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# taz.de -- Streitgespräch über Schule und Online: "Kein Computer in der Grun…
> Killerspiele bringen Bildungsverlierer hervor, sagt Kriminologe Christian
> Pfeiffer. Die Web-2.0-Forscherin Ute Pannen hingegen fordert einen Laptop
> für jedes Kind.
Bild: Keine Computerwelten, nirgends: Deutsche Grundschulen 1953.
taz: Frau Pannen, Herr Pfeiffer, alle Täter bei Schulmassakern haben
Ego-Shooter gespielt, meistens exzessiv. Gibt es einen Zusammenhang
zwischen Killerspielen im Netz und dem Morden in der Realität?
Ute Pannen: Nein, es gibt keinen Zusammenhang zwischen Online-Gaming und
Massakern. Das Internet ist Spiegel unserer Gesellschaft. Da passieren die
gleichen Dinge wie in unserem Alltag, auf dem Schulhof, auf der Straße und,
leider, auch beim Verbrechen.
Christian Pfeiffer: Wer regelmäßig solche Spiele spielt, der
desensibilisiert sich gewissermaßen für das, was er anrichtet. Er stumpft
seelisch ab. Seine Hemmungen, mögliche Tatfantasien umzusetzen, nehmen ab.
Das eine löst das andere aus?
Pfeiffer: Nein, man wird kein Amokläufer, weil man Killerspiele gespielt
hat. Der Hass auf die Menschen, die man tötet, ist nicht im Netz, sondern
im realen Leben entstanden.
Pannen: Kein seelisch stabiler Mensch steht am Tag nach so einem Spiel auf,
um seine Mitschüler zu erschießen. Der normale Nutzer, der einmal pro Woche
ein Spiel konsumiert, wird durch ein solches Spiel nicht ferngesteuert und
nicht hypnotisiert.
Herr Pfeiffer, warum werden nicht alle Spieler im richtigen Leben zu
Tätern?
Pfeiffer: Die Studien zeigen, dass ein gewaltverstärkender Effekt nur bei
denen zu beobachten ist, die bereits gefährdet sind. Damit meine ich die
geprügelten Jungs, die im Leben nicht erfolgreich sind, die schwach auf den
Beinen sind und sich deswegen stark geben müssen. Diese Jungen wählen
Spiele, die Abenteuer verheißen, in denen sie Kämpferrollen einnehmen. Für
mich ist übrigens nicht die entscheidende Frage von Killerspielen, ob sie
jemanden zur Waffe greifen lassen. Mich interessiert die säkulare
Leistungskrise der Jungen.
Was meinen Sie damit?
Pfeiffer: Wir haben heute 30.000 weniger männliche Abiturienten als
weibliche - obwohl es 1990 noch gleich viele waren. Von 100 Schulabbrechern
sind 63 Prozent männlich und von den Sitzenbleibern 62 Prozent. Ursache
dafür ist, dass die Jungs viel zu viel Zeit mit dem exzessiven Konsum von
Games verplempern. Kurz gesagt: Killerspiele bringen nicht Barbaren hervor,
sondern schlicht Bildungsverlierer.
Frau Pannen, Herr Pfeiffer, bereiten die Schulen Kinder auf diese virtuelle
Welt verantwortungsvoll vor?
Pannen: Nein, in Schulen muss das Lernen mit Computern viel stärker
integriert werden. Die Schüler müssen einen bewussteren Umgang mit allen
Online-Medien lernen.
Pfeiffer: Ja, die Schulen haben hier ein großes Defizit. Die meisten Lehrer
sind überhaupt nicht imstande, Kindern etwas zu den Computerwelten zu
erklären - weil die davon viel mehr verstehen.
Pannen: Was man nicht den Lehrern vorwerfen kann, weil auch sie nicht
darauf vorbereitet wurden. Selbst junge Lehrer haben keine Unterstützung
innerhalb ihrer Ausbildung, den Umgang mit Internet und Social Media
vernünftig zu lernen.
Die Jugendlichen sind online viel besser als die Lehrer.
Pfeiffer: Das ist ja das Problem. Von allein lernen Schüler keinen
vernünftigen Umgang mit Computern. Fast 16 Prozent der 14- bis 16-jährigen
Jungen sind täglich mit viereinhalb Stunden Computerspielen dabei, von den
Mädchen aber nur 4 Prozent. Wenn man Wochenende und Ferien einbezieht, dann
verbringen Jungen mehr Zeit zu Hause sitzend vor dem Bildschirm als in der
Schule. In meinen Augen ist das eine kranke Welt - und eine krank machende.
Wie können Schule und Staat darauf reagieren?
Pfeiffer: Wir brauchen eine Ganztagsschule, die nicht nur ans Lesen und
Schreiben, sondern auch an das Internet heranführt. Und eine Schule, die
vor allem Lust auf Leben weckt: Sport treiben, Theater spielen, Musik, ganz
allgemein Herausforderungen, die genauso spannend sind wie diese Spiele.
Pannen: Wir müssen mit dem Thema Internet und Schule ganz anders umgehen.
Die "Enquetekommission für Internet und Digitale Gesellschaft" schlägt so
etwas wie eine digitale Bildungsrevolution vor: Sie beginnt mit "One Laptop
Per Child".
Pfeiffer: Je Kind ein Laptop?
Pannen: Ja.
Pfeiffer: Um Gottes willen. Jede Stunde Bildschirmkonsum im
Kindergartenalter erhöht das Risiko von Hyperaktivität. Und verringert die
Chance, das Leben mit anderen Kindern in direkter Interaktion zu erobern.
