# taz.de -- BGH-Grundsatzurteil zu Heimkosten: Sohn sein verjährt nicht | |
> Ein 60-jähriger muss einen Teil der Pflege seines toten Vaters bezahlen – | |
> obwohl dieser vor 40 Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. | |
Bild: Nur ein Schatten der Vergangenheit? Nicht zwingend. | |
KARLSRUHE taz | Wenn Eltern den Kontakt zu fast volljährigen Kindern | |
abbrechen, müssen diese später dennoch für die Heimkosten der Eltern | |
bezahlen. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch in einem | |
Grundsatzurteil. | |
Zugrunde lag ein Fall aus Bremen. Dort lebte ein früherer Friseur ab 2008 | |
im Pflegeheim. Als seine Ersparnisse aufgebraucht waren, übernahm das | |
Bremer Sozialamt rund 30.000 Euro an Kosten. 2012 starb der Mann mit 90 | |
Jahren. Das Sozialamt wollte zumindest einen Teil der Kosten, rund 9.000 | |
Euro, vom heute 60-jährigen Sohn, einem Beamten aus Delmenhorst, erstattet | |
bekommen. Dies entspreche seiner Unterhaltspflicht. | |
Der Sohn wollte aber nicht zahlen, weil der Vater schon vor Jahrzehnten den | |
Kontakt zu ihm abgebrochen hatte. Die Ehe der Eltern war einst unglücklich | |
gewesen, Mutter und Vater hatten außereheliche Affären, der Vater trank und | |
behandelte die Mutter schlecht. Diese ließ sich deshalb 1971 scheiden. Da | |
war der Sohn knapp 18 Jahre alt. Im ersten Jahr nach der Scheidung schrieb | |
der Vater noch gelegentlich Postkarten, und der Sohn besuchte den Vater in | |
seinem Friseursalon. | |
Doch dann wollte der Vater von seinem Sohn nichts mehr wissen. Als der das | |
Abitur bestanden hatte, gab’s vom Vater nur ein Achselzucken. Als der Sohn | |
dem Vater von der bevorstehenden Verlobung erzählte, sagte dieser nur: „Du | |
bist ja verrückt.“ Den Sohn kränkte das demonstrative Desinteresse seines | |
Vaters derart, dass er nun auch keinen Kontakt mehr suchte. 1998 enterbte | |
der Vater den Sohn sogar und beschränkte ihn auf den Pflichtteil. Als Erbin | |
setzte er seine neue Lebensgefährtin ein. | |
## Die erste Instanz entschied für den Sohn | |
Das Oberlandesgericht Oldenburg entschied im Oktober 2012 zugunsten des | |
Sohns. Der Vater habe sein Recht auf Unterhalt „verwirkt“. Der völlige | |
Bruch mit dem Sohn offenbare „einen groben Mangel an elterlicher | |
Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme“. Der Sohn müsse deshalb | |
nicht für die Heimkosten aufkommen. | |
Der BGH entschied nun zugunsten des Sozialamts. „Das Verhalten des Vaters | |
war zwar eine Verfehlung, aber keine schwere Verfehlung“, sagte der | |
Vorsitzende Richter Hans-Joachim Dose zur Begründung. Die Unterscheidung | |
ist wichtig: Das Gesetz lässt den Unterhaltsanspruch von Vater und Mutter | |
entfallen, wenn diese gegenüber dem Kind eine schwere Verfehlung begangen | |
haben und deshalb die Unterhaltszahlung „grob unbillig“ wäre (§ 1611 BGB). | |
Eine einfache Verfehlung genügt nicht. | |
Der BGH wertete das Verhalten des Friseurs nicht als schwere Verfehlung, | |
weil er den Kontakt zu seinem Sohn erst abbrach, als dieser schon fast | |
volljährig war. „Bis zu seinem 17. Lebensjahr hat er sich aber um ihn | |
gekümmert“, sagte Richter Dose. Zum Vergleich schilderte er den Fall einer | |
Frau, die ohne ihr Kleinkind nach Amerika auswanderte und das kleine | |
Mädchen bei den Großeltern zurückließ. Hier hatte der BGH 2004 eine schwere | |
Verfehlung angenommen. Der BGH ließ nun offen, ab welchem Kindesalter er | |
den Kontaktabbruch als schwere Verfehlung wertet. Es werden wohl weitere | |
Urteile zur Klärung erforderlich sein. | |
## Weitere Vorwürfe gegen den Vater | |
Im konkreten Fall hatte der Sohn noch andere Vorwürfe gegen den Vater | |
erhoben, um seine Unterhaltspflicht abzuwenden. So soll der Vater in einem | |
Ehestreit den Sohn, der der Mutter zu Hilfe eilte, in die Glasscheibe eines | |
Schranks gestoßen haben, so dass dieser mit dem Kopf in der Scheibe | |
steckte. Auch soll der Vater nach seinem Auszug kaum Unterhalt gezahlt | |
haben. | |
Der BGH ging auf diese Vorwürfe, die in den Medien eine große Rolle | |
spielten, jedoch nicht ein, weil sie schon in den Vorinstanzen nicht | |
bewiesen werden konnten. Die Enterbung des Sohnes wertete der BGH nicht | |
einmal als Pflichtverstoß. Der Friseur habe nur seine Testierfreiheit | |
genutzt. | |
Richter Dose betonte, dass der BGH beim Elternunterhalt ja ansonsten sehr | |
großzügig sei. Es gebe einen ungewöhnlich großen Selbstbehalt von 1.600 | |
Euro monatlich, der Kindern auf jeden Fall bleibe. Auch eine selbstgenutze | |
Immobilie und Ersparnisse zur Altersvorsorge müssten nicht verwertet | |
werden, um Unterhalt zu bezahlen. Diese Erleichterungen aus früheren | |
Urteilen kommen nun auch dem Beamten aus Delmenhorst zugute. (Az.: XII ZB | |
607/12) | |
12 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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