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# taz.de -- Sterbehilfe in Europa: Richter urteilen über Leben und Tod
> In Frankreich ist die Debatte über passive Sterbehilfe neu entbrannt. In
> Großbritannien lehnten die obersten Richter das Recht auf aktive
> Sterbehilfe ab.
Bild: Bei bis zu 25.000 Franzosen im Jahr stellen Ärzte die lebenserhaltenden …
PAU/PARIS/LONDON afp/rtr | In Frankreich ist die Debatte über Sterbehilfe
durch zwei aktuelle Fälle wieder voll entbrannt. In einem
aufsehenerregenden Prozess wurde am Mittwoch der Krankenhausarzt Nicolas
Bonnemaison freigesprochen, der sieben sehr alten Patienten an ihrem
Lebensende todbringende Medikamente verabreicht hatte.
Zudem ging der erbitterte Rechtsstreit um den Querschnittsgelähmten Vincent
Lambert, dessen künstliche Ernährung eingestellt werden könnte, beim
Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weiter.
Die Geschworenen des Gerichts in der südwestfranzösischen Stadt Pau
sprachen den Notfallmediziner Bonnemaison von allen Anklagepunkten frei.
Bonnemaison hatte im Krankenhaus der südfranzösischen Stadt Bayonne
zwischen 2010 und 2011 sieben sehr alten und unheilbar kranken Patienten
ohne Absprache mit anderen Ärzten oder Angehörigen Medikamente verabreicht,
die den Tod der an ihrem Lebensende stehenden Patienten beschleunigten. Dem
53-Jährigen drohte wegen „Vergiftung besonders verletzlicher Personen“ eine
lebenslange Haftstrafe.
Bonnemaison bestreitet die Verabreichung der Medikamente nicht, verteidigte
sich aber, er habe den Patienten Leid ersparen wollen. „Ich denke, es
gehört zur Pflicht des Arztes, seine Patienten bis ans Ende vom Ende zu
begleiten“, sagte Bonnemaison am Mittwochmorgen in seinem Schlusswort.
Die Staatsanwaltschaft hatte am Dienstag fünf Jahre Haft mit möglicher
Bewährung gefordert, nicht aber ein Berufsverbot. „Nein, Sie sind kein
Mörder“, sagte Anklagevertreter Marc Mariée. „Sie wollten nichts Schlecht…
tun.“ Das Gesetz verbiete es aber, Menschen zu töten. Als der Vorsitzende
Richter am Mittwoch den Freispruch verkündete, brandete im Gerichtssaal
lauter Applaus auf.
## Unklare Rechtslage
In der Sterbehilfe-Debatte sorgt noch ein zweiter Fall für Aufregung:
Frankreichs Oberstes Verwaltungsgericht verfügte am Dienstag, dass die
künstliche Ernährung des seit einem Verkehrsunfall vor sechs Jahren
querschnittsgelähmten Vincent Lambert eingestellt werden darf, wie es seine
Ärzte, seine Frau und weitere Verwandte fordern. Bei dem 38-Jährigen sind
laut Ärzten kaum mehr Bewusstseinsanzeichen vorhanden.
Lamberts tief religiöse Eltern wollen ein Abschalten der Geräte aber
verhindern und zogen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg. Dieser forderte am Dienstagabend, Lambert bis zu einem
endgültigen Beschluss weiter am Leben zu erhalten.
In Frankreich werden pro Jahr bei bis zu 25.000 Menschen die
lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt. Präsident Francois Hollande hat
angekündigt, die 2005 erlassenen Gesetze zu reformieren. Sie enthalten nach
Ansicht von Experten juristische Grauzonen.
## Klage nach Schlaganfall in Großbritannien
Unterdessen hat die umstrittene Sterbehilfe auch das oberste Gericht
Großbritanniens beschäftigt, das am Mittwoch ein Recht auf aktive
Sterbehilfe für zwei behinderte Kläger abgelehnte. Sieben von neun Richtern
des Supreme Court in London urteilten, es sei keine Verletzung der
Menschenrechte, dass den Klägern Tötung auf Verlangen durch das gesetzliche
Verbot aktiver Sterbehilfe verwehrt bleibe. Die Richter hatten darüber zu
entscheiden, ob das britische Verbot aktiver Sterbehilfe dem in der
Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Schutz von Privatleben
und Familie widerspreche.
Geklagt hatte ein inzwischen verstorbener Mann, der einen Schlaganfall
erlitten hatte und seitdem nur mit den Augen kommunizieren konnte. Seine
Ehefrau führte das Verfahren nach seinem Tod fort. Sein Fall hatte in
Großbritannien für großes Aufsehen gesorgt. Am Ende verweigerte er die
Nahrungsaufnahme und starb an einer Lungenentzündung. Seine Frau sagte nach
der Urteilsverkündung, sie sei enttäuscht, dass die Klage abgewiesen wurde.
Dennoch erhöhe es den Druck auf das Parlament, sich mit dem Thema zu
befassen.
Zudem hatte ein gelähmter Mann geklagt, der seit einem Unfall nur noch eine
Hand bewegen kann und unter Schmerzen leidet. Auch ein dritter Mann, der
vom Gericht Klarheit über die Regelungen zur aktiven Sterbehilfe einklagen
wollte, scheiterte mit seiner Klage. Er wollte geklärt haben, ob ein Arzt
oder Pfleger mit ihm in die Schweiz reisen kann, um dort aktive Sterbehilfe
in Anspruch zu nehmen.
26 Jun 2014
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