# taz.de -- NSA-Untersuchungsausschuss: Das Hoffen auf den Topzeugen | |
> Am Donnerstag wird der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag beantragt. | |
> Schafft Hans-Christian Ströbele es nun, Snowden nach Berlin zu holen? | |
Bild: Warten auf Edward: Hans-Christian Ströbele. | |
BERLIN taz | Der wichtigste Beweisantrag steht. Hans-Christian Ströbele hat | |
ihn im Kopf längst skizziert. Zu laden sei der Zeuge Edward Joseph Snowden, | |
wird es darin heißen. Gleich nach der Konstituierung des | |
NSA-Untersuchungsausschusses werde die Opposition den Antrag einbringen, | |
sagt der Grünen-Abgeordnete. | |
Am Donnerstag soll im Bundestag der Ausschuss zur NSA-Affäre auf den Weg | |
gebracht werden. Mit der „Drucksache 18/420“ werden Grüne und Linkspartei | |
das Projekt im Plenum einbringen. Auch die Koalition wird einen eigenen | |
Antrag stellen. Anfang März soll das Gremium die Arbeit aufnehmen – rund | |
neun Monate also nachdem der Whistleblower Edward Snowden 1,7 Millionen | |
Dateien der NSA außer Landes schmuggelte. | |
Genau mit diesem Mann soll der Ausschuss beginnen, zumindest wenn es nach | |
der Opposition geht. Für Grüne und Linkspartei ist Snowden der Topzeuge; er | |
dürfte der einzige bleiben, der direkt aus dem Inneren der NSA berichten | |
könnte. Doch die USA verfolgen den 30-Jährigen nach wie vor als | |
Kriminellen. Das Auslieferungsersuchen aus Washington liegt seit Juli 2013 | |
auf dem Berliner Kabinettstisch. Genau das ist das Problem. | |
## Gut gelaunter Ströbele | |
Im Herbst 2013, nach Ströbeles Spontanbesuch bei Snowden in Russland sah es | |
für ein paar Tage so aus, als würden die Dinge in Bewegung geraten. „Asyl | |
für Snowden!“, forderte der Spiegel auf der Titelseite. Namhafte | |
Leitartikler appellierten: Deutschland muss diesem Helden sicheren | |
Unterschlupf gewähren. Dieses Szenario scheint inzwischen in die Ferne | |
gerückt zu sein. Oder doch nicht? | |
Besucht man dieser Tage Ströbele in seinem Bundestagsbüro, erlebt man einen | |
gut gelaunten Mann. Seit Monaten wettert der Grüne über den „größten | |
Spionageskandal aller Zeiten“, schimpft auf die „tatenlose | |
Bundesregierung“. Zugleich ist Ströbele aber auch als Lobbyist für Snowden | |
unterwegs. Aus Moskau brachte er eine Botschaft mit: Der Ex-NSA-Mann sei | |
bereit, in Deutschland auszusagen – falls er einen sicheren Aufenthalt | |
bekommt. Das ist der Deal. | |
Mit dem Untersuchungsausschuss will Ströbele nun Fakten schaffen. | |
Bereitwillig skizziert der 74-Jährige seinen Plan. Der Antrag zur Ladung | |
Snowdens ist darin nur der erste Schritt. | |
Union und SPD könnten die Befragung Snowdens vor dem Ausschuss kaum | |
verhindern, glaubt Ströbele. Erstens sei kein Zeuge wichtiger. Dass | |
tatsächlich ein NSA-Vertreter vor dem Ausschuss erscheint, erwartet selbst | |
Ströbele nicht. „Wer außer Snowden erklärt uns also sonst das Vorgehen des | |
Geheimdienstes?“ Zweitens hat Schwarz-Rot der Opposition vorerst | |
zugestanden, auch allein Zeugen im Untersuchungsausschuss laden zu können. | |
Und auch die Linke hat den festen Willen, Snowden zu hören, schlug ihn gar | |
für den Friedensnobelpreis vor. Erst, betont Fraktionschef Gregor Gysi, | |
wenn Snowden hier befragt werde und sicheren Aufenthalt erhalte, sei | |
Deutschland souverän. | |
## Zukunft in Deutschland? | |
Werde Snowden also in den Untersuchungsausschuss geladen, argumentiert | |
Ströbele, müsse ihm Deutschland „sicheres Geleit“ gewähren, er würde un… | |
Schutz anreisen. Und sei er erst mal hier – Ströbele hält kurz inne –: | |
„Dann schauen wir weiter.“ | |
Was das heißt, ist klar: Wäre Snowden hier, verlöre er seinen | |
Flüchtlingsstatus in Moskau – und könnte in Berlin Aufenthalt beantragen. | |
Dann hätte er eine neue Perspektive. Denn im August endet sein Asyl in | |
Russland. | |
Ströbele glaubt an seinen Plan. Er stützt seine Zuversicht auf ein | |
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die Regierung sei | |
rechtlich verpflichtet, heißt es darin, „dem Untersuchungsausschuss bei der | |
Beschaffung der notwendigen Beweise Hilfe zu leisten“, auch „bei der Ladung | |
eines Zeugen aus dem Ausland“. Mehr noch: Innenminister Thomas de Maizière | |
(CDU) kann Snowden für seine Aussagen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, | |
wenn dies „der Wahrung politischer Interessen“ des Landes diene. Für | |
Ströbele der entscheidende Passus: Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Er | |
liest daraus: Es ginge. | |
Doch es gibt eine gravierende Einschränkung: Im Ermessen des Innenministers | |
könnten „außenpolitische Befürchtungen der Bundesregierung“ und die Sorge | |
