auf. Er heißt Ding Hong,
hat ein Mao-Käppi auf dem Kopf und trägt jene Revolutionsuniform, die ihn
als Mitglied der kommunistischen Partei glaubwürdiger macht. Oder machen
soll. Ding Hong ist angetreten, eine alteingesessene niederländische
Reederei zu übernehmen, sie ist in dritter Generation in den Händen der
Familie 't Hoen.
Verhindern können die feindliche Übernahme nur noch fünf Teams. Es sind
Bewerber, sie kommen von niederländischen Unis. Sie wollen bei einer großen
Anwaltskanzlei anheuern. Aber vorher müssen sie das Game überstehen.
"Natürlich stellen wir nur die besten der Besten ein", sagt eine Stimme aus
dem Off. "Failure is not an option."
## Einstellungsspiel statt Bewerbungsgespräch
Es wird nicht geschossen in dem Game, das bereits Preise gewonnen haben
soll. Es ist das Einstellungsspiel der Kanzlei Houthoff Buruma. Sie wählt
ihre Leute nicht mehr nur über Gespräche aus, sondern testet sie vorher in
einem Spiel, einem Serious Game.
Serious Games sind Spiele, mit denen man etwas lernen kann. Solche
Lerncomputerspiele sind gerade der Renner der Branche. Auf der Learntec in
Karlsruhe, der deutschen Börse für IT-gestütztes Lernen, haben die Games
einen eigenen Bereich bekommen. Es ist der am besten funktionierende (hier
gibt es sogar freies WLAN) und der bestbesuchte.
Es werde zu einer "Gamification des Unterrichts und des Lernens kommen",
sagt Peter Henning voraus. "Wer von uns hätte sich das früher nicht
gewünscht", sagt er und meint: dass man spielend lernen kann. Henning ist
Professor an der Fachhochschule für Gestaltung und Berater der Karlsruher
Learntec. Lernen die Schüler bald, indem sie sich, statt sich durch
Klausuren zu hangeln, mit ihren Lehrern durch Welten und Levels daddeln?
"Das wird in 20 Jahren noch nicht so weit sein", sagt Christian Müller.
Dafür seien die Schule und ihre Bürokratie viel zu träge. "Deswegen sind
wir doch so weit hinten dran bei Pisa. Es ändert sich nichts." Müller ist
mit seiner Firma Core-Competence ganz vorne dran. Er ist einer der
wichtigen Anbieter von Lernspielen, allerdings nicht für den Unterricht,
sondern für die Weiterbildung.
Was Müller in Karlsruhe vorträgt, gehört in jede Weiterbildung für Lehrer.
Ziel sei es, die Lerner zu fesseln und das Gelernte später zu verankern.
Dafür eigne sich nicht die Instruktion, sondern die Konstruktion. Müller
kennt das sattsam aus den rein instruktiven E-Learning-Angeboten. "So
richtig Lust, die Einheiten freiwillig zu machen, hatten die Leute nicht."
Müller wählt andere Methoden: positive Verstärkung, Selbermachen, Spaß.
"Lassen Sie die Leute selber was erforschen - das ist immer gut", sagt er.
Die Lernenden bauen sich die Sachen zusammen.
## Identifikation und Ehrgeiz
Wenn die Untersuchungen stimmen, die Müller zitiert, dann muss das ein
großer Erfolg sein: Bei normalen E-Learning-Angeboten klicken sich nach
einer Stunde noch 2 bis 8 Prozent von Lektion zu Lektion. Bei
spielorientiertem E-Learning sind es nach über zwei Stunden immer noch 60
bis 80 Prozent. Die großen Motivatoren heißen Identifikation und Ehrgeiz.
Es geht von Level zu Level, das Verhältnis von Kampf und Konstruktion ist
wohl dosiert. "Wir sagen bewusst nicht ,lernen', sondern ,erleben' ", sagt
Müller. "Und, was sie auf keinen Fall machen dürfen: erziehen!"
