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# taz.de -- Carol Hagemann-White über Sexismus: „Männer erfahren Gewalt and…
> Ein Drittel aller Frauen in Europa hat schon einmal Gewalt von Männern
> erfahren. Die Gewalt steigt mit dem Maß der Emanzipation.
Bild: Luftballons bei einer Demonstration gegen Frauengewalt in Potsdam.
taz: Frau Hagemann-White, ein Drittel aller befragten Frauen in Europa gibt
an, schon einmal Gewalt erlebt zu haben. Das ist eine bekannte Zahl. Warum
sind alle so geschockt?
Carol Hagemann-White: Die Zahlen entsprechen den Untersuchungen, die wir
bisher kennen. Ein Unterschied ist sicher, dass es nun Ländervergleiche
gibt. Der Effekt ist: Oh, wir sind ja gar nicht besser als die anderen.
Wenn man schaut, was dieses Drittel erlebt hat, dann wird am häufigsten
„schubsen und stoßen“ genannt. Ist das nicht etwas, was beiden
Geschlechtern widerfährt?
Wenn man das Schubsen weglässt, sind es immer noch 25 Prozent, die Gewalt
erfahren haben. Vor allem treten die leichteren Formen häufig zusammen mit
den schwereren auf – und die üben Frauen nicht so häufig aus.
Aber ist es nicht an der Zeit, dass man auch Männer nach ihren
Gewalterlebnissen befragt? So suggeriert man, Frauen würden nie Gewalt
anwenden.
Im Prinzip haben Sie recht. Wir diskutierten zwei Jahre im Beirat des
Familienministeriums, wie man eine Studie zu Gewalterfahrungen von Männern
anlegen könnte. Das Problem ist: Soll man ihnen die gleichen Fragen stellen
wie Frauen? Eine Pilotstudie hat gezeigt, dass Männer anders Gewalt
erfahren, es geht öfter um Waffen oder auch um Militärerfahrungen.
Nun kreiert die EU-Studie ja ein sehr starkes Opferbild. Frauen als
Täterinnen kommen nicht vor.
Das ist aber nicht so verzerrend, wie Sie meinen: Die Zahl der Männer, die
Hilfe suchen, ist im Vergleich sehr klein.
Vielleicht weil es für sie keine Anlaufstellen gibt.
Es gibt durchaus Beratungsstellen, an die sich auch Männer wenden können.
Zu vermuten ist eher, dass Männer Ohrfeigen oder Tritte nicht als so
bedrohlich erleben wie Frauen. Sie fühlen sich weniger ohnmächtig. Die
Gewalt gegen Frauen geschieht vor dem Hintergrund eines tief verwurzelten
gesellschaftlichen Machtgefälles.
Das sieht man an den Auswirkungen, die Frauen berichten: wie sehr sie
verstört sind und ihr Selbstbewusstsein erschüttert ist, nachdem sie etwa
durch einen Partner sexuelle Gewalt erlebt haben. Aber sicher ist es
sinnvoll, auch die Männer zu befragen, auch um Dynamiken erfassen zu
können.
Beim Thema psychische Gewalt geben die Frauen als Motive an: „vor anderen
herabsetzen“ oder „der Untreue verdächtigen“. Das werden doch Frauen ebe…
machen wie Männer, oder?
Ja, das stimmt. Aber man muss das Gesamtgeschehen sehen: Tritt so eine
Herabsetzung immer wieder auf, eventuell auch gepaart mit körperlicher
Gewalt? Dann bekommt der Verdacht der Untreue einen anderen Hintergrund.
Die Erfahrungen psychischer Gewalt sind in Deutschland im Vergleich
besonders häufig. Wie kommt das?
Ich vermute, dass die Bereitschaft, etwas „psychische Gewalt“ zu nennen, in
Deutschland sehr hoch ist. Auch über Mobbing beschweren sich hier sehr
viele Menschen. Es kann auch sein, dass die Beziehungskultur in Deutschland
generell mehr Pflege braucht. Die Bereitschaft, beim Partner abzuladen, was
man woanders nicht loswird, ist groß.
