# taz.de -- Filmproduzent über syrische Gefängnisse: „Es ist ein großes, g… | |
> Der syrische Produzent und Filmemacher Orwa Nyrabia wurde verhaftet und | |
> 14 Tage lang verhört. Der Protest aus Hollywood hat ihn gerettet. | |
Bild: Orwa Nyrabia ist eine zentrale Figur im syrischen Widerstand. Hier beim S… | |
taz: Herr Nyrabia, wann begann für Sie persönlich die syrische Revolution? | |
Orwa Nyrabia: Zu Anfang habe ich die klassische Rolle von Filmleuten | |
eingenommen und die Ereignisse vor allem beobachtet. Ab Juli 2011 wurde die | |
Situation meiner Heimatstadt Homs so schlecht, dass Tausende nach Damaskus | |
flohen. Immer mehr Schulfreunde oder entfernte Verwandte riefen bei uns an | |
und sagten: Übrigens, wir schlafen heute auf der Straße ganz in deiner | |
Nähe, kannst du uns helfen? | |
Wie haben Sie darauf reagiert? | |
Das war der Zeitpunkt, an dem ich Mitglied der Local Coordination | |
Committees, also der lokalen Revolutionsräte wurde. Wir bildeten Teams, die | |
die Leute in Damaskus empfingen und Schlafplätze für sie organisierten. Wir | |
brauchten Köche für die Suppenküchen. Und mussten das Geld für alles | |
besorgen. | |
2011 lief das alles noch klandestin, oder? | |
Natürlich. Bis ich Syrien im Oktober 2013 verließ, wusste keines der | |
LCC-Mitglieder meinen richtigen Namen. Doch am Ende hat mich gar nicht | |
meine Arbeit als Aktivist, sondern der Film ins Gefängnis gebracht. | |
Sie meinen den Dokumentarfilm „Homs – ein zerstörter Traum“, den Sie | |
produziert und bei dem Sie zeitweise auch die Kamera geführt haben? | |
Genau. Der Geheimdienst hatte von unserem Projekt etwas mitbekommen. Ein | |
Freund hat dann unter Folter meinen Namen genannt. Und er hatte recht | |
damit. Ich kann mich besser schützen als andere, denn ich arbeite in der | |
Filmindustrie. | |
Hollywoodgrößen wie Robert De Niro, Martin Scorsese und auch Juliette | |
Binoche haben Ihre Freilassung gefordert. | |
Das hat mich gerettet. Es ist verrückt, aber wenn Politiker aus dem Westen | |
das Regime kritisieren, ist ihm das völlig egal. Aber denkt Hollywood | |
schlecht von diesen Leuten, schämen sie sich ein bisschen. Und mich zu | |
unterstützen war für Hollywood einfach: Ich bin säkular, wir arbeiten in | |
der gleichen Branche und haben gemeinsame Freunde. Es ist schade, dass die | |
Filmbranche sich nicht mehr gegen Assad und für die Hilfe für Syrer | |
engagiert. | |
Sie waren für drei Wochen in einem der berüchtigten „Kellergefängnisse“ | |
inhaftiert – wie sieht es dort aus? | |
Unsere Zelle war drei Meter breit und sieben Meter lang – und wir waren 84 | |
Männer dort. Weil es im Keller ist, gibt es keine Lüftung, stattdessen | |
brennt das Neonlicht 24 Stunden. Das Essen ist ekelhaft und sehr wenig, die | |
Toilette ist inmitten der Zelle. Wir durften jeden dritten oder vierten Tag | |
duschen – aber unter solchen Bedingungen müsste man alle Viertelstunde | |
duschen. Jeden Tag kommen die Wärter mit einer Liste und verlesen die Namen | |
der Leute, die zum Verhör müssen. Sie nehmen sie mit, foltern sie und | |
bringen sie am gleichen Abend oder auch erst nach drei oder vier Tagen | |
meist schwer verletzt zurück. Wir sahen also, was mit uns passieren soll | |
und wird. Außerdem hörten wir die ganze Zeit die Schreie. | |
Wurden auch Sie gefoltert? | |
Im Vergleich zu den anderen nur sehr wenig. Ich wurde vor allem geschlagen. | |
Dank der internationalen Kampagne für meine Freilassung waren sie mit mir | |
etwas vorsichtiger. | |
Wie muss man sich so ein Verhör vorstellen? | |
Es ist ein großes, grausames Spiel. 14 Tage lang wurde ich verhört, sechs | |
oder sieben Stunden pro Tag. Die ganze Zeit über musste ich Geschichten | |
