# taz.de -- Medienjournalistin über Trolle im Netz: „Die Streitlust treibt d… | |
> Wie es sich unter Putin-Verstehern und Internet-Trollen lebt: Ingrid | |
> Brodnig findet Anonymität im Netz nicht automatisch gut oder schlecht. | |
Bild: Symbol für anonymes wie auch organisiertes Handeln, on- und offline: Guy… | |
sonntaz: Frau Brodnig, Sie schreiben in Ihrem Buch, wie Anonymität die | |
Gesellschaft verändert. Fördert Anonymität im Netz die Demokratie oder das | |
organisierte Verbrechen? | |
Ingrid Brodnig: Beides. Ein gewisses Maß an Anonymität ist für die | |
Demokratie immer wichtig. Ein gutes Beispiel ist Edward Snowden, der auch | |
anonyme Tools verwendet hat, um an die Journalisten Glenn Greenwald und | |
Laura Poitras heranzutreten. Wenn wir die Anonymität so einschränken | |
würden, dass das nicht mehr möglich wäre, hätte so jemand es nicht so | |
einfach, Journalisten anzusprechen. | |
Und die andere Seite? | |
Gleichzeitig wird durch die Anonymität vielleicht nicht organisiertes | |
Verbrechen gefördert aber Obskurantentum und Sektierertum radikaler | |
Gruppen. In manchen Onlineforen geben jene den Ton an, die schriller, | |
aggressiver und weniger diskussionsbereit sind. Ich denke an Antifeministen | |
und Rassisten. | |
Wie ist das Verhalten von Leuten, die Kommentare posten? | |
Generell kann man sagen, dass der Klarname Menschen eine Spur ermutigt, | |
weniger untergriffig zu sein. Das ist das Ergebnis neuerer Studien, wonach | |
User mit Klarnamen weniger oft ausfällig werden. Die Anonymität ist aber | |
nur ein Faktor, warum es zu Enthemmung im Internet kommt. Enthemmend ist | |
auch das Gefühl der Unsichtbarkeit und Distanz. Weil mich der andere nicht | |
sieht, tue ich mich leichter, über die Stränge zu schlagen, vielleicht | |
aggressiver zu argumentieren. Nonverbale Faktoren sind immens wichtig für | |
Empathie. Augenkontakt führt dazu, dass man nicht dem anderen alles | |
mögliche sagt. | |
Was kann man gegen das ausfallende Verhalten tun? | |
Webseiten-Betreiber müssen mehr Verantwortung übernehmen. Und sie müssen | |
Mechanismen entwickeln, mit denen die Community sich selbst in Schach hält. | |
Im Kern geht es darum, dass nicht immer nur die Schreihälse gehört werden. | |
Der Konflikt in der Ukraine hat gezeigt, wie wichtig soziale Medien sind, | |
aber auch dass für die Putin-Versteher gerade Hochsaison im Netz ist. Gibt | |
es auch differenzierte Postings, die die Rolle der EU und Nato | |
problematisieren – oder sind das vorwiegend echte Putin-Fans, die sich zu | |
Wort melden? | |
Das fragen sich etliche Onlinemedien auch. Seit dem Ukrainekonflikt geht es | |
in vielen Foren unglaublich zu. Zeitungen werden von russlandfreundlichen | |
Kommentaren überschwemmt und fragen sich, ob Russlands Propagandamaschine | |
dahintersteckt oder ob die eigenen Leser wirklich so denken. | |
Und was stimmt? | |
Womöglich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Es ist schwer | |
nachzuweisen, dass ein Poster tatsächlich im Auftrag eines anderen arbeitet | |
– jedoch gibt es Indizien und sogar Dokumente, wonach der Kreml tatsächlich | |
Horden von Kampfpostern engagiert, um sowohl in Russland als auch außerhalb | |
Stimmung zu machen und die EU schlechtzureden. Ob diese Dokumente echt | |
sind, kommentiert der Kreml nicht. Das Ganze zeigt eine weitere Gefahr | |
unmoderierter Zeitungsforen – dass dort politische Gruppen mit | |
Fake-Accounts alle Andersdenkenden niederreden und die Debatte an sich | |
reißen wollen. | |
Auf vielen Webseiten entsteht der Eindruck, dass gar nicht bestimmte | |
Artikel kommentiert werden sollen, sondern die Kommentierenden eher | |
übereinander herfallen wollen. | |
Aus journalistischer Sicht ist es ein großes Missverständnis, zu glauben, | |
dass Leute posten, weil sie unseren Text gelesen haben. Sehr oft posten | |
sie, weil sie streiten wollen. Es ist die Streitlust, die die Leute | |
antreibt. Man sollte sich als Journalist nicht einbilden, dass es um den | |
eigenen Text geht, sondern sich bemühen, Debattenkultur ins Forum zu | |
bringen. Der Guardian stellt oft eine konkrete Frage: „Hatten Sie auch | |
schon ähnliche Erlebnisse?“ Oder so. Das führt dann dazu, dass tatsächlich | |
Leute posten, die Betroffene sind oder Experten. | |
Hilft das auch gegen Trolle? | |
Ein echter Troll ist an der Grenze zum Psychopathen, dem geht es | |
tatsächlich darum, Zwietracht zu säen. Trolle sind Hacker unserer Gefühle. | |
Ein solcher Troll will nur Unruhe stiften. Er stellt eine provokante Frage, | |
wo er weiß, dass dann alle komplett auszucken und höchst emotional | |
reagieren. Gegen die muss man beinhart vorgehen: Sie verbannen oder so | |
lange totschweigen, bis sie sich nicht mehr einbringen. Das größte Problem | |
ist, dass viele aggressive User gar keine echten Trolle sind, sondern eher | |
