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# taz.de -- Fluchtrouten von Syrien in die EU: Wege aus dem Krieg
> Von Syrien in die Europäische Union zu gelangen, ist teuer und
> gefährlich. Und für die Flüchtlinge gibt keine Gewähr, dass sie einen
> sicheren Ort erreichen.
Bild: Was Syrer der Weg nach Europa kostet (Beträge in Euro umgerechnet)
BERLIN taz | Seit drei Jahren währt der Krieg in Syrien. Fast 150.000
Menschen sind gestorben, Millionen auf der Flucht. Doch was kostet der Weg
an einen sicheren Ort? In Syrien, den Nachbarländern und in Europa haben
taz-KorrespondentInnen und die deutsche Solidaritätsorganisation „Adopt a
Revolution“ SyrerInnen befragt, wie sie dem Krieg entkommen sind – und was
sie dafür bezahlt haben. Es sind oft nur Schlaglichter auf ein
unübersichtliches Geschehen, individuelle Berichte, kaum zu
verallgemeinern. Doch sie geben eine Vorstellung davon, in was für Nöten
sich viele Menschen befinden.
Dabei verändert sich die Lage stetig. Wo es heute sicher ist, kann es
morgen tödlich sein. Während manche Menschen aus Damaskus in den Bus
steigen und für wenig Geld in den Libanon fahren können, müssen Angehörige
einiger Minderheiten oder Oppositionelle enorme Bestechungsgelder zahlen,
um an den Checkpoints durchgelassen zu werden. Dabei leben sie stets in
Angst, trotzdem verhaftet oder getötet zu werden.
In anderen Teilen des Landes sitzen Menschen in belagerten Städten wie Homs
fest. Für sie ist die Flucht fast unmöglich. Im kurdischen Norden Syriens
wiederum müssen Aktivisten große Umwege auf sich nehmen, um nicht
islamistischen Rebellen in die Hände zu fallen. Die teils geschlossenen
Grenzen zur Türkei oder zum Irak sind oft nur unter großen Mühen – und
Kosten – zu passieren. Doch für viele SyrerInnen ist dieser Weg die einzige
Hoffnung.
Die Nachbarländer bieten Schutz vor Bomben, doch das Leben dort spielt sich
unter katastrophalen Bedingungen ab. „Vor drei Jahren war der Westen voller
Lob für den demokratischen Aufbruch“, erinnert sich Elias Perabo von „Adopt
a Revolution“. „Heute lässt Europa Millionen dieser Menschen in den
Nachbarländern Syriens verelenden.“ Viele wollen deshalb weiter, nach
Europa. Hier hätten sie Anspruch auf Schutz. Doch der Weg wird ihnen
versperrt; auf legalem Wege lässt die EU nur sehr wenige herein.
Die Kosten, um mit Hilfe von Schleppern trotzdem hierher zu kommen, sind
enorm. Die wichtigsten Fluchtrouten:
1. Beirut --> Deutschland
Ein 35-jähriger Arzt, der vom Regime gesucht wurde, weil er in einem der
Rebellen-Krankenhäuser operierte, trat im Oktober 2013 die Flucht an. Er
hatte keine Papiere, musste also illegal reisen. Die Flucht von Deir al-Sur
über Libanon, Zypern, Griechenland, Italien und schließlich nach Dortmund
machte er via Fähre, eingequetscht mit sechs anderen Flüchtlingen im
Lastwagen für 13 Stunden, dann ab Italien mit dem Zug. Sie dauerte etwas
mehr als drei Monate und kostete ihn rund 10.000 Euro. Er sagt: „Das Geld
und Google Maps haben mich gerettet.“
2. Kamischli --> Türkei
„Am 11. Februar wollten wir von Kamischli aus in die Türkei. Aber die
Regierung hat alle Übergänge für Zivilisten geschlossen. Deshalb brauchten
wir die Hilfe eines Schleusers, der uns über die Grenze brachte. Dafür nahm
er 185 Euro. Die Grenze ist streng bewacht, und es gibt keine Garantie,
nicht verhaftet, verletzt oder getötet zu werden. Aber wir hatten keine
Wahl.“
Dilbrin, Aktivist der Union der Kurdischen Studenten UKSS, 22 Jahre
3. Damaskus --> Libanon
„Menschen, die sich normal bewegen können, also nicht vom Regime gesucht
werden, können mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Damaskus nach Beirut
fahren. Das kostet umgerechnet etwa 22 Euro für knapp 90 Kilometer. Wer
gesucht wird, muss an den Checkpoints bestechen. Das kostet bis zu 1.300
Dollar für Leute, die auf der Schwarzen Liste stehen. Die Reise dauert dann
mehrere Tage.“
Amro Khito, Beirut, 28 Jahre
4. Scheich Masud --> Ain Al-Arab
„Wir lebten im Stadtteil Scheich Masud von Aleppo, der im Juni 2013 heftig
bombardiert wurde. Öffentliche Transportmittel gab es nicht. Wir mussten
ein Auto und einen Fahrer bezahlen. Für 125 Euro hat er uns in die 150
Kilometer nordöstlich gelegene Stadt Ain al-Arab gebracht. Für uns war das
sehr viel Geld.“
Eine kurdische Familie aus Aleppo
5. Region Kamischli --> Fajsch Khabur, Irak
„Der einzige Übergang bei Simalka wurde im November geschlossen wurde.
