| # taz.de -- Überwachung und die Folgen: Brauchen wir noch Geheimnisse? | |
| > NSA, Facebook, Wikileaks. Heute ist es schwer geworden, etwas geheim zu | |
| > halten. Aber ist das so schlimm? | |
| Bild: Angela M., 59, fragt besorgt: Sind meine sms noch sicher? | |
| Diese Woche hat US-Präsident Barack Obama ein ganz besonderes Lob bekommen. | |
| Edward Snowden, Amerikas Staatsfeind Nummer eins, findet es gut, dass Obama | |
| die National Security Agency (NSA)reformieren will. | |
| //www.aclu.org/technology-and-liberty/edward-snowden-statement-administrati | |
| ons-nsa-reform-plan:In einer Pressemitteilung der amerikanischen | |
| Bürgerrechtsorganisation ACLU bezeichnete Snowden Obamas Reformpläne als | |
| einen „Wendepunkt“. | |
| Am Montag hatte Obama seine zaghaften Vorhaben vorgestellt. Künftig soll | |
| die NSA keine Telefondaten mehr sammeln dürfen, das werden die | |
| Telefonkonzerne selbst übernehmen. Statt bisher fünf Jahre lang sollen die | |
| Daten nicht mehr länger als 18 Monate gespeichert werden dürfen. Auf die | |
| Telefondaten soll die NSA in Zukunft nur mit einen richterlichen Beschluss | |
| zugreifen dürfen, der nur in Ausnahmefällen erteilt werden soll. | |
| Edward Snowden war bereit, viel für seine Überzeugungen zu zahlen. Als | |
| Techniker arbeitete er bei der NSA. Dort hatte er Zugriff auf hochsensible | |
| Daten und wurde zum Geheimnisträger. Er erfuhr, dass die NSA die | |
| Telefondaten von Millionen Amerikanern auswertete und mit dem Programm | |
| PRSIM den weltweiten Internetverkehr überwachte. Das was er nun wusste, | |
| wollte er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Snowden wandte sich | |
| an die Presse, seitdem lebt er auf der Flucht. | |
| ## Menschliches Grundbedürfnis | |
| In seiner Heimat, den USA, droht ihm ein Verfahren wegen Landesverrat – | |
| weil Informationen weitergab, die eigentlich geheim bleiben sollten. In der | |
| Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 29./30. März 2014 schreibt | |
| taz-Autor Dominik Drutschmann darüber, welche Bedeutung Geheimnisse heute | |
| noch haben. Darüber sprach er etwa mit der Entwicklungspsychologin Inge | |
| Seiffge-Krenke. Sie sagt, dass Geheimnisse ein menschliches Grundbedürfnis | |
| sind. | |
| Besonders für Kinder und Heranwachsende sei es wichtig, etwas vor den | |
| Eltern zu verheimlichen, erklärt Seiffge-Krenke. Das lehre sie, eine Grenze | |
| zwischen sich selbst und anderen zu ziehen. Mit dem Geheimnis beginne die | |
| Autonomie des Individuums. Deshalb sei es wichtig, dass Kinder Geheimnisse | |
| vor ihren Eltern bewahren dürfen. Zu viel Fürsorge von übervorsichtigen | |
| Helikopter-Eltern wirkt kontraproduktiv. | |
| Wer in den Tagebüchern seiner Kinder herumschnüffelt, zerstört ihre | |
| Privatsphäre. Seiffge-Krenke beobachtet deshalb mit Sorge, dass die | |
| elterliche Kontrolle „in einem unglaublichen Maße“ zugenommenen hat. Und | |
| was Helikopter-Eltern für ihre Kindern sind, das ist der Staat für seine | |
| Bürger. Der Autor Ilija Trojanow kämpft schon lange für bürgerliche | |
| Freiheiten, zusammen mit der Schriftstellerin Juli Zeh hat er vor fünf | |
| Jahren das Buch „Angriff auf die Freiheit“geschrieben. Darin warnen sie vor | |
| einem Staat, der systematisch seine Bürger überwacht. Vor fünf Jahren | |
| hätten er und Zeh als Hysteriker gegolten, sagt Trojanow. Jetzt, nach dem | |
| NSA-Skandal, glauben die Menschen ihnen zwar, ihre Privatsphäre schützen | |
| aber trotzdem nur wenige. | |
| ## Zukunft ohne Privatsphäre | |
| Es macht Trojanow wütend, wenn Menschen ihre Daten Unternehmen wie Facebook | |
| überlassen. Er findet es erschreckend, wie viele Menschen meinen, dass man | |
| an der permanenten Überwachung nichts ändern könne: „Auch intelligente, | |
| kritische Menschen. Sehr viele haben sich mit dem Tod der Privatsphäre | |
| abgefunden.“ Einer dieser Menschen ist der Netztheoretiker Christian | |
| Heller. Er gehört der „Post-Privacy-Bewegung“ an, die das Recht auf | |
| informationelle Selbstbestimmung für ein überholtes Konzept hält – in der | |
| Zukunft sei es ohnehin nicht mehr durchsetzbar. | |
| In seinem Buch „Post Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“ schildert | |
| Heller etwa, dass Forscher am Massachusetts Institute of Technology ein | |
| Programm entwickelt haben, mit dem man nur über die Analyse der | |
| Facebook-Kontakte mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen kann, ob | |
| eine Person homosexuell ist. Ein Algorithmus übernimmt das Online | |
| Coming-Out. | |
| Doch auch wenn Heller glaubt, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen | |
| privat ist und das auch bleiben soll, ist für ihn die Entwicklung hin zu | |
| Big Data nicht erschreckend. Ganz im Gegenteil: Auf der Website | |
| [1][plomlompom.de] zelebriert er seine digitale Nacktheit und protokolliert | |
| akribisch sein gesamtes Leben, angefangen bei seinem Tagesablauf, über | |
| seine persönlichen Finanzen, bis hin zu Details seines Sexuallebens. | |
| Er nennt das „Post-Privacy-Experiment.“ Den Verlust der Privatsphäre | |
| empfinden Heller und seine Mitstreiter als etwas Gutes. Ihre These: Bisher | |
| versteckten Menschen ihre Andersartigkeit im Privaten, weil sie Angst vor | |
| gesellschaftlicher Ausgrenzung hätten. Dieses Verhalten führe aber zu noch | |
| mehr Stigmatisierung. Wenn hingegen nichts mehr privat sei, gäbe es auch | |
| keine gesellschaftlichen Tabus. Völlige Transparenz führe langfristig zu | |
| einer toleranteren Gesellschaft, sagen sie. | |
| Entwickeln wir uns hin zu einer völlig transparenten Gesellschaft, so wie | |
| es die Post-Privacy-Aktivisten prophezeien? | |
| Sind Geheimnisse ein überholtes Konzept oder ein Grundrecht eines jeden | |
| Menschen, für das man kämpfen muss? Ist eine transparente Gesellschaft | |
| erstrebenswert oder brauchen wir gerade digitalen Zeitalter noch | |
| Geheimnisse? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Sag's nicht weiter“ lesen Sie in der [2][taz.am | |
| wochenende vom 29./30. März 2014.] | |
| 28 Mar 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.plomlompom.de/PlomWiki/ | |
| [2] /!135681/ | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Hensel | |
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