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# taz.de -- Machtkampf in der Türkei: Die Hybris von Erdogan
> Gebeutelt von Korruption und Abhörskandal: Die Kommunalwahlen Ende März
> drohen zu einem Referendum über den Regierungschef zu werden.
Bild: Letzte Gefechte Erdogans: Wasserwerfereinsatz bei einer Demo gegen den t�…
ISTANBUL taz | „Die Diebe von der AKP werden ihre Rechnung bekommen“,
prangte Freitag auf einer Hauswand in Istanbul. Die Parole ist Ausdruck der
Stimmung, die sich in der Türkei seit Wochen täglich mehr aufheizt.
Pünktlich um 23 Uhr tauchten seit drei Abenden hintereinander in dieser
Woche illegal abgehörte Telefonate von Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan mit seinem Sohn oder anderen Familienmitgliedern im Netz auf.
In den Gesprächen geht es um millionenschwere Bestechungsgelder, und wie
man diese am besten vor drohenden Nachforschungen von Polizei und
Staatsanwaltschaft verstecken kann. Seit Tagen bestimmt die Debatte um die
Authentizität der Aufnahmen die politische Tagesordnung.
Dass Erdogan und Mitglieder seines politischen Umfelds abgehört wurden,
wirft der Premier einem Teil des türkischen Sicherheitsapparats und der
Justiz selbst vor – allerdings behauptet er, die fraglichen
Telefonmitschnitte seien Montagen anderer Gespräche, die nun in „schamloser
Weise“ zusammengeschnitten worden seien.
Dieser Verrat soll jetzt schonungslos geahndet werden. „Es wird viele
Prozesse gegen die Verräter geben“, kündigte er auf einer Wahlkundgebung
für die bevorstehenden Kommunalwahlen an. Bereits am Mittwoch hatte der
Nationale Sicherheitsrat, in dem unter der Leitung des Staatspräsidenten
die wichtigsten Minister mit den Spitzen der Armee zusammensitzen, eine
Bedrohung der inneren Sicherheit durch „illegale Parallelstrukturen“ im
Staatsapparat beklagt. Gemeint sind damit die gegen die Regierung
eröffneten Korruptionsermittlungen im Dezember und eben die
Veröffentlichung der Telefonmitschnitte.
Für Erdogan, den bislang unangefochtenen Mann der Türkei, ist es ein Rennen
gegen die Zeit. Am 30. März finden in der Türkei landesweite Kommunalwahlen
statt, die zu einem Referendum über den Regierungschef zu werden drohen.
Setzen sich die Enthüllungen über ihn und seine Familie bis dahin fort,
droht der AKP ein Wahldebakel.
## Kein Zugewinn an Demokratie
Jahrelang konnte Erdogan sich darauf verlassen, dass mindestens 45 Prozent
der türkischen Wähler ihm oder seiner Partei ihre Stimme geben werden. Das
gesamte konservative, religiöse Lager stand hinter ihm, und solange es
darum ging, die Vorherrschaft des Militärs zu brechen, hatte er auch die
Liberalen auf seiner Seite. Mit den großen Prozessen gegen tatsächliche
oder vermeintliche Putschisten aus Militär und Staatsbürokratie wurde das
Ziel bis 2010 erreicht. Nachdem rund ein Drittel des höheren Offizierskorps
zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, ist das Primat der Politik
auch in der Türkei durchgesetzt.
Doch der Sieg über das Militär führte nicht zu dem von vielen Bürgern
erhofften Zugewinn an Demokratie, sondern beflügelte vor allem die Hybris
Erdogans. Der im Sommer 2011 mit 50 Prozent aller Stimmen zum dritten Mal
wiedergewählte Ministerpräsident duldete fortan keinen Widerspruch mehr und
begann offenbar sich und seine Familie immer bedenkenloser zu bereichern.
Dieser absolutistische Stil stieß auf Widerstand in der türkischen
Zivilgesellschaft. Sichtbarstes Ergebnis davon waren die landesweiten
Proteste, die sich im Sommer 2013 an der geplanten Bebauung des Istanbuler
Geziparks entzündeten. Aber Erdogan legte sich nicht nur mit den Bürgern
an, er geriet auch in Konflikt mit einem seiner bis dahin engsten
Verbündeten.
Seit die islamische AKP 2002 an die Macht kam, wurde sie von der größten
islamischen Sekte des Landes, der Gülen-Gemeinde, unterstützt. Diese
verfügt über ein ausgedehntes Netzwerk von Schulen und Studentenwohnheimen,
über die sie ihren Nachwuchs rekrutiert. Ihre Mitglieder sind führende
Geschäftsleute, die Gemeinde verfügt über Banken und einen ausgedehnten
Medienkonzern. Zudem sind Gülen-Anhänger seit mehr als 30 Jahren gezielt in
die Polizei und Justizverwaltung eingetreten.
## Enorme Verunsicherung
Dieser Einfluss hat es Erdogan erst ermöglicht, die Macht des Militärs zu
brechen. Nachdem der gemeinsame Feind erledigt war, kam es aber zu einem
scharfen Konflikt innerhalb des islamischen Lagers. Seit Monaten kämpfen
die AKP und die Gülen-Bewegung um die Vorherrschaft im Staat. Dass die
grassierende Korruption innerhalb der Regierung an die Öffentlichkeit
kommt, ist Ausdruck dieser Auseinandersetzung. Der „Staat im Staate“, den
die Gülen-Bewegung über Jahrzehnte aufgebaut hat, wendet sich nun gegen
Erdogan.
Daher werden die Kommunalwahlen zum ultimativen Test für Erdogans
Präsidentschaftsambitionen. Im Sommer dieses Jahres stehen die
Präsidentschaftswahlen an, und Erdogan will sich zum Staatspräsidenten
wählen lassen. Mit immer neuen Enthüllungen über die Korruptheit des
Premiers will die Gülen-Bewegung genau das verhindern.
Die wechselseitige Demontage von Regierung, Justiz und Sicherheitsapparat
hat zu einer enormen Verunsicherung geführt. Erdogan versucht nun seine
Truppen zusammenzuhalten und für die bevorstehende Wahlen zu mobilisieren.
Die wichtigste Auseinandersetzung findet um Istanbul statt.
Die Metropole wird seit Anfang der 90er Jahre von Erdogan kontrolliert.
Zuerst als Bürgermeister und auch später als Ministerpräsident blieb er der
oberste Lenker. Alle wichtigen Projekte liefen über seinen Schreibtisch.
Verliert die AKP bei den Kommunalwahlen Istanbul, wäre das mehr als nur der
Verlust der wichtigsten Stadtregierung. Es wäre der symbolische Anfang vom
Ende von Recip Tayyip Erdogan.
28 Feb 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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