# taz.de -- Die Wahrheit: Was tut sich eigentlich in Nepal? | |
> Der erste Teil des globalen Wahrheit-Reports beschäftigt sich eingehend | |
> mit der politisch komischen Situation im bergigen Ex-Königreich. | |
Bild: Maoismus-Tourismus, ein glücklicher Exkönig (Bildmitte) und Gipfelkanon… | |
Was tut sich eigentlich in Nepal? Das fragt man sich am Jahresanfang | |
unwillkürlich, denn in diesem kleinen, bei Hippies, Yuppies und Trekkern | |
beliebten Bergland geht es besonders turbulent zu, wie man spätestens seit | |
dem Standardwerk „Who is who in Kathmandu“ des „Globaltrottels“ Micky | |
Remann weiß. | |
Der Hinduismus war in Nepal bis vor Kurzem noch Staatsreligion, weswegen 70 | |
Prozent der Bevölkerung als Untermenschen galten. Und zu allem Überfluss | |
streifen seit den sechziger Jahren Horden von Esoterikern durch das „ärmste | |
Land Asiens“, um die dort ansässigen Aschrams nach den Weisen von Shambhala | |
abzuscannen. Daneben wird der kleine Staat schwer von ebenso wohlhabenden | |
wie extremsportlichen Ökotouristen heimgesucht, die ständig von den | |
Himalajagipfeln fallen oder von Lawinen ins Tal gefegt werden. In dieser | |
Saison fanden bislang wieder über 100 den Tod. | |
Hinzu kamen Ende November noch drei Tote beim Opferfest Gadhimai, für das | |
allein 5.000 Wasserbüffel geschlachtet wurden, dazu Tausende von Ziegen, | |
Hühnern und Enten. Die Umgebung des Tempels von Bariyarpur schwamm in Blut. | |
2009 hatte man der Göttin dort sogar 50.000 Wasserbüffel geopfert. Das soll | |
Glück bringen. Letztes Jahr wimmelte es vor Ort neben gläubigen Hindus und | |
knipsenden Touristen vor protestierenden Tierschützern. Auch das | |
Polizeiaufgebot zu ihrem Schutz war enorm. | |
## Terroristen und Touristen | |
Die von der US-Regierung 1997 zu „Terroristen“ erklärten maoistischen | |
Partisanen Nepals waren unterdessen anderswo tätig: Sie schützen die großen | |
Touristenhotels in Kathmandu und die vielen Trekking-Lodges auf dem Land – | |
gegen Bargeld. Außerdem kassierten sie laut Tourism Watch im | |
Annapurna-Gebiet die Übernachtungsgebühren vorab. Die Einnahmen sollen | |
ihrem Sieg im Volkskrieg zugutekommen. | |
Während Le Monde diplomatique die Maoisten wegen ihrer Beteiligung an der | |
Regierung als „die braven Maoisten von Nepal“ abtut, kritisieren die | |
Trekker in den Internetforen sie als bösartige wandernde Zöllner, die | |
ihnen, gegen Quittung, ständig Spenden abverlangen. Diese | |
„Maoistengebühren“ sehen vor, das irgendeine mit rotem Banner abgesperrte | |
Straße erst nach Zahlung von etwa 100 Dollar freigegeben wird. Mit der | |
Begründung, dass ab dort nicht mehr der Staat, sondern sie zuständig seien. | |
Wer die Maoisten dann darauf hinweist, dass sie doch das ganze Land | |
mitregieren, dem wird geantwortet, dass die Partei streng basisdemokratisch | |
organisiert sei. Bestätigt werden diese Zustände unter anderem von einem | |
„Gregor“ im Nepalforum, der mit seinem kranken Trekkingfreund in einem | |
Bergdorf gestrandet war und ausgeflogen werden wollte. Doch die Regierung | |
bewilligte keinen Hubschrauberflug, weil sie sich „in einem maoistischen | |
Ort“ befanden und zuerst der lokalen Guerilla 5.000 Dollar zahlen sollten. | |
## Enttäuschte Linke | |
In anderen Nepalforen berichten Trekker stolz, dass sie „mit Glück und ein | |
