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# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Gender Grillsex
> Vom Gewurstel der Geschlechter beim Essen.
Bild: Für eingefleischte Vegetarier offenbar kein Widerspruch: vegane Tätow…
Es sind immer die Männer, die sich open air um das Grillfleisch kümmern,
während die Mehrzahl der Frauen lieber privat und unbeobachtet in der Küche
wurschtelt. Zudem liegen sie bei der Reduzierung des Fleischkonsums weit
vorn. Die Vorkämpfer für den Vegetarismus zwecks Weltrettung sind: die
Zeit-Redakteurin Iris Radisch, die Bestsellerautorin Karen Duve („Anständig
Essen“) und die taz-Kolumnistin Hilal Sezgin. Der Berliner Tagesspiegel
ermittelte bereits ihre Breitenwirkung: „Während die meisten Mädchen unter
18 durchaus über Ethik beim Essen nachdenken, gaben die Jungen ein klares
Votum für Fleisch ab.“
Die Mädels sind dabei aber auch doppelt und dreifach motiviert: Erstens
sieht es schick und supermodern aus, wenn sie in knappsten Hotpants zu
fünft an einem Runden Tisch Platz nehmen und in ihren rotgrünen
Salattellern rumstochern, wobei sie die Gabeln charmant mit abgespreiztem
Finger fassen. Zweitens erhalten sie sich dadurch ihre Kinderfigur, die sie
mit einer Ganzkörperrasur noch betonen – und einem klitzekleinen
Intim-Tattoo krönen. Und drittens haben sie so immer wieder ein gemeinsames
Thema: Gesundheit, Nichtrauchen, Jogging und Yoga, Kalorien und Biofood.
„Um die Welt zu verbessern, muss jeder bei sich selbst anfangen“ und „Du
bist, was du isst!“
Dieser ganze Schwachsinn nennt sich „Ethikdebatte“. Junge Männer mischen
dabei höchstens mit Provopamphleten à la „Fleisch ist mein Gemüse!“ mit.
Wenn die Berliner Journaille sich dieses heißen „Diskurses“ annimmt, dann
hat sie noch jedes Mal die Warteschlange vor der Wurstbude „Curry 36“ am
Kreuzberger Mehringdamm mit der am „Gemüse-Kebab“-Stand zwei Häuser weiter
verglichen: Hier junge sportlich aussehende Pflanzenvertilger meist
weiblichen Geschlechts mit gutem Abitur – dort ebenso dickbäuchige wie
bräsige Ekelfleischvernichter meist männlichen Geschlechts mit höchstens
Mittlerer Reife. Und während die einen die gefüllten Därme im Stehen stumm
und geradezu verbissen in sich reinschaufeln, setzen sich jene auf ein
Mäuerchen neben dem Vegan-Imbiss und reden miteinander oder kontrollieren
ihr Smartphone, während sie wie nebenbei und äußerst graziös kleine
Gemüsestücke zwischen ihre süßen Lippen schieben. Man sieht gar nicht, wie
sie kauen, noch weniger, wie sie verdauen. Tun sie das überhaupt oder
rückverwandelt sich das florale Chlorophyll bei ihnen etwa schon auf der
Höhe ihres Herzens zu nahrhaftem Sonnenlicht gleich der Solarenergie? In
bunten Sommerkleidchen sehen sie bereits alle aus wie Blumen.
Der Philosoph Jean-François Lyotard meinte nach einem Besuch des
Weltzentrums für Öko-, Bio-, Buddha- und Body-Kunst Kalifornien: „Das Weiß
der Frau-Haut ist (dort) das Licht!“ Soll heißen: die schlanke, sportliche,
sonnengebräunte Jungkalifornierin – das ist nun der amerikanische Traum und
topaktuell. Und gilt also jetzt auch hierzulande – nur noch unerbittlicher.
Dazu gehört auch, was zwei kanadische Kulturwissenschaftler, Matthew Ruby
und Steven Heine, in einer empirischen Studie herausfanden: dass Frauen,
denen man unterschiedliche Dating-Profile vorlegte, „Männer, die Vegetarier
waren, als weniger maskulin einschätzten“, sie mithin als potente Liebhaber
und potenzielle Väter für ihre Kinder eher ablehnten. Die weibliche „Ethik�…
umfasst also auch noch dies: dass sie – als sich „bewusst gesund ernährende
Frauen“ – fleischfressende und muskeltrainierende Kindsköpfe bevorzugen,
denen sie dann jedoch ab dem dritten Tag beides abgewöhnen, am liebsten
mühsam und mit großer Geduld. Ebenso wie sie ihnen das nahezu tägliche
Wechseln der Unterhosen und Socken beibringen. Weil das alles für die
Ernsthaftigkeit ihres Beziehungsanliegens spricht.
Aber es kommt noch dümmer und dicker, kaum hat dieses junge weibliche
Gemüse die 30 überschritten und nennt sich kokett „U40“, kleidet es sich
zügig sackartiger ein – in Läden für „Übergrößen“, wo man die Klamo…
„bequem und extraweit“ bezeichnet. Statt in Salattellern zu stochern,
sitzen sie nun in sogenannten Müttercafés, wo sie Biokuchen mit Sahne in
sich reinstopfen und Kaffee mit Sojamilch trinken. Wobei sie wie ihre
Großmütter, Gott hab sie selig, ständig beteuern: „Nur noch einen kleinen
Schluck!“ Dabei dämmert es ihnen, dass diese ganze Bauchpflegerei für die
Katz war. Innen wie außen.
Nun gehen sie aufs Ganze. Am Mehringdamm eröffneten 2012 zwei Frauen, Anne
Bonnie und Sara Rodenhizer, einen öko-feministischen Sexshop, in dem sie
unter anderem „vegane Peitschen“ verkaufen. Das ist schon mal hart an der
Grenze des Zumutbaren. Für Männer, die durchaus erziehungswillig sind,
vollends zu weit gegangen ist nun aber Heike Kügler-Anger mit ihrem
Rezeptbuch: „Vegan Grillen“.
4 Aug 2012
## AUTOREN
Helmut Höge
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