um das „Staatswohl“ überwiegen. Hat der Plan politisch also überhaupt eine | |
Chance? | |
Vor ein paar Monaten gab es dafür Anzeichen, auch aus der SPD. Noch im | |
November forderte SPD-Vize Ralf Stegner „freies Geleit“ für Snowden: Wenn | |
dieser in Deutschland reden wolle, dann solle er die Möglichkeit bekommen. | |
Als Regierungspartei sendet die SPD aber andere Signale. | |
## Kaleck sieht Deutschland in der Pflicht | |
Auch die CDU lehnt das Projekt kategorisch ab. Kanzlerin Angela Merkel wird | |
nicht müde, zu betonen, das transatlantische Bündnis bleibe „von | |
überragender Bedeutung“. Auch CDU-Innenexperte Clemens Binninger ließ | |
wissen, eine Befragung Snowdens komme grundsätzlich nicht in Betracht. Ob | |
dieser überhaupt „zusätzliche Erkenntnisse“ liefern könne, sei sehr | |
zweifelhaft. Die Botschaft ist klar: Keine Eskalation der Krise in den | |
Beziehungen zu den USA. Selbst SPD-Innenexpertin Eva Högl nennt eine | |
Befragung Snowdens nun „schwierig“. „Eine Ladung in den Ausschuss sehe ich | |
nur, wenn die Aufklärung anders gar nicht möglich ist.“ | |
Derzeit wird auch noch grundsätzlich noch über den Auftrag des Ausschusses | |
gerungen. Bis zurück ins Jahr 2001 soll aufgearbeitet werden, wie die NSA | |
deutsche Kommunikation ausspähte – und deutsche Sicherheitsbehörden daran | |
mitwirkten. Die Opposition will eher das Mitwissen deutscher Regierungen | |
klären, die Koalition lieber Konsequenzen untersuchen. | |
Neuerdings haben Grüne und Linke allerdings einen weiteren Verbündeten: | |
Wolfgang Kaleck. Der Berliner Menschenrechtsanwalt berät jetzt Snowden. Er | |
wolle den Whistleblower auch in dem Ausschuss vertreten, sagte [1][Kaleck | |
dem] [2][Tagesspiegel]. Er hält einen Aufenthalt hierzulande nicht nur für | |
möglich: „Ich sehe Deutschland sogar in der Pflicht, weil es von ihm | |
profitiert hat.“ | |
Auch in Brüssel bemühen sich Abgeordnete um eine Vernehmung Snowdens. | |
Glaubt man Jan Philipp Albrecht, dem innenpolitischen Sprecher der grünen | |
Europafraktion, könnte sie schon Anfang März klappen. Allerdings schließt | |
er einen persönlichen Trip Snowdens nach Brüssel aus. | |
## Vernehmung per Video | |
Snowden würde höchstens schriftlich oder per aufgezeichneter Videobotschaft | |
einige Fragen beantworten. Das Europaparlament habe leider weniger | |
rechtliche Möglichkeiten als der Bundestag, erklärt Albrecht, einer der | |
Verfechter des Projekts: „Nur die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten können | |
Snowdens Auslieferung aussetzen, ihm Zeugenschutz gewähren oder Asyl | |
anbieten.“ | |
Was eine Befragung aus der Ferne überhaupt bringt, darüber sind allerdings | |
selbst Snowdens Unterstützer uneins. Ströbele zumindest ist kein Fan der | |
Brüsseler Variante. Snowden habe ihm gesagt, dass er in Moskau nicht | |
befragt werden wolle, versichert der Grüne. Und aussagen wolle er nur, wenn | |
seine Situation geregelt sei. „Das geht nur in einzelnen Staaten wie | |
Deutschland.“ | |
Es kursiert sogar die These, das EU-Parlament könne indirekt den Plan | |
durchkreuzen, Snowden nach Deutschland zu laden. Der EU-Abgeordnete | |
Albrecht hält diese Sorge für unberechtigt. Was er in Brüssel vorantreibe, | |
sagt er, sei „nicht die detaillierte Befragung, die eigentlich notwendig | |
wäre“. Deshalb unterstütze er Ströbeles Pläne. | |
Auch dessen Berliner Parteifreund Konstantin von Notz, 43, | |
Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag, weist die Bedenken zurück: „Ich | |
sehe hier keine vorweggenommene Entscheidung“, sagt er. Auch Notz würde | |
Snowden gern nach Berlin holen. Ströbeles Überschwang aber geht ihm ab. Für | |
Notz ist der Whistleblower nicht der Topzeuge schlechthin. „Bei der | |
wichtigen Frage des Agierens der deutschen Dienste, gibt es sicherlich | |
andere wichtige Zeugen“, schränkt Notz ein. Wie realistisch Snowdens | |
Befragung in Berlin sei? Der Grüne verweist auf den Kursschwenk der SPD. | |
Sein Fazit: „Man wird sehen.“ | |
Bleibt es am Ende also wieder nur beim Idealismus des Hans-Christian | |
Ströbele? Beim Scoop ohne praktische Folgen? Vieles spricht dafür. Auch | |
weil Geheimnisverrat in Deutschland ebenfalls unter Strafe steht – | |
langfristig ließe sich deshalb die Auslieferung Snowdens wohl kaum | |
verhindern. Andererseits nahm die NSA-Affäre schon allerhand | |
unvorhersehbare Wendungen. Als Snowden in Moskau sein Asyl antrat, galt er | |
als strengstens abgeschirmt. Und dann stand plötzlich Ströbele vor der Tür. | |
12 Feb 2014 | |
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## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
Konrad Litschko | |
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