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# taz.de -- Kommentar Anklage wegen Suizidhilfe: Politische Justiz
> Organisierte Suizidhilfe steht noch nicht unter Strafe. Doch Funktionäre
> vom Verein „Sterbehilfe Deutschland“ werden angeklagt. Eine Kampagne?
Bild: Falls Roger Kusch (l.) und der Psychiater Johann Friedrich Splitter verur…
Eigentlich ist die Selbsttötung in Deutschland nicht strafbar. Und deshalb
ist die Beihilfe zur Selbsttötung ebenfalls straffrei. Letzteres will eine
interfraktionelle Mehrheit der Bundestags-Abgeordneten jedoch ändern. Die
organisierte Hilfe zur Selbsttötung soll künftig unter Strafe stehen, so
ihr Ziel, es soll keinen „Anreiz“ zur Selbsttötung geben.
Treffen wollen die Abgeordneten damit vor allem den Hamburger Verein
„Sterbehilfe Deutschland“ von Ex-Justizsenator Roger Kusch. Nach eigenen
Angaben hat er seit seiner Gründung vor vier Jahren bereits 118 Menschen
beim Suizid geholfen, meist indem man den Sterbewilligen todbringende
Medikamente besorgte, die diese dann selbständig einnahmen.
Vor wenigen Tagen jedoch hat die Hamburger Staatsanwaltschaft Anklage gegen
Kusch und den Arzt Johann Friedrich Spittler wegen Totschlags erhoben. Sie
sollen den Tod von zwei alten Frauen verursacht haben. Diese haben sich
zwar selbst getötet, aber weil Kusch und Spittler die „Tatherrschaft“
hatten, sieht die Staatsanwaltschaft die beiden als „mittelbare Täter“ an.
Was für ein Konstrukt! Die Tatherrschaft sollen Kusch und Spittler
übernommen haben, weil sie die Damen nicht über Alternativen zum Suizid
aufgeklärt haben - so als ob lebenserfahrene Frauen dieses Alters nicht von
selbst wüssten, dass man auch weiterleben könnte. Und deshalb sollen die
beiden Frauen nicht selbstbestimmt gehandelt haben, sondern fremdbestimmte
Werkzeuge ihrer eigenen Tötung gewesen sein. Wäre es nicht ein so ernstes
Themas, müsste man lachen angesichts der bizarren Begründung.
## Für eine selbstbestimmte Lebensbeendigung
Nur ein Punkt der bisher bekannt gewordenen Anklage-Argumentation macht
wirklich nachdenklich. Danach habe sich eine der alten Damen am
vorgesehenen Todestag betroffen gezeigt, geweint und mit ihrer Entscheidung
gehadert. Spittler habe daraufhin die Suizid-Vorbereitungen aber nicht
abgebrochen, sondern die zweifelnde Dame wieder in ihrem Entschluss
bestärkt. Wenn die Vereinsaktivisten das nicht ausräumen können, haben sie
zurecht ein Problem.
Die politische Diskussion in Berlin wird das Hamburger Verfahren aber auf
jeden Fall befeuern. Falls Kusch und Spittler am Ende verurteilt werden,
sind sie stigmatisiert. Dann ist es leichter, die Vereinstätigkeit generell
strafrechtlich zu verbieten – obwohl sich in Umfragen immer eine Mehrheit
der Bevölkerung für die Möglichkeit einer selbstbestimmten Lebensbeendigung
ausspricht.
Und falls Kusch und Spittler am Ende freigesprochen werden, dürfte dies als
Beleg für die angebliche Strafbarkeitslücke gelten, die dringend
geschlossen werden muss – indem der Bundestag die Vereinstätigkeit generell
unter Strafe stellt.
Die Annahme liegt also nahe, dass die Hamburger Anklage vor allem politisch
motiviert ist. Und dennoch könnte sie sich als Eigentor erweisen. Wenn der
Fall erst bei der Justiz liegt, dann könnten viele zweifelnde Abgeordnete
sagen, nun solle erst einmal eine höchstrichterliche Klärung abgewartet
werden, bevor der Bundestag einen Schnellschuss macht. Und so könnte auch
diese Wahlperiode vergehen, ohne dass der Bundestag ein Strafgesetz zur
organisierten Suizidhilfe beschließt. Und in der nächsten Wahlperiode ist
dann vielleicht wieder eine liberale Partei in der Regierung.
14 May 2014
## AUTOREN
Christian Rath
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