| # taz.de -- Sterbehilfe in Deutschland: Aus der Schublade gezogen | |
| > Die Debatte um Sterbehilfe ist wieder entbrannt. So erhält ein alter | |
| > Gesetzentwurf neue Brisanz, der auch ärztliche Beihilfe unter Strafe | |
| > stellen will. | |
| Bild: Harmloser Kommerz oder Verbrechen? Sterbezimmer von Dignitas in Zürich. | |
| BERLIN taz | Wie wollen wir sterben? Wie damit umgehen, wenn Schwerstkranke | |
| ihrem Leben ein Ende setzen möchten? Ihnen helfen? Oder besser jegliche | |
| Beihilfe zur Selbsttötung verbieten? Und was überhaupt ist Würde am | |
| Lebensende? Es sind große Fragen, die zur zentralen Ethikdebatte des Jahres | |
| werden könnten. | |
| Als einer der Ersten wagt sich nun der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert | |
| Hüppe mit einem eigenen Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit. „Die | |
| organisierte, geschäftsmäßige und selbstsüchtige Förderung des Suizids" | |
| sollte seiner Meinung nach am Lebensende nicht erlaubt sein. Hüppe, 57, war | |
| bis vor Kurzem Behindertenbeauftragter der Regierung und ist so etwas wie | |
| das ethische Gewissen des konservativen Flügels der Union. | |
| Auf zwölf Seiten wird in dem Entwurf die Beihilfe zum Sterben „als | |
| gesellschaftliches Problem“ verhandelt, dem Hüppe mit Paragrafen begegnen | |
| möchte: „Der Gesetzentwurf schlägt daher vor, die auf wiederholte | |
| Tatbegehung gerichtete Suizidunterstützung durch Einzelpersonen oder | |
| organisierte Personengruppen strafrechtlich zu verbieten“, heißt es darin. | |
| Bestraft werden soll zudem die Förderung des Suizids „aus selbstsüchtigen | |
| Motiven“, also etwa, wenn jemand den Todeswunsch eines Angehörigen | |
| unterstützt, um schneller an das Erbe zu kommen. Wie das nachgewiesen | |
| werden soll, lässt das Papier offen. Daneben soll sogar die „Werbung zur | |
| Förderung von Selbsttötungen“ verboten werden, etwa in Anzeigen - unter | |
| Androhung einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. | |
| Das Werk des CDU-Politikers ist nicht mit der heißen Nadel gestrickt, nur | |
| weil der neue Gesundheitsminister Hermann Gröhe jetzt eine Neuregelung der | |
| Suizidhilfe anstrebt. Hüppe hat es bereits seit mehr als einem Jahr fertig. | |
| Veröffentlicht oder gar ins Parlament eingebracht hat Hüppe den Entwurf | |
| indes nicht. Bislang. „Der Entwurf“, sagt Hüppe, „war Ende 2012 | |
| ursprünglich gedacht als Alternative zu dem Vorschlag der damaligen | |
| FDP-Justizministerin.“ Weil sich Union und FDP damals aber nicht einig | |
| wurden über eine Neuregelung, blieb alles beim Alten: Beihilfe zum Suizid | |
| ist in Deutschland straffrei. | |
| ## Ärztliche Beihilfe verbieten | |
| Jetzt aber ist die Debatte erneut entbrannt - und damit bekommt Hüppes | |
| Gesetzentwurf Brisanz: Ob er ihn demnächst zur Abstimmung stellen wird, | |
| will Hüppe von der Diskussion in den nächsten Wochen abhängig machen, auch | |
| von der in seiner eigenen Fraktion. „Inhaltlich“, sagt Hüppe, „stehe ich | |
| weiterhin dazu.“ Ihm gehe es vor allem darum, Sterbehilfeorganisationen wie | |
| Dignitas oder die des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch zu | |
| verbieten. Das sei aber nur möglich, wenn sich das Verbot sowohl auf die | |
| organisierte als auch auf die gewerbsmäßige Sterbehilfe erstreckt. | |
| Die Regelung, die Hüppe anstrebt, wäre eine der restriktivsten überhaupt. | |
| Hüppe erkennt in Sterbehilfeorganisationen „die Gefahr, dass unter dem | |
| Mantel der vermeintlichen Selbstbestimmung am Lebensende die Solidarität | |
| ausgehöhlt wird, dass alte und kranke Menschen unter Druck gesetzt werden | |
| und sich als Last empfinden“. | |
| Auch die Rolle von Ärzten will Hüppe geregelt wissen. Derzeit befinden sich | |
| Mediziner in einem Dilemma. Nach deutschem Strafrecht ist die Beihilfe zum | |