wenig Versteckspielen“, auch ohne zu zahlen, durchgekommen seien – zu | |
irgendeinem Gipfel vermutlich. Es gibt allerdings neben solchen | |
antikommunistischen Naturburschen auch einen wachsenden Maoismustourismus | |
von Linken, die eher enttäuscht sind, wenn sie von keinem Vertreter vor Ort | |
„angesprochen“ werden. | |
2004 hatten die Maoisten ein Luxushotel der Königsfamilie abgefackelt. Zwei | |
Amerikaner berichteten, sie seien von wandernden Zöllnern des Königs | |
ausgeraubt worden, aber wahrscheinlich haben sie da irgendwas | |
missverstanden. Wie man vielleicht noch weiß, wurde König Birendra 2001 von | |
seinem Sohn, Kronprinz Dipendra, erdolcht, der dann gleich auch noch seine | |
Mutter und einige Geschwister erschoss und zuletzt sich selbst erschießen | |
wollte. | |
Ehe er nach drei Tagen seinen Verletzungen erlag, wurde er noch schnell zum | |
Thronfolger gekrönt. Anschließend machte man seinen Onkel Gyanendra zum | |
König von Nepal. Dieser, einer der größten Unternehmer des Landes, | |
verdreifachte seine Apanage sogleich auf 4,5 Millionen Euro. | |
Ende 2007 beschloss dann die Regierungskoalition, bestehend aus einem | |
Bündnis der Maoisten mit zentristischen und linksliberalen Parteien, die | |
Abschaffung der Monarchie und rief die Republik aus. Der Hinduismus war | |
damit keine Staatsreligion mehr. Alles in allem waren im maoistischen | |
Klassenkampf gegen Armut, Analphabetismus und Kasten bis dahin etwa 14.000 | |
Nepalesen umgekommen, wobei zwei Drittel auf das Konto der Polizei gehen, | |
die sie als „Terroristen“ erschoss. | |
## Korrupter Staat | |
Weltweite Proteste, unter anderem von Amnesty International, bewirkten vor | |
allem ein Vorgehen der Polizei gegen Schwule, Transvestiten und generell | |
gegen Querdenker. Die Staatsorgane gelten überdies als äußerst korrupt. | |
Feministinnen erwähnen, dass jährlich 20.000 Nepalesinnen zwischen 8 und 18 | |
Jahren verkauft werden – meist an indische Bordellbesitzer. | |
Wir erinnern uns: Als die Maoisten 2006 drei Viertel des Landes | |
kontrollierten, schlossen sie einen Friedensvertrag mit der Regierung. Die | |
20.000 Kämpfer ihrer „Volksbefreiungsarmee“ rückten daraufhin unter | |
Aufsicht der UNO in Militärlager überall im Land ein, von wo aus sie in die | |
reguläre Armee eingegliedert werden sollten. | |
Der Prozess verzögerte sich, weil ihr großer Vorsitzender versuchte, den | |
Generalstabschef wegzuputschen. 2011 einigte man sich, erst einmal 6.500 | |
„Terroristen“ in eine „Spezialeinheit“ zu integrieren. 2013 erlitten die | |
Maoisten, bis dahin stärkste Partei, eine Wahlschlappe. Ihr Parteichef | |
Prachanda, dessen Name für einen eigenständigen Nepal-Maoismus steht, der | |
eher dem der indischen „Naxaliten“ ähnelt, sprach von Wahlbetrug und | |
kündigte energische Schritte an. | |
Die Neue Zürcher Zeitung beruhigte daraufhin sofort alle Nepaltouristen, | |
von denen das Land lebt: „Prachanda dürfte wenig Lust verspüren, in den | |
Dschungel zurückzukehren.“ Und so war es dann auch. Demnächst wird aber | |
erst einmal ein „Grundgesetz“ in Kraft treten. An seiner Formulierung war | |
angeblich auch „Deutschland“ beteiligt. | |
Nepal bleibt also komisch! | |
4 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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