Das Selbstbewusstsein von Verkäufern wie Müller ist enorm. Das hat mit der
Branche zu tun. Die Gamesindustrie hat Muskeln, sie hat die Messe im Sturm
erobert. Während drüben im Bildungsforum die baden-württembergischen
Minister vor hereintröpfelndem Publikum sprechen, stehen sich im
Games-Forum "Level up" die Zuhörer auf den Füßen. Es wird eine
Leistungsshow der Branche geboten: 1,8 Milliarden Euro Umsatz hat die
deutsche Spieleindustrie 2010 gemacht, doppelt so viel wie die Filmbranche.
Den Erfolg auf dem Unterhaltungsmarkt wollen die Spielehersteller und ihre
Theoretiker auch auf dem Feld der Lernspiele fortsetzen. Der Verband der
Computerspielindustrie, G.A.M.E, ist zugleich Partner der Mediadesign
Hochschule Berlin. Im Studiengang Gamedesign wird das Herstellen von
Spielen erforscht und gelehrt.
## Ursprüngliches Lernen
Eine der Lehrenden am Düsseldorfer Standort ist Linda Breitlauch. Sie
verrät, worin der Esprit des Spielens besteht: Es ist das ursprüngliche
Lernen. "Je jünger die Kinder, desto geringer ist der Unterschied zwischen
Spielen und Lernen." Breitlauch war die erste deutsche Professorin für
Gamedesign. Sie zitiert Studien, nach denen Computerspielen den
Intelligenzquotienten steigert. Schon Piaget habe gewusst, dass Spielen das
bessere Lernen sei; das trägt Gamedesignerin Linda Breitlauch öfter vor.
Der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget setzte sich zwar intensiv
mit dem Spielen auseinander – aber er spielte nicht am Computer. Als Piaget
1980 starb, steckten die aufwendig animierten Games in den Kinderschuhen.
Und keiner trug sie allzeit bereit in der Hosentasche mit sich herum.
Piaget dachte auch gar nicht an computer game, als er vom Spielen sprach,
sondern an play. Das ist der große Unterschied: play ist das freie Spiel,
games hingegen sind die Regelspiele. Eine Unterscheidung, die Linda
Breitlauch nicht benutzt.
Aber es ist nicht das, was Birgit Roth, die Geschäftsführerin des
Lobbyverbandes G.A.M.E., bekümmert. "Nicht jedes Kind kann jedes Spiel
spielen", seufzt sie. Will sagen: Der Ruf der Spiele ist schlecht. Vor
allem der der Egoshooter, wo man den nächsten Level nur erreicht, wenn man
immer mehr Leute umlegt.
"Wir versuchen, viele Jugendschutzmaßnahmen umzusetzen, aber wir wollen
auch über die 98,6 Prozent der normal spielenden Jugendlichen reden", sagt
Roth trotzig. Sie spielt damit auf eine Studie des Hamburger
Bredow-Instituts an. Dabei kam heraus: Nur 1,4 Prozent der jugendlichen
Spieler gelten als gefährdet oder abhängig.
## Nachfragen nicht gern gesehen
Freilich sind Nachfragen in dieser Richtung im Forum "level up" nicht gern
gesehen. Es gibt eine eigene Vortragsreihe darüber, ob Computerspiele
irgendwie gefährlich sein könnten. Alle Referenten weisen das pauschal
zurück. Studien, die einen Zusammenhang zwischen Computerspielen und Gewalt
hergestellt hätten, seien nicht haltbar. So sagt es stilbildend Sebastian
Felzmann, Doktorand der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. In einer
Metastudie will er Fallzahlen und Validität der Thesen geprüft haben. Seine
Studie zeigt er nicht. Gibt es sie überhaupt?
Aber was ist Realität und was Fiktion im Computerspiel?
Ding Hong ist die reale Figur im virtuellen Spiel der Kanzlei Hothoff
Buruma. In dem Game trägt er einen maoistischen Revolutionskittel. Einen
Kittel, so sagt es der Referent des Spieleherstellers Apunto, "den in China
heute natürlich kein Mensch mehr anhat".
8 Feb 2012
## AUTOREN
Christian Füller
## TAGS
Arbeitsmarkt
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