Pannen: Stopp! Kinder sind auch Schulkinder, Herr Pfeiffer. Kindsein endet
doch nicht mit sechs Jahren. One laptop per child heißt ja auch Betreuung.
Die Grundannahme ist, dass jeder Schüler einen mobilen Computer haben muss,
um den Anforderungen unserer Gesellschaft künftig gerecht werden zu können.
Frau Pannen, Herr Pfeiffer, die Grundschule als der letzte Hort der
analogen Welt. Wäre das in Ihren Augen ein Gewinn - oder ein
Horrorszenario?
Pannen: Kein Gewinn: Grundschülern würden so wichtige Möglichkeiten des
Lernens abgeschnitten.
Pfeiffer: Ich warne davor. Wer Kinder zu früh mit dem Bildschirm
konfrontiert, der weckt erst die Lust am eigenen Gerät. In der Grundschule
brauchen Kinder grundsätzlich keine Computer, sondern Natur.
Pannen: Nein, ab sechs Jahren sollte man mit dem Online-Lernen an Computern
beginnen. Medienwissenschaftler empfehlen in Studien sogar, auch im
Kindergarten den Laptop nicht vor den Kindern zu verstecken, sondern sie -
genau wie man sie ans Fernsehen heranführt - in den verantwortlichen Umgang
mit Computern einzuüben.
Pfeiffer: Entschuldigen Sie, diese Erkenntnisse stammen aus Studien, die
die Industrie finanziert hat. All das, was sie an pädagogischen Träumereien
erzählen - für Kinder im Grundschulalter ist das nicht mehr als eine vage
Hoffnung. Kinder unter zehn Jahren können mit Computern nicht
verantwortungsvoll umgehen, Frau Pannen.
Pannen: Sie tun so, als würde vom Laptop eine ansteckende Krankheit
ausgehen. Wichtig ist, dass die Kinder gut begleitet ans Internet
herangeführt werden. Wenn wir in einer Gesellschaft mit Mobilität und
Interaktivität leben, dann brauchen wir eine digitale Bildungsrevolution.
Was soll das Ihrer Ansicht nach sein?
Pannen: Digitale Endgeräte wie Tablet-PC, Netbook oder sogenannte White
Boards müssen ganz selbstverständlicher Teil des Unterrichts werden. Wir
brauchen ein projektorientiertes Arbeiten mit Lernsoftware und
multimedialen Angeboten. Nur so können wir Jugendliche auf die
Herausforderungen vorbereiten, mit denen sie später als Erwachsene
konfrontiert werden: Im Netz schnell und effizient recherchieren zu können.
Die Lehrer bekommen dabei eine ganz neue Rolle: Ihr Job ist es nicht mehr,
Wissen verbal weiter zu geben, sondern Rechercheberater der Kinder zu sein.
Die Schüler setzen sich selbst ihre Lernziele, die Lehrer moderieren viel
mehr.
Wollen Sie damit sagen, dass durch Online-Medien im Unterricht der ganze
Bildungsbegriff verändert wird.
Pannen: Ja, die Form des Lernens wird sich grundsätzlich ändern: Es wird
viel selbständiger. Medien wie das Smartphone mit Netzzugang und
Vokabel-App werden selbstverständlich benutzt werden. Die Säulen für das
Lernen der Zukunft sind interaktive, ortsunabhängige und communitybasierte
Medien.
Pfeiffer: Ich gebe Frau Pannen recht. Das Problem ist, dass unsere
Einrichtungen immer noch Paukanstalten sind, die per Frontalunterricht
Wissen in den Kopf der Kinder stopfen wollen. Wir haben noch nicht
begriffen, dass es heute stärker darauf ankommt, Kinder neugierig zu
machen, selbst zu lernen und zu forschen. Aber wir dürfen unsere Schulen
auch nicht zu einer Art Internetcafés machen.
Es wird gern vom kollaborativen Lernen gesprochen, was bedeutet dieser
Begriff?
Pannen: Das ist eine ganz neue Lernerfahrung. Online-Medien geben uns neue
Formen des gemeinsamen Denkens, Schreibens und Lernens. Zum Beispiel könne
wir in einem Google-doc, Kroko-doc oder Etherpad gemeinsam schreiben - und
dabei auch ganz viele soziale Fähigkeiten erlernen.
Was müssen Kinder in der Schule lernen, um sich in der virtuellen Welt
zurechtzufinden: Schreibmaschine - oder Urteilskraft?
Pfeiffer: Natürlich kann man es nicht auf Schreibmaschine reduzieren, was
Schüler lernen müssen. Sie müssen lernen, die Gefahren zu erkennen und
einzuschätzen. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Chatpartner der 12-,
13-, 14-Jährigen gar nicht 14 sind - auch wenn sie so tun, als wären sie
gleichaltrig. Pädophile nutzen das Internet.
Pannen: Kinder müssen meines Erachtens nicht tippen lernen. Das stammt doch
aus einer anderen Zeit! Kinder müssen verstehen, wie viel Zeitmanagement,
Selbstmotivation und Selbstdisziplin sie im Netz brauchen. Vor allem müssen
sie lernen, was im Internet wahr ist.
Was fehlt den Schulen an Infrastruktur?
Pannen: Beinahe alles! Die Lehrerausbildung muss intensiviert werden. Zudem
muss die Hardware stimmen. Es ist nicht Standard, dass in jedem Klassenraum
ein Rechner steht. Wir stehen ganz am Anfang.
26 Oct 2011
## AUTOREN
C. Füller
T. Konitzer
## TAGS
Grundschule
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