über Geschichten erfinden und natürlich auch immer schauspielern. Es wurde | |
die längste Fiktion meines Lebens. Und ich bin Dokumentarfilmer! | |
Wie ging Ihre Geschichte? | |
Es fing damit an, dass sie bei mir eine Liste mit Medikamenten gefunden | |
haben, die ich für eines der „Feldkrankenhäuser“ besorgen sollte. Also | |
wollten sie wissen, wer mich darum gebeten hatte. Natürlich erinnerte ich | |
mich an die Aktivistin aus Homs, die ich drei Tage zuvor im Café in | |
Damaskus getroffen und die mir die Liste in mein Notizbuch geschrieben | |
hatte. Natürlich hatten wir die Medikamente auch sofort gekauft. Aber beim | |
Verhör nannte ich den Namen eines Freundes. | |
Was war mit ihm? | |
Er war zwei Wochen zuvor vom Regime getötet worden. Dann behauptete ich, | |
dass ich den Zettel vergessen hätte, weil ich nie vorgehabt hätte, für die | |
Rebellen zu arbeiten. Und so weiter. Jeden Abend, wenn ich wieder in der | |
Zelle war, ging ich all meine Lügen durch, all die falschen Namen, | |
Geschichten und Daten, damit ich mich am nächsten Tag nicht verheddere. Das | |
war das Schwerste. Ich hatte solche Angst, dass ich mich falsch erinnere. | |
Wer hat sie verhört? | |
Ein Colonel des Militärgeheimdienstes, ein total ekelhafter Typ. Wenn er | |
mich verhörte, trug er meistens einen Schlafanzug. Außerdem lief die ganze | |
Zeit der Fernseher, Staatsfernsehen natürlich, und er hatte sein Funkgerät | |
immer auf Empfang geschaltet und war so mit verschiedenen Checkpoints | |
verbunden: „Sir, wir haben hier XY, er kommt aus Hama. Was sollen wir mit | |
ihm tun?“ – „Lasst ihn laufen.“ – „Sir, der Lastwagen hat nicht ang… | |
Was sollen wir tun?“ – „Schießt!“ Dann hörte man die Schüsse. Es war… | |
gespenstische Geräuschkulisse. | |
Wer saß noch mit Ihnen im Gefängnis? | |
Die Mehrheit waren junge Soldaten – 67, um genau zu sein. Sie alle waren | |
zwischen siebzehn und neunzehn Jahren alt. Man warf ihnen vor, irgendwie | |
vom „Desertieren“ gesprochen zu haben. | |
Auch sie wurden gefoltert? | |
Ja, jeden Tag. Von ihnen wollte man nichts wissen, sie wollte man „nur“ | |
brechen. | |
Gab es irgendeine Art medizinische Versorgung? | |
Jeden Mittag kam ein Arzt und fragte: „Wer ist krank?“ Er hatte vier Pillen | |
dabei: ein Antibiotikum und drei Schmerztabletten, Ibuprophen. Wer etwas | |
wollte, musste sich anstellen. Der Arzt entschied dann, ob er ihre | |
Krankenstory gut fand oder nicht. Meistens war er unzufrieden, und schlug | |
mit voller Wucht zu. Sich krankzumelden war also ein ziemliches Risiko. | |
Wie viele Menschen sind zurzeit in solchen Gefängnissen? | |
Zwischen 200.000 und 250.000. Und die Verhältnisse haben sich massiv | |
verschlechtert. Bei uns ist niemand in der Zelle gestorben, aber das | |
passiert jetzt offenbar täglich. | |
Inzwischen versuchen fast alle, die ein bisschen Geld haben, Syrien zu | |
verlassen. Bedeutet das, dass vor allem die Armen noch gegen das | |
Assad-Regime und gegen die Islamisten kämpfen? | |
Ja. Diese Entwicklung wurde besonders deutlich, als die Ärzte unter | |
Beschuss genommen wurden und Syrien verließen. Heute sind fast keine mehr | |
im Land. Inzwischen bestimmen die Kämpfer, die häufig aus ländlichen | |
Gegenden kommen und eher konservativ sind, die öffentliche Meinung. Auch | |
nach dem Sturz von Assad werden sie eine lautere Stimme haben als vor der | |
Revolution. Aber wir sollten das nicht vorschnell verurteilen: Diese Leute | |
lernen schnell. | |
Inwiefern? | |
Am Anfang waren viele von ihnen begeistert von den radikalen Islamisten, | |
von Isis. Heute sagen sie offen, dass das ein Fehler war. Sie lernen unter | |
