# taz.de -- Mobbing im Internet: „Mit jedem Klick entzogst du Leben“ | |
> Von Cybermobbing ist etwa jeder fünfte Schüler betroffen. Eine Initiative | |
> hat Jugendliche über persönliche Erfahrungen schreiben lassen. | |
Bild: Bedrohungen, Beleidigungen und peinliche Fotos im Internet | |
Es sind Geschichten wie die von der 15-jährigen Doreen, die einen ahnen | |
lassen, was Cybermobbing bedeuten kann. „Hey du fette, hässliche Sau. | |
Wusstest du, wer dieses Jahr den Pokal 'die am schlimmsten anzusehende | |
Frau' gewonnen hat? Nein? Rate doch mal. Wie wäre es mit deiner Mutter?“ | |
schreibt ein Klassenkamerad bei Facebook. Die Protagonistin in Doreens Text | |
wird von ihren Mitschülern gemobbt. Die Beleidigungen schreiben die | |
Klassenkameraden auf ihr Facebook-Profil, so dass sie für alle ihre Freunde | |
in dem sozialen Netzwerk sichtbar sind. | |
Die Geschichte ist in dem Buch „Wir erheben unsere Stimme gegen | |
Cybermobbing“ erschienen, das das [1][„Bündnis gegen Cybermobbing e. V.“] | |
jetzt herausgegeben hat. Der Verein mit Sitz in Karlsruhe besteht seit 2011 | |
und will Eltern, Lehrer und Schüler über das Thema informieren und | |
psychologisch und rechtlich beraten. Das Buch ist aus einem | |
Schreibwettbewerb hervorgegangen, den der gemeinnützige Verein ausgerichtet | |
hat: Schüler sollten reale und fiktive Geschichten einreichen, bei denen es | |
um Mobbing im Internet geht. Cybermobbing kann ein beleidigender | |
SchülerVZ-Kommentar sein, peinliche Videos sowie montierte oder echte | |
Nacktfotos, die ein Facebook-Freund hochgeladen hat, bis hin zu | |
Morddrohungen. | |
„Im Gegensatz zu Mobbing, das zwischen Menschen stattfindet, die sich von | |
Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, ist Cybermobbing sehr viel | |
hemmungsloser“, sagt Uwe Leest, der Vorstandsvorsitzende des Vereins. „Auf | |
dem Schulhof muss man jemanden anschauen, wenn man ihn beschimpft, und das | |
Opfer wehrt sich oder reagiert zumindest darauf. Beim Cybermobbing sieht | |
der Täter nicht, was für seelische Verletzungen er seinem Opfer zufügt, | |
deshalb hat das ganz andere Dimensionen.“ Was diese neuen Dimensionen des | |
Mobbings für Folgen haben können, schildern die Schüler in ihren Beiträgen: | |
„Ich fühlte mich so wertlos wie noch nie in meinem Leben“, schreibt die | |
16-jährige Antonia. Und Johanna, 14 Jahre, hat ein Gedicht verfasst mit der | |
Zeile: „Mit jedem Klick entzogst du mir Leben.“ | |
Die Hauptfigur in Doreens Text, die auf ihrem Facebook-Profil den | |
beleidigenden Kommentar über ihre Mutter gelesen hat, fühlt sich von | |
Klassenkameraden, die sie für Freunde gehalten hat, verlassen. Ihre | |
Verzweiflung ist so groß, dass sie schließlich anfängt, sich mit einer | |
Schere selbst zu verletzen. Aber die Geschichte hat eine glückliche | |
Wendung: Die Schülerin hat eine Freundin, die zu ihr hält, und sie erzählt | |
ihrer Mutter von ihren Problemen. Zum Schluss bekommt die Mutter ein | |
Jobangebot in England, so dass die beiden umziehen und neu anfangen können. | |
## Mobbing kann zu Essstörungen führen | |
In der Realität ist das Ende oft weniger glücklich, sagt Monika | |
Hirsch-Sprätz von der [2][Mobbingberatung Berlin-Brandenburg]. Schüler | |
würden sich häufig keine Hilfe holen, weil sie Angst hätten. „Kinder wollen | |
oft nicht, dass sich die Eltern einschalten, weil sie nicht wissen, ob die | |
Situation dann nicht außer Kontrolle gerät“, sagt Hirsch-Sprätz. Der Grund: | |
Eltern würden häufig überstürzt agieren, wenn die eigenen Kinder betroffen | |
sind, und direkt Kontakt zu den Eltern des Täters aufnehmen. Den Kindern | |
sei das aber unangenehm. Nur jeder fünfte Jugendliche meldet Vorfälle von | |
Cybermobbing beim Betreiber entsprechender Plattformen wie Facebook oder | |
SchülerVZ. Das besagt eine [3][Studie] vom „Bündnis gegen Cybermobbing“ a… | |
dem vergangenen Jahr, für die über 6700 Schüler befragt wurden. | |
Viele Schüler seien hilflos, wenn sie Opfer von Cybermobbing werden, so | |
Hirsch-Sprätz. „Mobbing ist eine Verletzung der Seele und stört die gesunde | |
Selbstwertentwicklung in der Pubertät. Viele Jugendliche reagieren dann mit | |
Rückzug und Flucht. Schüler schaffen es meist nicht, darüber zu sprechen, | |
sondern verschließen sich.“ Das könne dazu führen, dass Jugendliche sich in | |
eine Phantasiewelt zurückziehen und zum Beispiel viel Zeit mit | |
Computerspielen verbringen würden. Im schlimmsten Fall kann es zu | |
Selbstverletzungen, Essstörungen und Selbstmordgedanken kommen. Außerdem | |
sei wissenschaftlich belegt, dass Mobbing Langzeitfolgen haben kann, sagt | |
Hirsch-Sprätz: „Entwicklungspsychologen und Hirnforscher haben | |
herausgefunden, dass diese Form der Gewalt Nervenzellen im Hippocampus | |
absterben lässt.“ | |
Jeder fünfte Schüler im Alter von dreizehn bis sechzehn Jahren ist laut der | |
Schülerbefragung als Opfer von Cybermobbing betroffen oder selbst Täter. | |
Jugendliche, die selbst jemanden gemobbt haben, nannten als Motivation am | |
häufigsten Spaß und Langeweile. „Wir hatten versucht, ihn, wo auch immer | |
wir ihn finden konnten, fertig zu machen“, schreibt ein 15-Jähriger im | |
Forum [4][„Schüler-gegen-Mobbing“]. Gemeinsam mit Freunden hat er einen | |
anderen Jungen, den sie über ein Online-Spiel kennengelernt haben, über das | |
Internet beleidigt und dafür gesorgt, dass auch dessen Schulklasse davon | |
erfuhr. „Warum? Es hat Spaß gemacht sich über ihn lustig zu machen und zu | |
merken, wie schlecht es ihm dadurch ging.“ | |
Auffällig ist, dass mehr als ein Drittel der Täter nach eigenen Angaben | |
selbst schon Opfer von Cybermobbing war. Für Uwe Leest ein Reflex: „Wenn | |
man Opfer ist, will man das dem anderen heimzahlen. Und im Internet muss | |
man dazu nicht stärker oder in einer Gruppe sein.“ | |
25 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.xn--bndnis-gegen-cybermobbing-fwc.de/ | |
[2] http://mobbingberatung-bb.de/ | |
[3] http://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/Studie/cybermobbingstudie.pdf | |
[4] http://www.schueler-gegen-mobbing.de/ | |
## AUTOREN | |
Charlotte Gerling | |
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