# taz.de -- Geschichten über das Internet: „Berühr' mich, Gott“ | |
> In seinen „Surf- und Klickgeschichten“ sinniert Frank Sorge über einen | |
> virtuellen Gebetsraum und Justin Biebers Twitter-Account. | |
Bild: Buch lesen oder lieber noch auf ein Bier in die nächste Kneipe? | |
Frank Sorges „Degeneration Internet“ erinnert an ein Kneipen-Gespräch zu | |
fortgeschrittener Stunde: Es ist voller Stories über Phantasiegestalten und | |
skurriler Internet-Funde, die teilweise schreiend komisch erzählt sind, | |
sich aber auch um viel Belangloses drehen. In den über dreißig „Surf- und | |
Klickgeschichten“ geht es um das Internet, diesen „endlosen Strom von | |
Bildern und Texten, Videos und Webcams“, dieses „Land voller Monster und | |
Schätze, ferner Planeten und wüster Bibliotheken mit nicht zu zählenden | |
Regalen.“ | |
Man folgt dem Autor in einer Art Stream of Consciousness, in dem er seine | |
Erfahrungen und seine Gedanken dazu schildert. Dabei scheint alles gleich | |
wichtig oder unwichtig zu sein: Die Erkenntnis, dass Justin Bieber | |
innerhalb von einer halben Stunde mehr als tausend neue Follower bei | |
Twitter gewinnt, erhält genauso viel Platz, wie die traurige | |
Schlussfolgerung, dass das dreimal so viele sind, wie der Autor selbst in | |
drei Jahren bekommen hat, und die Frage, ob Justin Bieber nicht eigentlich | |
Harry Potter ist. | |
Die Geschichten gehen zurück zu ersten Technik-Gehversuchen des Autors mit | |
Tamagotchis, sie drehen sich um „FarmVille“-Obsessionen, rätselhafte | |
Begegnungen in sozialen Netzwerken, um schließlich im Arbeitsalltag vor dem | |
Computer zu landen. Die Chronologie ist dabei Nebensache: Auf einer | |
Buchseite kommt Frank Sorge vom Papst über das Twittern vom Tresen auf | |
ihren Computer umarmende Menschen zu sprechen. Gedankenfetzen und Pointen | |
reihen sich aneinander, bei keinem Thema wird länger verweilt als ein paar | |
Sätze. | |
Nicht bei allen Geschichten muss man lachen, aber bei vielen. Etwa bei | |
jener über den virtuellen Gebetsraum der katholischen Kirche für | |
Jugendliche: Wenn man auf die Webseite geht, sieht man eine Haustür, die | |
man per Klick öffnen kann. Dahinter erwartet den geneigten Besucher ein | |
virtueller Flur mit Garderobenständer, von dem aus er in einen Gebetsraum | |
gelangen kann. Frank Sorge zitiert verstörende Kommentare, die Besucher im | |
Gästebuch hinterlassen haben, schreibt von doppeldeutigen Aufforderungen | |
(„Touch me, God“) und der betont jugendlichen Aufmachung der Seite, die | |
deshalb gerade auf Jugendliche nur abschreckend wirken könne. | |
## „Wäre es langweiliger, wäre es besser“ | |
Auch die „völlig wirre Welt hinter dem Internet“ kommt nicht zu kurz: Das | |
Kandidatengrillen der Piraten in einer Kneipe im Stadtteil Wedding in | |
Berlin wird genauso beschrieben wie eine nächtliche Currywurst-Verkostung | |
einer Gruppe Nerds. Doch auf das Netz und seine unendlichen, oft | |
verwirrenden Ausläufer kommt Frank Sorge immer wieder zurück, es scheint | |
für ihn gleichzeitig unglaublich anziehend und abstoßend zu sein. Seine | |
Hassliebe bringt er im Epilog auf den Punkt: Gefragt von seinem Vater, ob | |
ihm denn nicht langweilig sei, immer mit diesem Internet, antwortet er: | |
„Nein, es ist leider viel zu wenig langweilig. Wäre es langweiliger, wäre | |
es besser.“ | |
Wer die leichte Unterhaltung in Buchform schätzt, wird die „Surf- und | |
Klickgeschichten“ mögen. Wer aber im Buchladen immer einen weiten Bogen um | |
den Tisch mit der Zielgruppen-orientierten Schmunzel-Lektüre macht, sollte | |
sich vielleicht lieber mit einem gesprächigen und Internet-affinen | |
Zeitgenossen in einem Lokal seiner Wahl verabreden. Der Unterhaltungswert | |
eines Kneipenabends dürfte genauso hoch sein wie der des Buches. | |
29 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Gerling | |
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