in einer Diskussionskultur sich bestätigt fühlen, die negative Facetten | |
antreibt. Online belohnen wir oft nicht diejenigen, die etwas Konstruktives | |
sagen, sondern die, die lauter schreien. | |
Haben Sie dafür ein Beispiel? | |
Viele Onlineforen sind so gestaltet, dass der neueste Beitrag oben steht. | |
Wenn ich also hundertmal poste, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich | |
meinen Beitrag immer oben finde. Wenn ich nur einmal poste, weil ich | |
glaube, ich hab was zu sagen, ist mein Beitrag wahrscheinlich unten. Man | |
muss Mechanismen finden, die nicht dauernd jenen helfen, die ihre Meinung | |
hundertmal kundtun. | |
Ein besonders aggressiver Troll auf der amerikanischen Newsseite „Reddit“, | |
der sich Violentacrez nannte, wurde geoutet. Das war sehr umstritten, weil | |
es angeblich die Redefreiheit einschränkt. Wie finden Sie das? | |
Ich glaube, dass es in Einzelfällen im öffentlichen Interesse sein kann, | |
eine Person offenzulegen. Ich glaube aber nicht, dass es eine sinnvolle | |
Methode für den Journalismus sein kann, wenn man jeden Troll, der postet, | |
deanonymisiert. So viele Journalisten gibt es gar nicht, die da hinterher | |
recherchieren könnten. Es wird immer Einzelne geben, die Unruhe stiften | |
oder aggressiv herumpöbeln wollen. Die Frage ist: Warum wird es ihnen so | |
einfach gemacht? | |
Und die Antwort? | |
Das Problem ist, dass Webseiten-Betreiber oft erst dann gegen die vorgehen, | |
wenn jemand etwas Klagbares gesagt oder jemanden so tief in der | |
Menschenwürde verletzt hat, dass das gesamte Forum beschädigt wurde. Wie | |
schafft man ein Diskussionsumfeld, in dem man gar nicht in so einem miesen | |
Klima landet? Mann muss jene ermutigen, die an einer sachlichen Debatte | |
interessiert sind und jene ausschließen, die nur herumstänkern oder | |
angreifen wollen. | |
Sie identifizieren die Antifeministen als besonders aggressive | |
Troll-Gruppe. | |
Das ist eine kleine Gruppe, die in Deutschland auf etwa 1.000 Leute | |
geschätzt wird. Sie sind aber unglaublich dominant, weil sie in Foren | |
reingehen und überall, wo es um Frauenrechte und Familienpolitik geht, | |
massiv mitposten und eine feindselige Haltung gegenüber der Gleichstellung | |
der Frau an den Tag legen. Eine Minderheit, die in Onlineforen zur Mehrheit | |
wird. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass von einer | |
radikalen Gruppe versucht wird, die Meinung zu beeinflussen, weil sie in | |
den klassischen Medien nicht vorkommen. Deren Presseaussendungen werden | |
nicht wahrgenommen. Die müssen sich andere Kanäle suchen. Da eignet sich | |
das Internet super, weil sie Seite um Seite abgrasen können. Online | |
beschimpfen sie andere, bis sie sich zurückziehen, und am Ende sieht es | |
aus, als hätten sie das letzte Wort | |
Wie geht man dagegen vor, ohne in eine Überwachungsinfrastruktur | |
abzugleiten? | |
Gerichte müssen über den Umgang im Internet entscheiden. Es ist keine Frage | |
von Meinungsfreiheit, wenn ich jemanden denunziere oder Fotos verbreite, | |
die jemandem beruflich oder gesellschaftlich schaden. Oft wird | |
Meinungsfreiheit dazu missbraucht, gegen Minderheiten zu hetzen oder | |
jemanden bloß zustellen. Es ist gut, wenn Gerichte dann entscheiden, was | |
eine Meinung ist, die man tolerieren muss, und was hingegen ein Angriff. | |
Aber ab wann gleiten wir in eine Überwachungsinfrastruktur ab? Dann, wenn | |
die Öffentlichkeit gar nicht mehr weiß, was die Behörden und Geheimdienste | |
alles machen dürfen. | |
Sie stellen die These auf, dass es im Internet, würde es heute neu | |
erfunden, keine Anonymität gäbe. | |
Es gäbe mit Sicherheit viel weniger Anonymität. Man würde mehr | |
Identifikationssysteme einbauen. Aus berechtigten und unberechtigten | |
Gründen. Es ist ein Glück, dass das Internet organisch gewachsen ist und | |
nicht so viele staatliche Kontrollmechanismen eingebaut wurden. Aber ich | |
glaube, dass die Anonymität immer mehr in Bedrängnis gerät. Man möchte | |
online genauso behandelt werden, wie offline. Problematisch ist, wenn | |
Staaten die Existenz anonymer Räume in Frage stellen. Ich warne davor, dass | |
der Staat eine Abkehr von der Anonymität verordnet. In Deutschland hört man | |
das in der Politik. Wir brauchen einen Pluralismus der Communitys. Manche | |
Zeitungen können sagen, ich will Anonymität, andere nicht. Das Handelsblatt | |
und Cicero haben die Klarnamenpflicht eingeführt. Das ist in Ordnung. Jede | |
Webseite kann ihre eigenen Regeln aufstellen. Und jeder einzelne User kann | |
sich jene Community suchen, die zu ihm oder ihr passt. Gerade dieser | |
Pluralismus ist doch das Schöne am Internet. | |
29 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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