# taz.de -- Peter Strohschneider über Forschung: Selbsthilfegruppe für Wissen… | |
> Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist als Geldgeberin für | |
> Forschungsprojekte beliebt wie nie. Mehr Wettbewerb ist aber nicht | |
> leistungssteigernd. | |
Bild: Laserlicht-Experimente in Jena, die von der DFG gefördert werden. | |
Herr Strohschneider, ist es zutreffend, Sie als Präsidenten der reichsten | |
Selbsthilfegruppe der Welt zu bezeichnen? | |
Peter Strohschneider: Selbsthilfegruppe würde ich nicht sagen, wir sind die | |
Selbstverwaltungs!-Organisation der Wissenschaft in Deutschland. Und wir | |
sind tatsächlich eine finanziell bemerkenswert gut ausgestattete | |
Förderorganisation. | |
Die DFG hat im Jahre 2012 über 2,5 Milliarden Euro für die Förderung von | |
Forschungsvorhaben ausgegeben. Die Bedeutung solcher Drittmittel wächst und | |
als größter Drittmittelgeber wächst auch die Bedeutung Ihrer Organisation. | |
Andere würden sich darüber freuen, Sie aber klagen. Warum? | |
Ich beklage nicht den Bedeutungszuwachs. Ich kritisiere ein | |
Wissenschaftssystem, in dem sich die Bedeutung der Drittmittel und damit | |
der DFG stark gewandelt hat. Das hat auch unerwünschte Folgen. | |
Welche? | |
Die DFG wird zunehmend in die Rolle des Grundfinanzierers von Universitäten | |
gedrängt. Dafür ist sie aber nicht da. Ihrer Geschichte, ihrer Struktur und | |
ihrer inneren Verfassung nach ist DFG ein Zusatzfinanzierer. Wenn man eine | |
republikweite Förderagentur für Forschung wollte, bräuchte man andere | |
Verfahren und Entscheidungstrukturen. | |
Wollen Sie aus der DFG eine Generalagentur für Forschungsförderung machen? | |
Nein. Und ich möchte auch nicht, dass die DFG in eine solche Rolle gedrängt | |
wird. Ich halte es für richtig, zwischen einer budgetgebundenen | |
Grundfinanzierung und einer qualitätsorientierten Zusatzfinanzierung zu | |
unterscheiden. | |
Auf Letzteres hat sich die DFG spezialisiert. Aber sie kann ja längst nicht | |
mehr alle tollen Projekte fördern. | |
Die Konkurrenzsituation verschärft sich tatsächlich teilweise drastisch. | |
Das zeigt sich gerade in der Einzelförderung. Die Erfolgsquoten haben sich | |
halbiert, bei einer Verdopplung unseres Budgets in den letzten acht Jahren. | |
Das ist beunruhigend. | |
Das liegt vor allem an den vielen Anträgen. Warum stürzen sich alle auf die | |
DFG? | |
Da spielen verschiedene systemische Effekte eine Rolle. Die Universitäten | |
sind strukturell unterfinanziert; nicht nur im Hinblick auf Lehre und | |
Bauten, sondern auch im Hinblick auf die Forschung. In vielen Bereichen, | |
etwa in den Naturwissenschaften, können Sie kaum mehr ernsthaft forschen, | |
wenn Sie keine Drittmittel einwerben. Zudem werden Drittmittel immer mehr | |
zu einer sekundären Währung im Wissenschaftssystem. Universitäten | |
privilegieren drittmittelintensive Bereiche. Wenn Sie ein Drittmittelkönig | |
oder eine Drittmittelkönigin sind an Ihrem Institut, dann haben Sie andere | |
akademische Durchsetzungsmöglichkeiten. Eine weit verbreitete Übung ist es, | |
dass neu eingestellte Professoren einen Antrag bei der DFG stellen sollen, | |
damit sie eine Leistungszulage bekommen oder ihre Stelle entfristet wird. | |
Entscheidend ist dann die Antragstellung als solche, nicht der | |
Antragserfolg und schon gar nicht der Forschungserfolg. Das ist hoch | |
problematisch. | |
Sie entscheiden als DFG also mit über berufliche Existenzen, wer wie viel | |
