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# taz.de -- Überwachungshandy für den Nachwuchs: Das gläserne Kind
> Dank "Geofencing" können Eltern jederzeit sehen, wo sich ihre Kinder
> aufhalten. Doch die Technik dient vor allem der Beruhigung der Eltern -
> und schadet Kindern.
Bild: Elterliche Sorge als Geschäftsmodell: Kids-Locator.
BERLIN taz | Technik hat die Zwischenmenschlichkeit revolutioniert. Seit
dem Buchdruck hat sich unser Kommunikationsradius, und damit unser
Horizont, stetig erweitert. Heute können wir geliebten Menschen nahe sein,
ohne in ihrer Nähe zu sein. Wir können geistig da, ohne körperlich anwesend
zu sein. Die Technik hat Zwischenmenschlichkeit vernetzt.
Doch in immer mehr Lebensbereichen werden Beziehungen durch Technik
ersetzt, statt nur ergänzt. Das ist gefährlich, wenn dabei menschliches
Kapital durch den Rost fällt. Die Zerstörungskraft der Börsencomputer ist
da nur ein offensichtliches Beispiel.
Vertrauen ist menschliches Kapital. Wer seinem Kind nicht vertraut, der
kann es kontrollieren. Auf Schritt und Tritt. Mit einem Kids-Locator, einem
verdrahteten Kinderhandy, das es besorgten Eltern ermöglicht, die
Bewegungsrouten ihres Kindes jederzeit nachzuverfolgen.
## Kontrolle statt Vertrauen
Das System dahinter heißt "geofencing" - Errichten elektronischer Zäune.
Eigentlich zieht man diese Zäune um Urantransporte, Geldkoffer oder
Rindvieh. Immer öfter aber eben auch um Kinder. Jetzt kommt ein neues
Angebot auf den Markt: das "Fröschli" verfügt über fünf Tasten - und einen
Peilsender. Sobald der Sprössling ein vordefiniertes Gebiet verlässt, wird
Mutti oder Vati per Handy oder PC über den genauen Aufenthaltsort
informiert. Technische Kontrolle also statt menschlichem Vertrauen.
Der Kopf hinterm "Fröschli", Guido Honneger, hat damit kein Problem. "Wir
wollen die Eltern nicht dazu anhalten, ihrem Kind nachzuspionieren. Aber es
gibt immer wieder Situationen, da erscheint ein Kind nicht zum abgemachten
Zeitpunkt zu Hause", sagte er der Neuen Züricher Zeitung. "Da ist es doch
absolut zulässig, dass ich als Vater abkläre, wo der Filius oder das
Töchterlein geblieben ist". Sicher ist das zulässig, problematisch ist
vielmehr die Wahl der Mittel. Denn so ein drolliges Fröschli ist auch ein
Misstrauensvotum.
Dabei sollten Eltern ihren Kindern unbedingt Vertrauen vermitteln statt sie
in digitale Gehege zu sperren. "Als Präventionsmaßnahme ist Vertrauen
weitaus effektiver", weiß die Hamburger Kinderpsychologin Saskia Pfähler.
Erst kürzlich hatte sie mit einem Heranwachsenden zu tun, dessen Eltern
sein Handy ständig als Kontrollwerkzeug missbrauchten.
Ein gläsernes Kind konnten sie sich so aber nicht bauen. Im Gegenteil: "Der
Kontrollwahn seitens der Eltern schafft ein Klima des gegenseitigen
Misstrauens, in dem sich Kinder erst recht nicht öffnen, sondern vielmehr
verschließen".
Das kann fatale Folgen haben. Schließlich ereignet sich der Großteil der
Übergriffe im näheren Umfeld der Kinder. "Mit einem kontroll-orientierten
Erziehungsstil verbauen sich Eltern die Chance, dass ihr Kind sich ihnen
anvertraut, wenn der Onkel oder der Lehrer tatsächlich mal etwas Komisches
macht", sagt Pfähler.
Das liege daran, dass derartige Erfahrungen für Kinder außerordentlich
schambesetzt sind. Ein stabiles Vertrauensverhältnis ermutigt sie, sich
anzuvertrauen - Übermäßige Kontrolle läuft einer offenen Beziehung zuwider.
## "Ein Kind muss sich beweisen dürfen"
Dass der Einsatz der Kids-Locator der falsche Weg ist, um Gefahren vom
Nachwuchs abzuwenden, findet auch Paula Honkanen-Schoberth,
Bundesgeschäftsführerin des deutschen Kinderschutzbundes. Dort ist man
schon vor einiger Zeit auf die Tracking-Syteme aufmerksam geworden. "Indem
sie das Bewusstsein über hypothetische Gefahren ständig wach halten,
schüren solche Programme eine Atmosphäre der Angst, die Kinder und Eltern
verunsichert", sagte sie taz.de. Ohnehin seien die elektronischen Zäune nur
eine Scheinmaßnahme: "Die Täter lassen sich nicht von eventuellen
Ortungshandys abschrecken, so ein technisches Gerät hilft wenig".
Die negativen Folgen der virtuellen Hundeleinen für die
Persönlichkeitsbildung können dagegen sehr real sein. "Autonomie ist ein
Grundbedürfnis, vor allem bei Heranwachsenden", unterstreicht Saskia
Pfähler. Natürlich sei ein gewisses Maß an Kontrolle unerlässlich. Dabei
solle man seine Kinder aber wie Menschen und nicht wie Untergebene
behandeln. "Raum für Geheimnisse ist essentiell, das hat viel mit Respekt
zu tun".
Statt es zu überwachen, solle man sein Kind immer wieder "beweisen lassen,
dass das Vertrauen, das man in es setzt, berechtigt ist". Indem man dem
jungen Menschen dauernd suggeriert, dass er nicht auf sich alleine
aufpassen kann, mache man ihn zu einem Hilfebedürftigen. "Das kann zu einer
selbsterfüllenden Prophezeiung führen, das läuft einem gesunden
Selbstvertrauen zuwider", konstatiert Pfähler.
Technik führt Menschen nicht nur zusammen, sie kann uns auch
auseinandertreiben. Statt realen Schutz zu schaffen, wiegen Kontrollsysteme
wie das Fröschli Eltern in virtueller Sicherheit. Möglicherweise auf Kosten
eines vertrauensvollen Verhältnisses zu ihren Kindern.
30 Oct 2011
## AUTOREN
Felix Kartte
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