Sexuelle Belästigung erleben deutsche und skandinavische Frauen öfter als
andere. Warum?
In Skandinavien gibt es eine Vorstellung von sexueller Freizügigkeit.
Frauen hören dort oft: Nun hab dich nicht so. Auch in Deutschland findet
sexuelle Belästigung in Betrieben statt, wo die Kultur des „Hab dich nicht
so“ herrscht.
75 Prozent der Frauen in Fach- und Führungspositionen erleben sexuelle
Belästigung. Wie kommt das?
Das hängt mit der Konkurrenz zusammen. Mit sexueller Belästigung kann man
jemanden sehr einfach einschüchtern. Es wird ja stark gewünscht, dass
Frauen aufsteigen. Aber die Verletzungen, die sie unterwegs erleben, werden
selten angesprochen.
Auch bei schweren Fällen von Partnergewalt zeigen nur 14 Prozent der Frauen
die Täter an. Warum?
In den meisten Ländern hat die Frau keinen Schutz, wenn sie ihren Partner
anzeigt. Sie hat also Angst vor noch mehr Gewalt. Und die meisten Menschen
haben erhebliche Hemmungen, ein Familienmitglied anzuzeigen. Deshalb gibt
es in Deutschland die „Wegweisung“. Dann ist der Mann erst mal nicht mehr
in der Wohnung. Dann kann die Frau in Ruhe überlegen, wie es weitergeht.
Hat man in Deutschland damit alles getan, was man konnte?
Nein. Sinnvoll wäre eine Beweissicherung, etwa durch eine Ärztin oder einen
Arzt. Und dann sollte die Frau – wie bei einer Vergewaltigung – drei Jahre
Zeit haben, in denen sie den Mann anzeigen kann; das wird in Niedersachsen
erprobt. Dann hat die Frau ein Druckmittel in der Hand.
Es hieß früher, je mehr sich Frauen emanzipieren, desto mehr Gewalt
erfahren sie. Ist das noch so?
Nach der neuen Studie haben die Länder mit der fortgeschrittensten
Gleichberechtigung auch die höchsten Gewaltraten. Das kann aber an der
Anzeigebereitschaft liegen. Die Frauen sind nicht mehr so abhängig von den
Männern und können sich die Gewalt eingestehen. Zu Beginn sagen die meisten
Frauen: Das macht er nie wieder. Er hat sich ja entschuldigt. Sich
einzugestehen, dass man Gewaltopfer ist, ist sehr schwer.
Wann wird man gewalttätig?
Das ist ganz verschieden. Wenn einer das Gefühl hat, er habe Anspruch auf
Gehorsam, und dann merkt, es funktioniert nicht, kann er das als
Kontrollverlust erleben. Wenn z. B. die Frau nicht zu Hause ist, wenn er
kommt, hat mancher Mann das Gefühl, er verliere seine Stellung als Mann in
der Ehe.
Gibt es die Möglichkeit, Prävention zu betreiben?
Ja. Wir wissen, dass männliche Jugendliche, die eine belastende Kindheit
gehabt haben, sich oft Peergroups anschließen, in denen ähnliche
Erfahrungen gemacht wurden. Mit einer guten Jugendarbeit und alternativen
Männervorbildern könnte man diese Jugendlichen in sozialaffine Peergroups
integrieren. Damit wird die Bereitschaft, später selbst Gewalt auszuüben,
verringert. Wenn wir aber sagen, Jugendarbeit ist Luxus, dann überlässt man
die Entwicklung sich selber und kann sich hinterher darüber wundern, was
dabei herauskommt.
19 Mar 2014
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Frauen
Gewalt
Sexismus
Konkurrenz
Emanzipation
Sexismus
Männer
Cybermobbing
Frauenhaus
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Indien
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