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# taz.de -- Zufluchtsort Jordanien: Ein Himmel für Hilfesuchende
> Hunderttausende Syrer sind nach Jordanien geflüchtet. „Wir sind
> Flüchtlinge gewöhnt“, sagt Maria Haddad. Wie das Land die Herausforderung
> meistert.
Bild: Syrische Flüchtlingskinder hinterlassen ihren Abdruck auf einer Wand der…
AMMAN taz | Stein an Stein breitet sich Amman aus bis zum Horizont. Ein
heller, staubiger Teppich, der sich über unzählige Hügel legt. Einst waren
es sieben wie in Rom, aber das ist lange her. Die Stadt wellt sich immer
weiter aus ins Land, mehr als ein Drittel aller Jordanier lebt im Großraum
Amman. Das monochrome Stadtbild rührt vom Kalkstein, aus dem alles erbaut
ist.
Eine Stadt aus Stein: Das passt zu Jordanien, das für Stabilität und
Beständigkeit in der Region steht, zugleich schmucklos und uneitel ist.
Sicherheit in einer Ecke der Welt, die für Krisen und Kriege bekannt ist.
Eingekreist von Israel, dem Westjordanland, den Golanhöhen, Syrien, dem
Irak und Saudi-Arabien liegt das Königreich Jordanien im Auge des Sturms.
Ein Hort der Ruhe und ein Ort der Zuflucht für Flüchtlinge.
Windböen zerren an der riesigen Landesflagge, die am fast 130 Meter hohen
Fahnenmast über Amman flattert. Wäre sie weiß, würde das fast noch besser
passen. Dieses Land will nicht mitkämpfen, sich auf keine Seite schlagen,
sich nichts einverleiben und keine Ölfelder okkupieren. Hier wollen die
Menschen vor allem ihren Frieden. Darüber wacht der König höchstpersönlich.
Er ist allgegenwärtig, auch im Straßenbild. Überall hängen Plakate des
Oberhaupts, seines Vaters oder des Kronprinzen. Oft vergilbt von Sonne und
Alter.
König Abdullah II. hat durchaus ein offenes Ohr, wenn sein Volk
demonstriert. So reagierte er etwa bei Protesten vor drei Jahren mit
Zugeständnissen, setzte den Premierminister ab und stieß einige Reformen
an. Den Arabischen Frühling, so scheint es, sehnt sich hier kaum einer
herbei. Tatsächlich kämpfen die Jordanier mit ganz anderen Problemen –
einer handfesten Wirtschaftsflaute und der Notsituation in Syrien, die sich
keiner fürs eigene Land wünscht.
Kleine Punkte flattern über der Stadt. Sie formieren sich, ziehen Kreise,
dann steuern sie ein bescheidenes Flachdach auf dem Jebel (Hügel) Amman an.
In den Straßen dahinter ist Musik zu hören, es gibt Buchläden,
Wasserpfeifenraucher. Ansonsten könnte das szenige Viertel genauso in einer
europäischen Stadt liegen. Die Punkte entpuppen sich als dressierte Tauben,
die nach einem Ausflug über der Altstadt in ihr Zuhause auf dem Dach der
Brüder Maron zurückkehren. Einer der Zwillinge ist arbeitslos, der andere
hat Arbeit – nicht ungewöhnlich in Jordanien. Für die soziale Absicherung
springt nicht der Staat, sondern die Familie ein. Das ist
selbstverständlich.
Statt sich über maue Zeiten zu echauffieren, zeigen die beiden lieber, was
ihre sechzig flügelschlagenden Lieblinge so können. Einer Fremden auf dem
Kopf sitzen etwa. Die Brüder haben spontan auf einen Tee heraufgebeten.
Gastfreundschaft wird in Jordanien hochgehalten. Das kommt auch denen
zugute, die Hilfe dringend brauchen. Das Land nimmt schon seit Jahrzehnten
Not leidende Nachbarn auf. Derzeit kommen sie aus Syrien, wo laut
UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) etwa 9 Millionen Menschen im In- und
Ausland auf der Flucht sind.
## Palästinenser kamen zuerst
„Don’t forget Palestine!“ prangt auf T-Shirts im hippen Shop eine Ecke
weiter. Ein durchaus ernst gemeinter Appell. Jordanien hat in seiner
Geschichte bereits viele Vertriebene aufgenommen. Die Palästinenser
flüchteten in den Vierzigern und Sechzigern aus Israel über den Jordan. Die
Iraker folgten während der Golfkriege. Palästinenser und ihre Nachkommen
stellen tatsächlich mehr als die Hälfte der jordanischen Bevölkerung von
6,3 Millionen – sie erhielten vom König Pässe. Manche haben ihre
Wartestellung trotzdem nicht aufgegeben, leben seit mehr als sechzig Jahren
in den Lagern, auch wenn die Zäune abgerissen und Häuser gebaut wurden.
Doch viele haben ihren Weg mitten in die jordanischen Gesellschaft
gefunden, haben gute Jobs.