verdient und welcher Forschungsbereich wie mächtig wird an einer | |
Universität? | |
Vielfach und indirekt jedenfalls. Die DFG entscheidet längst nicht mehr nur | |
über die Finanzierung eines bestimmten Forschungsvorhabens. Unsere | |
Entscheidung sind Grundlage für alle möglichen darauf aufbauenden | |
sekundären Effekte. | |
Dass Drittmittel immer stärker zur wissenschaftlichen Zweitwährung werden, | |
findet niemand toll. Aber alle spielen mit, auch die DFG. Warum? | |
Diese Frage muss man systemisch beantworten. Das ist vor allem auf die | |
Spannungskonstellation zwischen Bund und Ländern zurückzuführen. Ich habe | |
immer polemisch gesagt: Die Föderalismusreform hat eine funktionale | |
Differenzierung bewirkt. Die einen haben die Mittel, und die anderen die | |
Kompetenzen. Die einen können, die anderen dürfen. | |
Der Bund kann die Hochschulen finanzieren, darf aber nicht … | |
… und die Länder dürfen das, können aber nicht. Der Bund hat größere | |
Budgetmittel, die er in den Unis allein projektförmig, also nicht als | |
Grundfinanzierung einbringen darf. Die außeruniversitären | |
Forschungsinstitute dürfen dagegen vom Bund grundfinanziert werden. Daher | |
ist die außeruniversitäre Forschung im Grundsatz besser finanziert als die | |
Forschung an den Universitäten. Und während bei den Universitäten die | |
Drittmittel gegenüber der Grundfinanzierung immer mehr an Gewicht gewinnen, | |
geht der Anteil wettbewerblich eingeworbener Mittel bei der | |
außeruniversitären Forschung zurück. Im neoliberalen Diskurs hieß es stets, | |
mehr Wettbewerb sei leistungssteigernd. Aber dem trägt das | |
Wissenschaftssystem vorwiegend bei den Universitäten Rechnung, während bei | |
der außeruniversitären Forschung jederzeit anerkannt wird, dass | |
auskömmliche Grundfinanzierung Voraussetzung für Produktivität ist. | |
Das heißt, weniger Wettbewerb an den Universitäten? | |
Das heißt, eine bessere Balance von wettbewerblich und nicht wettbewerblich | |
zugewiesenen Mitteln. | |
Machen Sie es sich nicht ein bisschen einfach, wenn Sie alle Schuld auf das | |
System schieben? Die DFG ist ein relevanter Player im System. | |
Für die föderale Finanzkonstellation ist die DFG nicht verantwortlich. Und | |
was mich selbst angeht: Meine wissenschaftspolitischen Aktivitäten haben | |
mit der Diskussion um die Verfassungsreform begonnen. Ich habe dagegen | |
argumentiert. | |
Ja, 2006. Aber heute haut niemand mehr auf den Tisch. Die Wissenschaft | |
seufzt gequält auf, aber nur leise, weil die Politik sich im Pakt für | |
Forschung und Innovation ja verpflichtet hat, die Etats der großen | |
Forschungsförderorganisationen jährlich zu erhöhen. | |
Die eine Wissenschaft gibt es ja nicht. Die verschiedenen | |
Wissenschaftsorganisationen haben unterschiedliche Funktionen und also auch | |
Interessen. Ich meine allerdings, die DFG versucht sehr wohl selbstkritisch | |
über ihr eigenes Förderhandeln nachzudenken. Wir diskutieren zurzeit | |
intensiv über unser Portfolio und die Weiterentwicklung unserer Programme. | |
Was wollen Sie ändern? | |
Für Ergebnisse ist es noch zu früh. Aber ich könnte mir unter anderem | |
vorstellen, den Anteil von Mitteln, die nicht auf der Grundlage von | |
Anträgen, sondern auf der Grundlage von Urteilen über bisherige | |
Forschungsleistungen vergeben werden, zu erhöhen. Im Fachjargon heißen sie | |
Merit Grants. | |
