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# taz.de -- Korruptionsskandal in der Türkei: Bitte nicht noch ein starker Man…
> Wieder reagiert Erdogan auf Proteste mit Tränengas. Doch die Situation
> ist eine andere als im Gezi-Park. Der Ruf nach dem „sauberen Staat“ kann
> fatal enden.
Bild: War auch mal der „starke Mann“: Recep Tayyip Erdogan.
ISTANBUL taz | Vermutlich, inschallah, wird der Tag kommen, an dem in der
Türkei ein Gericht feststellen wird, dass man Recep Tayyip Erdogan und
seine Sippschaft ungestraft eine Bande von Dieben, Betrügern und Lügnern
nennen darf. Denn Hinweise darauf, dass die Regierungspartei AKP offen ist
für Korruption und Unterschlagung und sich auch Erdogan und Mitglieder
seiner Familie persönlich bereichert haben, gibt es nicht erst seit den
jüngsten Korruptionsermittlungen und dem [1][skandalös-bizarren
Youtube-Video].
Allerdings ist die AKP nicht die erste Regierungspartei, die den Staat als
Beute interpretiert. Das haben andere vorher auch schon getan. Bis vor
Kurzem goutierten viele in der Türkei – sowohl Wähler wie Nichtwähler der
AKP-Regierung – diesen Umstand mit folgendem Bonmot: „Ja, sie klauen, aber
sie arbeiten wenigstens auch.“ Diesen Satz hört man nicht mehr, dafür ist
Erdogans Ansehen zu schwer erschüttert.
Dass er in seiner Not mit immer entrückter wirkenden Erklärungen verteidigt
– am Dienstag sprach von einer „Roboterlobby“ auf Twitter, die die
Desinformation betreibe –, zeigt, wie sehr er in der Bredouille ist.
Zugleich drängt sich eine Frage auf: Kann die Empörung darüber, dass
Erdogan und die Seinen das Regierungsmandat als Lizenz zum Plündern
betrachten, zu mehr Demokratie führen?
Ausgemacht ist das nicht. Und das liegt nicht nur daran, dass viele
Anhänger der AKP aus einer Mischung aus persönlichen Interessen und
ergebener Gefolgschaft weiterhin ihrem „Mudschaheddin Erdogan“ die Treue
halten. Denn so sehr die Regierung wie die Opposition die
Korruptionsermittlungen als Fortsetzung der Gezi-Proteste vom Frühjahr 2013
betrachten, sind die Unterschiede wichtiger als die Gemeinsamkeiten: Die
Gezi-Proteste waren der kollektiv formulierte Einspruch von Bürgern; darin
drückte sich der Wunsch nach demokratischer Partizipation wie nach
individueller Freiheit aus: Ich will mitreden, wenn es um meine Stadt geht.
Und mein Privatleben geht dich nichts an.
## Kampagnen gegen Korruption suchen einen „starken Mann“
In der Aufregung über die Korruption hingegen ist stets der Wunsch nach
einem „sauberen“, notfalls von einem „starken Mann“ durchgesetzten Staat
versteckt. Kampagnen gegen Korruption neigen dazu, dass sich berechtigte
Empörung über kriminelle Taten mit Neid und Ressentiment vermischen und
plötzlich auch ein biederes Häuschen in Großburgwedel oder eine etwas
protzige Villa am Stadtrand von Kiew als Ausdruck von überbordender
Raffgier gelten – als ob irgendein Staatsoberhaupt der Welt zur Miete im
Plattenbau wohnen und mit dem Bus zur Arbeit fahren würde.
Antikorruptionskampagnen zielen ihrem Wesen nach nicht auf Emanzipation und
Partizipation, ihr Subjekt ist nicht der mündige Bürger, sondern der
forsche Staatsanwalt. Im Erfolgsfall führt das nicht dazu, demokratische
Kräfte an die Macht zu bringen, sondern autoritär-populistische: In Italien
spülte Anfang der neunziger Jahre der Zusammenbruch des alten
Parteiensystems die Rassisten von der Lega Nord, die weichgespülten
Neofaschisten und Silvio Berlusconi an die Macht, in China ist die
Korruptionsbekämpfung Vorwand für parteiinterne Säuberungen, und auch
Erdogan gelangte nicht zuletzt unter diesem Banner an die Macht.
Dass die AKP-Regierung auf die jüngsten Demonstrationen auf dieselbe Weise
reagiert wie auf die Gezi-Proteste – also mit Verschwörungstheorien und
Tränengas – sollte über diesen Unterschied nicht hinwegtäuschen. Denn egal,
wann Erdogan verschwindet, ein wirklicher Jammer wäre es, wenn der
emanzipatorische Aufbruch von Gezi im autoritären Ruf nach einem „sauberen
Staat“ unterginge. Dann hätte Erdogan gewonnen – egal, ob er dann
Staatspräsident ist oder im Knast sitzt.
26 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=Cvf4aeRLu0E&feature=youtube_gdata_player
## AUTOREN
Deniz Yücel
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