| Suizid, wie gesagt, bislang nicht verboten. Wer also einem Menschen, der | |
| sterben möchte, hilft, indem er ihm etwa tödliche Medikamente besorgt, der | |
| wird in Deutschland nicht bestraft - es sei denn, er ist Arzt: Dann droht | |
| ihm zwar keine Sanktion nach dem Strafgesetzbuch, er riskiert aber nach dem | |
| Standesrecht für Ärzte seine Approbation. So hat es der Deutsche Ärztetag | |
| 2011 beschlossen. | |
| Hubert Hüppe will ärztliche Beihilfe nun auch gesetzlich unter Strafe | |
| stellen. Er begründet das mit einer Aussage von Goethes Leibarzt Christoph | |
| Wilhelm Hufeland: „Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben | |
| erhalten, ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, | |
| dies geht ihn nichts an“, hatte der gesagt. | |
| ## Pflegereform als Alternative | |
| Doch derlei Forderungen gehen selbst Parlamentariern, die mit einer | |
| Verbotsregelung sympathisieren, zu weit. Die Bundestagsabgeordneten | |
| Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe etwa, die die Debatte innerhalb der | |
| grünen Bundestagsfraktion koordinieren, „tendieren zwar dazu, die | |
| gewerblich orientierte und organisierte Beihilfe zum Suizid unter Strafe | |
| stellen zu wollen“, wie Scharfenberg es formuliert. „Eine besondere | |
| Strafvorschrift für Ärztinnen und Ärzte halte ich aber nicht für | |
| notwendig“, sagt Terpe, von Beruf Facharzt für Pathologie. „Die ärztliche | |
| Berufsordnung ist in dieser Frage eindeutig. Von dem bislang geplanten | |
| Verbot der organisierten Sterbehilfe wären ohnehin auch Ärzte umfasst.“ | |
| Scharfenberg gibt zudem zu bedenken, dass der Handlungsdruck auf anderen | |
| Feldern, die ebenfalls mit dem Lebensende verknüpft sind, dringlicher sei: | |
| „Viele Probleme würden sich gar nicht ergeben, wenn die Regierung endlich | |
| eine Pflegereform in Angriff nähme, die den Menschen ein Altern und Sterben | |
| in Würde ermöglicht“, sagt sie. | |
| Die Linksfraktion hat sich inhaltlich noch nicht positioniert. „Für uns ist | |
| die Sterbehilfe nicht das Thema, das ganz oben auf der Tagesordnung steht“, | |
| sagt ihr Pressesprecher. | |
| Derweil zeichnet sich im Parlament eine Mehrheit für ein Verbot ab. Unklar | |
| ist, wie strikt dieses ausfallen wird. Union, SPD und Grüne rechnen mit | |
| einem Diskussionsprozess, der „mindestens ein Jahr dauern wird“, wie die | |
| SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann sagt: „Wichtig ist, dass wir uns | |
| bei diesem ethisch komplizierten und emotional aufgeladenen Thema | |
| ausreichend Zeit lassen.“ | |
| Reimann, die das Thema in der SPD mitkoordiniert, könnte sich auch | |
| vorstellen, am Ende ganz ohne gesetzliche Regelung auszukommen. „Viele | |
| Menschen haben Angst vor dem Kontrollverlust, sie fürchten Schmerzen, | |
| Atemnot und Leid“, sagt sie. Daher sei die Zustimmung zur Sterbebeihilfe in | |
| Umfragen sehr hoch. „Wenn Sie dann aber diesen Menschen klarmachen, was | |
| palliativmedizinisch alles möglich ist, dann wollen die meisten nur noch | |
| wissen, wie sie ihre Patientenverfügungen ausfüllen müssen, um ebendieses | |
| Leid zu vermeiden.“ | |
| Schon heute dürften Ärzte sterbenskranke Menschen in einen Schlaf | |
| versetzen, aus dem sie nicht mehr aufwachen. Oder Schmerzmittel so | |
| dosieren, dass sie lebensverkürzend wirken. Fraglich sei, „ob wir für die | |
| wenigen Extremfälle, die wirklich sterben wollen, etwa weil sie gelähmt und | |
| in ihrem eigenen Körper gefangen sind, eine gesetzliche Regelung brauchen“. | |
| Sie selbst sei in dieser Frage unentschieden. „Ich glaube allerdings, dass | |
| es kein Anrecht darauf gibt, diese Hilfe zum Sterben von einem Angehörigen | |
| oder einem Arzt zu verlangen.“ | |
| 6 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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