| # taz.de -- Ausländerbehörden kämpfen mit Kurswechsel: Schikane nach Ermessen | |
| > Rot-Grün in Niedersachsen hat eine humanere Flüchtlingspolitik | |
| > angekündigt. Trotzdem verschärfen viele Kommunen die Residenzpflicht für | |
| > Geduldete per Ermessensentscheidung. | |
| Bild: Wenn nur der Blick in die Ferne schweifen darf: Residenzpflicht. | |
| HANNOVER taz | Niedersachsens Ausländerbehörden tun sich mit dem von der | |
| rot-grünen Landesregierung verordneten Paradigmenwechsel zu einer | |
| humanitären Flüchtlingspolitik offenkundig schwer. Insbesondere bei der | |
| Residenzpflicht für geduldete Ausländer legt ein Teil der Behörden die | |
| Vorschriften weit strenger aus als nötig, wie das Innenministerium jetzt | |
| auf Anfrage der Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat einräumen musste. | |
| Polat wollte in einer schriftlichen Anfrage wissen, wie sehr Menschen, die | |
| ohne gesicherten Aufenthaltsstatus nur mit einer Duldung in Niedersachsen | |
| leben, in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert sind. Während Niedersachsen die | |
| Residenzpflicht für Asylbewerber schon unter Ex-Innenminister Uwe | |
| Schünemann (CDU) gelockert hat, gelten für Geduldete strengere | |
| Aufenthaltsbeschränkungen. | |
| Sie dürfen sich grundsätzlich nur innerhalb der Grenzen des Bundeslandes | |
| frei bewegen, in dem sie untergebracht sind. Asylbewerber dagegen können | |
| frei zwischen Niedersachsen und Bremen reisen. So hat es Schünemann schon | |
| 2012 mit dem Nachbarland vereinbart und sein Amtsnachfolger Boris Pistorius | |
| (SPD) 2013 umgesetzt. | |
| Wie die Antwort des Innenministeriums auf die Grünen-Anfrage zeigt, wird | |
| die Residenzpflicht für die Gruppe der mehr als 10.000 Geduldeten in | |
| Niedersachsen oft noch verschärft. In den Landkreisen Harburg, Stade oder | |
| Peine etwa dürfen Geduldete häufig noch nicht einmal die Grenzen des | |
| Landkreises verlassen – wegen Ermessensentscheidungen der jeweiligen | |
| Ausländerbehörden. | |
| In Harburg gilt das laut den Angaben des Innenministeriums für rund 270 der | |
| insgesamt 305 dort lebenden Geduldeten. In Stade sind 200 von etwa 313 | |
| Geduldeten von Verschärfungen betroffen, in Rotenburg 57 von 127. Begründet | |
| werden die Maßnahmen stets mit mangelnder Mitwirkung der Betroffenen etwa | |
| bei der Passbeschaffung oder der Identitätsfeststellung und einer besseren | |
| Erreichbarkeit der Geduldeten für die Behörden. | |
| Angaben, die nicht nur Grünen-Politikerin Polat erstaunt haben. Auch beim | |
| Innenministerium war man über die Häufigkeit und Regelmäßigkeit überrascht, | |
| wie ein Sprecher erklärt. „Es liegt in der Natur der Sache, dass | |
| Ermessensentscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können“, | |
| sagt er auf Nachfrage. Die Behörden dürften dabei aber nicht nach „einer | |
| vom Einzelfall gänzlich losgelösten Praxis verfahren“. | |
| Um dies künftig zu verhindern, hat das Ministerium prompt reagiert: Nur | |
| Tage nach Veröffentlichung der Antwort auf die Grünen-Anfrage wurden die | |
| landesweit 53 Ausländerbehörden per Erlass angewiesen, Spielräume | |
| einheitlich zu nutzen. Von weiteren Verschärfungen der Residenzpflicht | |
