| # taz.de -- Die Wahrheit: Abhören von unten | |
| > Neues aus der Kontrollgesellschaft: Der Bürger liebt die Selbstkontrolle | |
| > und seine Neugier ist grenzenlos, fremde Stimmen zu belauschen. | |
| Bild: Der öffentliche Raum ist Bürgers Mithörparadies schlechthin | |
| Statt im Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft bloß | |
| darüber zu klagen, dass die Überwachung zunimmt – also immer mehr | |
| Telefongespräche abgehört, Briefe sowie E-Mails kontrolliert und | |
| öffentliche Orte unter Videobeobachtung gestellt werden –, fangen die | |
| Bürger nun selbst an zu überwachen: Hier richtet einer seine Videokameras, | |
| als Vogelhäuschen getarnt, in die Fenster seiner nackenden Nachbarin. Dort | |
| bohrt einer ein Loch in den Fußboden und nimmt die nächtlichen Ehegespräche | |
| des sich mit gemeinen Wörtern erregenden Paars unter ihm auf. Immer | |
| beliebter wird bei zunehmendem Mobbing auch das Mithören von | |
| Kollegengesprächen. | |
| Solche Neugier stößt nicht immer auf Gegenliebe. Als eine Studentin | |
| beschloss, ihre Abschlussarbeit im Fach Kommunikation über „Gespräche am | |
| Nebentisch“ zu schreiben, baten wir sie, vorher ein paar Tage im Berliner | |
| Lokal Borchardt zu üben – und anschließend darüber für die taz zu | |
| schreiben. Bevor das geschah, veröffentlichten wir eine kurze Bemerkung | |
| über ihr Experiment mit dem Titel „Bürger beobachten das Borchardt“ (dort | |
| verkehren vornehmlich Medienmanager). Prompt bekamen wir mehrere Anrufe von | |
| Borchardt-Gästen, die unbedingt die Namen der Studentin wissen wollten. | |
| Eher umgekehrt verhielt es sich mit einem Permanentgespräch, das direkt in | |
| das Gehirn eines Tontechnikers „funkte“, der davon jedoch nichts wissen | |
| wollte, denn es ging darüber, dass und wie er sich umbringen sollte. Der | |
| Tontechniker schrieb diese monatelange „Beeinflussung“ erst auf und | |
| veröffentlichte sie in der Zeitschrift Gegner sowie auf [1][scribd.com] – | |
| unter dem Titel „Neurofaschismus“. Dann ging er auf Anraten des BKA in eine | |
| Gruppe anonymer Stimmenhörer. Dort verstummte schließlich das anstrengende | |
| Gespräch in seinen Ohren. | |
| Anders der Hubschrauberexperte und taz-Blogger Heinrich Dubel, er leitet | |
| seit 1991 in seinem Berliner Erratik-Institut das Projekt „Stimmen? Wir | |
| hören hin“. Die schönsten Blüten seiner aufgeschnappten Passantenäußerun… | |
| verschickt er allwöchentlich an Kommunikationsforscher und andere | |
| Passanten. Hier einige Beispiele. Nachts im Taxi: Ostberliner Fahrer. „Also | |
| nee! Kreuzberg! Da will ich ja nich wohn!“ Fahrgast: „Ich will auch nicht, | |
| dass Sie da wohnen.“ | |
| Vernissage in Prenzlauer Berg: Sie trägt ein silbernes Kreuzchen an der | |
| Halskette. Er will Konversation machen: „Bist du Christin?“ - „Nee. | |
| Ann-Katrin.“ Ein angetrunkener Besucher vor einem Mitte-Club zum Türsteher: | |
| „Eh … samstags is aber ganz schön scheiße hier.“ Türsteher (trocken): … | |
| aber Freitag.“ | |
| Lange Schlange in der Pankower Post: Es wird über den Gestank im Raum | |
| geklagt. Ein Mann hebt den Arm und sagt: „Det bin ich! Ich stinke wie ein | |
| Puma.“ Darauf eine Frau: „Riecht aber eher wie Knoblauchwurst.“ | |
| ## „Machen Sie bitte die Tasche auf!“ | |
| U-Bahnhof Alexanderplatz: Zwei Männer vor einem Plakat. „Wat soll n ditte?“ | |
| – „Wees ick ooch nich, sons is hia imma Kunst.“ Lausitzer Platz: Zwei | |
| Mädchen in der Frühlingssonne. „Ich kann gar kein Weichei sein …! Ich hab | |
| ja keine Eier!“ – „Aber … du hast doch Eier!“ – „Och, geh mir doc… | |
| aufn Sack!“ | |
| U-Bahnhof Hermannplatz: Zwei Junkies. „Wenn ich in n Knast geh, geht mein | |
| Hund kaputt. Der frisst dann nix mehr, dass sach ich dir.“ – „Ach Quatsch! | |
| Als du die Woche im Krankenhaus warst, hat er ja auch gefressn.“ – „Das w… | |
| was anderes. Da hat er gedacht, Herrchen is auf Party.“ Wiener Straße: Zwei | |
| Mädchen in weißen Blusen, es fängt an zu regnen. „Du, Nicole, isch glaub, | |
| isch werd durchsischtisch …“ | |
| In Kreuzberg gibt es eine Autorin, die dort ständig mit Kopfhörer auf den | |
| Ohren herumläuft. Dieser verbirgt aber nicht Lautsprecher, sondern | |
| Mikrofone. Hier einige von ihr eingefangene Äußerungen. Im Café Florian: | |
| Zwei Intellektuelle, der eine aufgeregt: „Plötzlich stänkern alle deutschen | |
| Medien gegen die illegalen jüdischen Siedlungen in Palästina!“ Der andere | |
| müde, mit Brecht: „Was ist die Besiedlung der Westbank gegen die Gründung | |
| einer Bad Bank?!“ Ein Jungtürke am Kotti: „Isch mach disch urban! Schwör | |
| isch bei kaputte Kirche am Kudamm!“ | |
| Schließlich noch ein fast frischer Dialog vom Flughafen Schönefeld: | |
| Securityleiter: „Machen Sie bitte die Tasche auf!“ Passagier: „Meinen Se, | |
| da ist ne Bombe drin, und ich will damit auf die Krim?“ | |
| Zusammengefasst verhält es sich beim Thema „Abhören von unten“ wie folgt: | |
| Eine 50-Jährige in Wilmersdorf, deren Wohnungsnachbar beim Innenministerium | |
| als Computerspezialist arbeitet, war davon überzeugt, dass er ihre E-Mails | |
| abfängt und Handygespräche mithört. Die Dame schützte sich dagegen und | |
| publizierte eine Autobiografie, in der ihre privatesten Gedanken sozusagen | |
| Allgemeingut wurden. Aus wars mit dem Ausschnüffeln der Privatsphäre. | |
| Dieser „Trick“ – seine Autobiografie schreiben, auf die innere Stimme hö… | |
| und lästigerweise das Gehörte auch veröffentlichen – wurde in der Folgezeit | |
| verstärkt angewendet, und auch das äußerst lästige „Stimmenhören“ nahm | |
| kräftig zu. Ist das nicht seltsam? Beides gehört jedoch noch zum „Abhören | |
| von unten“ – es sind quasi seine äußersten Pole. | |
| 8 Mar 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://scribd.com | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
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