schwierigsten Bedingungen, denn niemand hilft ihnen dabei. Die Reichen und | |
die Mittelschicht sind ja größtenteils weg. | |
Wird Syrien geteilt werden? | |
Lässt man die Dinge weiter so laufen wie bisher, dann kann das leicht | |
passieren. Aber sollte sich die Welt doch noch dazu entschließen, etwas für | |
Syrien zu tun, dann ist das Land noch zu retten. | |
Aber wie? | |
Indem wir die Moderaten mit Nahrung und Waffen unterstützen und Druck auf | |
die Regierungen ausüben, die die Radikalen finanzieren: Iran, Russland, | |
Saudi-Arabien, auch die Türkei spielt keine rühmlich Rolle. | |
Sollten wir Soldaten schicken? | |
Auf keinen Fall. | |
Sie greifen doch selbst die UN-Konvois mit Lebensmitteln an! | |
Ich rede nicht von kleinen Missionen. Die UN müsste Hilfe mit großen | |
Konvois ins Land bringen, nicht mit drei oder vier Lastwagen. Darüber | |
würden humanitäre Korridore geschaffen, die dann den Hilfsorganisation | |
ermöglichten, ihre Arbeit zu machen. Womöglich geschützt von Blauhelmen. | |
Auf keinen Fall sollte der Westen Kampftruppen schicken. | |
Und was passiert mit Assad? | |
Assad ist nur der Rammbock, das weiß jeder. Er kann nicht mehr viel selbst | |
entscheiden, sondern ist einfach nur ein Trumpf in Putins großem | |
Pokerspiel. | |
Trotzdem wird er dieses Jahr Wahlen ausrichten? | |
Na klar. Er wird keine Sekunde zögern – außer Putin ruft ihn an und sagt | |
ihm, dass er das bleiben lassen soll. | |
Sie sind kürzlich mit Ihrer Frau in Berlin angekommen. | |
Darüber sind wir sehr glücklich. Wir haben eine Aufenthaltsgenehmigung für | |
zwei Jahre und auch eine Arbeitsgenehmigung. Die Behörden haben uns so | |
freundlich empfangen, das war unglaublich! Bislang war es das Schwierigste, | |
ein Bankkonto zu eröffnen. Aber auch das haben wir inzwischen geschafft. | |
21 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Syrien | |
politische Gefangene | |
Hollywood | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Barack Obama | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Syrien | |
Syrien | |
Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Alltag im syrischen Rebellenkrankenhauss: Tausend Operationen in 18 Monaten | |
Als Arzt war Bashar Al Tammawi im Untergrund tätig. Man setzte seine | |
Familie unter Druck, seither ist er auf der Flucht. Jetzt will er wieder in | |
Deutschland arbeiten. | |
Obama in Saudi-Arabien: Gemeinsam für syrische Rebellen | |
Beim Besuch des US-Präsidenten in Saudi-Arabien geht es um den Krieg in | |
Syrien. Von Jordanien aus sollen die Rebellen Unterstützung kriegen. | |
Entführte Journalisten in Syrien: Nach sechs Monaten wieder frei | |
Syrien gilt als das gefährlichste Land für Journalisten weltweit. Nun sind | |
zwei von Dschihadisten entführte Journalisten freigelassen worden. | |
Deutsche Außenpolitik zu Syrien: Spielarten der Ratlosigkeit | |
Deutsche Politiker greifen nach allem, damit nicht der Eindruck entsteht, | |
sie ließen Syrien einfach verbluten. Bei der Flüchtlingshilfe tun sie sich | |
schwer. | |
Fluchtrouten von Syrien in die EU: Wege aus dem Krieg | |
Von Syrien in die Europäische Union zu gelangen, ist teuer und gefährlich. | |
Und für die Flüchtlinge gibt keine Gewähr, dass sie einen sicheren Ort | |
erreichen. | |
Syrischer Filmemacher über Diplomatie: „Niemand wird den Zivilisten helfen“ | |
Das haben die internationalen Player geschafft: In nur drei Jahren ist die | |
syrische Gesellschaft fast so zerstört wie Afghanistan, sagt Regisseur | |
Talal Derki. | |
Drei Jahre Aufstand in Syrien: „Mein Ort ist hier“ | |
Bomben, Dschihadisten und Hunger – drei Jahre nach dem Beginn des syrischen | |
Krieges sind die Aktivisten vielen Bedrohungen ausgesetzt. |