| dürften die Behörden „nur in besonders gelagerten Einzelfällen Gebrauch | |
| machen“, heißt es darin, etwa wenn Geduldete schwere Straftaten begangen | |
| haben. | |
| Grünen-Politikerin Polat begrüßt die „schnelle und unmittelbare Reaktion“ | |
| des Innenministeriums. Gleichzeitig fordert sie aber den „Flickenteppich“ | |
| bei den Aufenthaltsbeschränkungen bundesweit abzuschaffen. So lange dies | |
| nicht auf Bundesebene geschehe, brauche Niedersachsen eine so genannte | |
| Generalerlaubnis, wie sie zuletzt Schleswig-Holstein eingeführt hat. Damit | |
| dürfen Flüchtlinge bundesweit reisen, ohne dies bei den Ausländerbehörden | |
| vorab anmelden zu müssen. „Derartige Regelungen“, betont Polat, „sind na… | |
| geltender Gesetzeslage in allen Bundesländern möglich.“ | |
| Das Innenministerium reagiert auf derlei Forderungen allerdings verhalten. | |
| Man verfolge „nach wie vor die Zielrichtung, die für Asylsuchende und | |
| Geduldete geltende Residenzpflicht zu lockern“. Eine Prüfung, ob auch | |
| Niedersachsen eine bundesweite Generalerlaubnis einführe, dauere noch. | |
| 12 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Teresa Havlicek | |
| ## TAGS | |
| Residenzpflicht | |
| Niedersachsen | |
| Boris Pistorius | |
| Flüchtlinge | |
| Duldung | |
| Niedersachsen | |
| Ausländerbehörde | |
| Prozess | |
| Niedersachsen | |
| Flüchtlinge | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Roma in Niedersachsen: Abschiebung nach 28 Jahren | |
| Die Romni Suzana S. und ihre fünf Kinder wurden in Deutschland geboren. Nun | |
| will sie der Landkreis Emsland in Niedersachsen abschieben. | |
| Bremer Ausländerbehörde: Keine Willkommenskultur | |
| Trotz personeller Aufstockung haben sich die Zustände bei der Bremer | |
| Ausländerbehörde noch nicht verbessert. | |
| Gericht verurteilt Asylheimbeschäftigte: Kein Taxi, kein Anruf, keine Hilfe | |
| Ein Junge in einem Flüchtlingslager hat starkes Fieber, doch drei | |
| Mitarbeiter weigern sich, einen Arzt zu rufen. Dafür erhielten sie nun | |
| Geldstrafen. | |
| Ausländerrecht: Kein Paradigmenwechsel für Suada D. | |
| Wegen ihrer Verwurzelung vor Ort hat das Verwaltungsgericht der Romni Suada | |
| D. ein Bleiberecht zugesprochen. Der Landkreis Wittmund legt Berufung ein. | |
| Rot-Grüne Versprechen: Abschiebung bleibt fies | |
| Einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik wollte Niedersachsens | |
| Innenminister Boris Pistorius (SPD) . Dass er weiter nachts abschieben | |
| lässt, kritisiert sogar die eigene Fraktion. | |
| Kommentar Flüchtlingspolitik: Meister der Ablehnung | |
| Die Regierung hat Verbesserungen für Flüchtlinge im Koalitionsvertrag | |
| vereinbart. Interesse hat sie aber daran, Abschiebungen zu erleichtern. | |
| Kiel lockert Residenzpflicht: Grenzenlos, aber nicht unbegrenzt | |
| Schleswig-Holstein lockert die Residenzpflicht für Flüchtlinge und erlaubt | |
| Reisen in die Nachbarländer. Dort gelten aber ganz unterschiedliche | |
| Regelungen für die Freizügigkeit. | |
| Kommentar Residenzpflicht-Lockerung: Zeit für ein gemeinsames Signal | |
| Die Zeichen stehen auf Liberalisierung. Aber es bleibt noch viel zu tun im | |
| Umgang mit Flüchtlingen. |