Der Soziologe Stefan Kühl hat vorgeschlagen das gesamte System auf solche | |
Merit Grants auszurichten, also nicht mehr gute Antragsprosa auszuzeichnen | |
sondern gute Forschungsergebnisse. | |
Gegen gute Prosa spricht nichts. | |
Das sagt der Germanist. | |
Ich klammere meine sprachstilistischen Vorlieben mal aus. Die DFG vergibt | |
keine Fördermittel für gute Prosa. Aber die gesamte Forschungsförderung auf | |
Merit Grants umzustellen, wäre weder möglich noch sinnvoll. Es wäre dann | |
unter anderem völlig unklar, wie man mit Leuten umgeht, die noch keine | |
wissenschaftlichen Meriten erworben haben. | |
Kühl schlägt vor, auch Hausarbeiten auszuzeichnen. | |
Wenn man vollständig auf ein Reputationssystem umstellt, gibt es wiederum | |
unerwünschte Effekte. Aber eine bessere Bilanz zwischen dem einen und dem | |
anderen Typus ist wünschenswert. | |
Hängt der wachsende Drittmitteldruck nicht auch mit der Prekarisierung im | |
Wissenschaftssystem zusammen.? Hochschulen stellen Wissenschaftler vor | |
allem auf Drittmittelbasis und für ein paar Monate an. Diese müssen dann | |
einen Teil ihrer Forschungszeit opfern, neue Drittmittel einzuwerben, um | |
die Stelle zu verlängern. Könnte die DFG nicht stärker darauf achten, dass | |
von ihren Fördermilliarden auch auskömmliche Stellen geschaffen werden? | |
Das ist sachlich vielfach geboten. Wenn wir aktiv Personalpolitik machen, | |
würde das allerdings sofort wieder als Einmischung kritisiert werden. | |
Als die DFG Standards zur Gleichstellung von Frauen in der Forschung | |
aufstellte, wurde ihr das nicht vorgeworfen. Im Gegenteil: Sie war | |
Vorreiter! | |
Für die Organisation ist es überhaupt eine Frage, ob sie den Trend, die | |
Vergabe von Geldern mit wachsender Intensität an Strukturinterventionen zu | |
binden, fortsetzen will. Ich jedenfalls bin da sehr skeptisch. Die DFG soll | |
beste Forschung finanzieren und nicht das ganze System. Ich sage nicht, | |
dass die Prekarisierung kein Problem ist. | |
Aber die DFG ist nicht zuständig. | |
Ich frage mich, ob die DFG das richtige Instrument zur Lösung dieses | |
tatsächlich bestehenden Problems ist. | |
Die Große Koalition hat angekündigt, dass der Bund mehr zur | |
Grundfinanzierung der Hochschulen beitragen will. Haben Sie eine Idee, wie | |
das ohne Aufhebung des Kooperationsverbots gehen soll? | |
Nein, wobei die Frage nach dem besten Weg die entscheidende ist. Ich halte | |
jedenfalls wenig davon, die Diskussion auf eine bestimmte | |
Verfassungsänderung einzuschränken. Aus meiner Sicht könnte ein | |
Staatsvertrag eine plausible Lösung bieten. Doch selbst wenn der Bund dann | |
zusätzliches Geld in die Grundfinanzierung investierte, müsste | |
gewährleistet werden, dass die Länder diese Zusatzgelder nicht zum Anlass | |
für Mittelkürzungen an anderer Stelle nehmen. | |
Sehen Sie unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen überhaupt eine Chance | |
dafür, dass sich das Verhältnis von Grund- und Drittmitteln an den | |
Universitäten ändert? | |
Ich glaube immerhin, bei der Wissenschaftspolitik, den Organisationen und | |
den Wissenschaftlern selbst ist es inzwischen Konsens, dass die Ersetzung | |
der Grundfinanzierung von Forschung durch Drittmittel einen Schwellenwert | |
erreicht hat, ab dem die dysfunktionalen Nebeneffekte zu groß werden. | |
20 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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