| # taz.de -- Die Wahrheit: Ficken, shoppen, sparen | |
| > Haushalten ist komplett aus der Mode. Allerorten wird nur noch mit immer | |
| > seltsameren Sparmodellen geworben, die längst ins Gegenteil umschlagen. | |
| Bild: Keine Sau besitzt mehr ein Sparschwein. | |
| Im seinem soeben erschienenen Tatsachenroman „Möbelhaus“ kritisiert Robert | |
| Kisch, der Möbelverkäufer auf Provisionsbasis, seine Kunden und er erwähnt | |
| dabei das Internet. Dazu heißt es in einer Romanrezension: „Die Macht der | |
| Internetrecherche trifft als Erstes nicht den Unternehmer, sondern den | |
| geknechteten Verkäufer. Der Online-Anbieter ist auch in der Möbelbranche | |
| der Parasit, dessen Geschäft darauf beruht, dass der Kunde sich bei Kisch | |
| auf dessen Kosten beraten lässt und dann online kauft, wo es billiger ist.“ | |
| Es geht ihm dabei ums „Sparen“. | |
| Vor der Durchsetzung des Neoliberalismus war das Sparen einfach – und | |
| begann oft schon bei der Geburt: Da bekam man von seinem Taufpaten ein | |
| Sparbuch. Die Sparkassen wurden extra gegründet, um Kinder und Arme zum | |
| Sparen anzuhalten: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not!“ | |
| Die Sparkasse in Emden vergab allerdings auch schon mal Geld an unliebsame | |
| oder liederliche Mitmenschen (Nichtsparer), die sich damit als Auswanderer | |
| ein One-Way-Ticket nach Amerika kauften mussten. Hier verhielt es sich so | |
| ähnlich wie mit dem Ausfliegen von Flüchtlingen, nur dass es sich dabei | |
| (noch) um Einheimische handelte. | |
| Heute funktionieren die Sparkassen anders, wie eine Angestellte in der | |
| Berliner Filiale am Potsdamer Platz berichtet: „Die Sparkassen hatten und | |
| haben zwar den öffentlichen Auftrag, den kleinen Mann zum Sparen zu | |
| ermuntern und sein Geld zu verwalten. Weil die Sparkasse aber unter einer | |
| Holding zusammengepackt und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, | |
| sind wir auch dazu da, Aktien unserer eigenen Firma anzubieten. Durch diese | |
| Fusionen wird alles immer gewinnorientierter. Girokonten sind nur noch | |
| Peanuts. Ich bekomme einen Anschiss, wenn ich einen Kunden, der ein | |
| Girokonto eröffnen will, berate – und ihm dabei nicht mindestens ein | |
| Sparbuch verkaufe.“ | |
| ## Das Sowohl-als-auch-Sparen | |
| Das Animieren zum „Sparen“ haben nun absurderweise auch alle anderen | |
| Branchen übernommen: Im Internet gibt es zum Stichwort „Sparen“ über 100 | |
| Millionen Einträge. Und jede dritte Plakatwerbung spricht vom Sparen. Am | |
| schlimmsten sind die Handy- und Internetanbieter, die sich jede Woche ein | |
| neues „Sparangebot“ beziehungsweise „Supersparpaket“ ausdenken. | |
| Bei den Berliner Verkehrsbetrieben und im Zoo „spart“ man, wenn man eine | |
| Jahreskarte kauft, bei Aldi fast täglich; und bei Möbel Höffner bekommt man | |
| sogar „500 Euro geschenkt“, wenn man dort einkauft. Aber auch bei Gas- und | |
| Stromanbietern gibt es Spartarife und Prämien, und beim Schnitzelhuber | |
| Speisen mit der Auszeichnung „56 % sparen“. Bei einem Subaru-Autokauf kann | |
| man sogar „3.000 Euro sparen“. | |
| Ferner helfen einem Dutzende Ratgeber „Steuern sparen“; der Onlineshop von | |
| Media Markt „lädt zum Sparen ein“; die AOK sagt einem, wie man „im | |
| Fitnessstudio Geld sparen“ kann; und Software-Hersteller bieten gar eine | |
| „Lizenz zum Sparen“ an. | |
| Und dann gibt es noch das Sowohl-als-auch: Sonnenklar.tv weiß, wie man | |
| gleichzeitig „Reisen und Sparen“ kann; mit der „Lidl-Diät“ spart man a… | |
| einen Schlag „Geld und Kalorien“; bei Conrad Electronic kann man „Shoppen… | |
| Sparen“; und im Bordell Emmerich kann man „Ficken und Sparen“, was ein | |
| richtiger „Flatrate-Spass“ sein soll. | |
| ## „Zahle für zwei und nimm drei!“ | |
| Besonders irre klingen die Angebote in englischen Buchläden, wo sie „Krieg | |
| und Frieden“ von Tolstoi verkaufen – mit dem Hinweis: „Zahle für zwei und | |
| nimm drei!“ Man bekommt also ein Exemplar umsonst. Aber was soll man mit | |
| drei „Krieg und Frieden“-Wälzern? Die Texte vergleichen – wie die | |
| Trobriander mit Margret Meads Doktorarbeit? | |
| Ein ähnliches Geschäftsgebaren hat schon Egon, einen Kollegen in der | |
| Rindervormast der LPG „Florian Geyer“, gleich nach der Wende kirre gemacht: | |
| „Alle wollen einem alles mögliche 'günstig' verkaufen, aber wo man das Geld | |
| dafür herkriegt, das sagen sie einem nicht.“ | |
| Inzwischen bieten sämtliche Geschäfte Ratenzahlung an oder sogar einen | |
| Kredit, den man dann bei ihnen ausgibt. Ganz Deutschland verfährt so: So | |
| mussten etwa die Griechen für das erste „Rettungspaket“ deutsche | |
| Leopard-Panzer und U-Boote kaufen. | |
| Am hinterhältigsten aber sind die Gewerkschaften in den USA: Für einen Job | |
| in einem New Yorker Betrieb muss man in der Gewerkschaft sein, doch das | |
| kostet erst einmal 5.000 Dollar. Allerdings hat man anschließend ein | |
| regelmäßiges Einkommen und kann als Konsument wie verrückt sparen. | |
| Die Stadtmarketing GmbH von Berlin wirbt übrigens demnächst mit dem | |
| Zauberwort: „Wenn Sie nach Berlin und nicht nach London ziehen, sparen Sie | |
| bis zu 400.000 Euro – und zwei Tolstoi-Romane beim Kauf von einem.“ | |
| 18 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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