Früher hat die Überfahrt alles in allem etwa 70 Euro gekostet. Heute gibt
es zwei Wege in den Irak. Der legale: Man präsentiert ein medizinisches
Gutachten, laut dem man dringend behandelt werden muss. Die Kosten dafür
variieren von Arzt zu Arzt. Und man braucht eine Einladung aus dem Irak.
Wer guten Kontakt zur kurdischen YPG-Miliz hat, kann manchmal ohne das
Attest passieren. Wer die Grenze illegal überqueren will, braucht
Schleuser. Die nehmen 330 Euro pro Person. Man ist dann neun Stunden
unterwegs, diese Zeit ist voller Angst, verhaftet oder von irakischen
Grenztruppen erschossen zu werden.“
Ahmed Sheikho, Ain al-Arab, 21 Jahre
6. Deir al-Sur --> Griechenland
„Anfang November flüchteten wir aus unser Heimatstadt Deir al-Sur im Osten
Syriens in die Türkei. In Mersin nahmen wir einen Bus nach Bursa, von dort
fuhren wir mit einem Boot nach Griechenland. Anfang März kamen wir dort
an.“
Die Brüder Ahmed und Mohammed Hajji
7. Türkei --> Italien
„Aus Deir al-Sur im Osten Syriens war ich in die Türkei geflohen. Von dort
reiste ich über Griechenland nach Italien. 15 Tage war ich unterwegs.“
Omer Ahmedi
8. Ain al-Arab --> Kamischli
„Der 300 Kilometer lange Weg von Aleppo nach Kamischli führt durch das
Gebiet der radikal islamistischen ISIS-Miliz, die Jagd auf kurdische
Aktivis-ten macht. Als wir am 18. November nach Kamischli mussten, waren
wir gezwungen über türkisches Gebiet zu fahren. Bis zur Grenze in Jarabulos
nahm ein Fahrer ca. 38 Euro; der Schleuser, der uns über die Grenze führte,
kassierte nochmal 50 Euro.“
Ahmed Sheikho, Ain al-Arab, 21 Jahre
9. Aleppo --> Istanbul
„Anfang Januar fuhr ich mit dem Bus acht Stunden zum Grenzübergang Bab
al-Hawa. Zu der Zeit war der Grenzübergang geöffnet. Ich konnte auf der
türkischen Seite einen Bus nehmen, 19 Stunden fuhr ich über Antakya nach
Istanbul.“
Ahmed Said
10. Misurata/Suwara --> Lampedusa Misurata/Suwara --> Süditalien
Nach Schätzungen syrischer Exilkreise sind rund 2 Millionen Syrer seit
Beginn des Krieges nach Libyen geflohen, beim UNHCR ist nur ein Bruchteil
registriert. Manche versuchen, in Misurata oder Suwara einen Platz auf
einem Boot einer Schlepperbande zu ergattern. Die Überfahrt von der
libyschen Küste nach Lampedusa kostet zur Zeit 1.000 Euro, bis zum
italienischen Festland wird mindestens das Doppelte fällig. Während zu
Beginn des Krieges die Solidarität mit den Regierungsgegnern groß war, ist
die Euphorie und Spendenbereitschaft Gleichgültigkeit gewichen. Zu groß
sind die Probleme im eigenen Land. In Tripolis muss eine syrische Familie
im Durchschnitt 500 Euro im Monat bezahlen. Viele Syrer haben in den
letzten zwei Jahren kleine Geschäfte oder Imbisse eröffnet, sie müssen
ausländerfeindliche Übergriffe fürchten.
11. Beirut --> Italien / Beirut --> Kairo / Alexandria / Sinai --> Italien
„Ein Flug von Beirut nach Kairo kostet 130 Euro. Für die Überfahrt von der
ägyptischen Mittelmeerküste nach Italien verlangen die Schlepper zwischen
3.000 und 4.000 Dollar. Vom Libanon aus kostet es das Doppelte.“
Muntazir, syrischer Flüchtling, dessen Boot bei seiner Überfahrt von
Abukir, westlich von Alexandria von der ägyptischen Küstenwache gestoppt
wurde
Früher konnten Syrer ohne Visa nach Ägypten einreisen. Das wurde letzten
Juli geändert. Nun brauchen sie ein Visum von der ägyptischen Botschaft in
Beirut. Seitdem kommen wesentlich weniger Flüchtlinge. Es leben
schätzungsweise 300.000 Syrer in Ägypten.
Recherche: Adopt A Revolution (Berlin, Beirut, Damaskus); Karim El-Gawhary
(Kairo); Ines Kappert, Christian Jakob (Berlin); Mirco Keilberth
(Tripolis); Inga Rogg (Istanbul)
20 Mar 2014
## AUTOREN
Christian Jakob
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