Seit drei Jahren nun retten sich Syrer über die Grenze ins haschemitische
Königreich. Nimmt man nur die Zahl von 590.000 registrierten Flüchtlingen,
so kommt bei etwa 6,3 Millionen Einwohnern etwa auf jeden zehnten Jordanier
ein vertriebener Syrer. Es ist davon auszugehen, dass tatsächlich sehr viel
mehr Syrer hier Zuflucht gefunden haben.
Mitten in der Altstadt, wo es zwischen kleinen Läden, Suks und
verkehrsreichen Straßen laut und drängelig zugeht, empfängt Herzog Mamdouh
Bisharat in einem der wenigen historischen Gebäude Ammans. Er hat es
gerettet und für alle geöffnet, die sich austauschen wollen – ob
Einheimische oder Ausländer.
Der Mann ist 75, er kennt vermutlich jeden, der in Jordanien etwas zu sagen
hat. In unzähligen kleinen Adressbüchern schlägt er bei Bedarf Kontakte
nach, ständig klingelt sein Telefon. Er wuchs zusammen mit König Hussein
auf, dem Vater des amtierenden Königs, der ihn für seine Verdienste zum
einzigen Herzog Jordaniens ernannte, weil er sich sonst nichts schenken
ließ. „Jordanien ist ein Himmel für Flüchtlinge“, meint er, „und das s…
jeher. Wir sind umgeben von Krisenstaaten.“ Doch wenn sich ringsum alles
beruhigt habe, da ist er sich sicher, werde Jordanien boomen.
## Touristen bleiben aus
Momentan leidet das Land an der Misere in der Region. Seit der Arabische
Frühling um sich greift, geht es mit der jordanischen Wirtschaft bergab,
seit dem Krieg in Syrien sowieso. Die humanitäre Katastrophe im Nachbarland
ist Thema in allen Medien. Die Geschäfte stocken. Auch die Touristen, die
so gern auf biblischen Pfaden durch Jordanien streiften oder das
Weltkulturerbe Petra besuchten, trauen sich nicht mehr recht ins Land. So
Tür an Tür mit Syrien?
Doch in Jordanien fühlen sich die Menschen sicher – schließlich hat man
sich immer aus allem rausgehalten. Tragödien jenseits seiner Grenzen ist
das Land gewohnt. Doch diese Zuversicht lässt sich auf Investoren und
Urlauber kaum übertragen. Der neue Terminal des Flughafens, gebaut von Sir
Norman Foster, wurde denkbar ungünstig 2013 fertig. Gedacht als Drehscheibe
des Morgenlands eilt man derzeit durch reichlich leere Hallen, in denen der
Lautsprecherruf des Muezzin geisterhaft zwischen Anzeigetafeln und
Starbucks verhallt.
„Wir sind Flüchtlinge gewöhnt“, sagt Maria Haddad. Der Alltag in Amman ha…
sich nicht merklich verändert. Ohnehin sind die Syrer ja keine Unbekannten
in Jordanien. Wie sollte man auf der Straße überhaupt sagen, wer ein
Flüchtling ist und wer nicht? Die 28-Jährige hat mit ihren Geschwistern
eine Kochschule in Ostamman eröffnet, im Haus der Großmutter. Nun schmieden
sie den Plan, eine syrische Köchin einzubinden, auch deren Kochtradition zu
vermitteln. Gastfreundschaft kennt in Jordanien viele Wege.
Manche Jordanier sorgt, dass zur Dauerlösung werden könnte, was nur als
vorübergehend gedacht war. Saatari etwa, das Lager bei Mafraq, an der
Grenze zu Syrien soll mit seinen mehr als 100.000 Bewohnern bereits die
viertgrößte Stadt des Landes sein. Die Zelte sind Containern gewichen.
Riesenhaft dehnt sich das Lager in der Wüste. In einem der wasserärmsten
Länder der Welt muss das knappe Gut täglich in Hunderten von Tankwagen ins
Camp gefahren werden.
Inzwischen hat der erste Supermarkt in der Lagerstadt eröffnet. Dabei leben
nur zwischen zehn und 30 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Lagern – der
Rest verteilt sich auf die Städte, mischt sich in den Alltag. Das bleibt
nicht ohne Auswirkungen: Die Mieten steigen, weil Flüchtlinge Wohnungen aus
Not überbelegen und daher mehr zahlen können. Andere bieten ihre
Arbeitskraft zu Dumpingpreisen an. Auch die Lebensmittel sind teurer
geworden. Übervolle öffentliche Schulen fahren teils ein Zweischichtsystem
– morgens kommen die jordanischen, nachmittags die syrischen Kinder.
## Nörgelei nimmt zu
Vielleicht ist das Gastland an einem kritischen Punkt angelangt.
Einheimische hupen Syrer schon mal auf der Straße weg, wenn sie deren
Nummernschild erkennen. Das haben enttäuschte Flüchtlinge Samar Muhareb
erzählt. Sie ist Leiterin des Legal-Aid-Teams der
Nichtregierungsorganisation ARDD (Arabic Renaissance of Democracy and
Development), kümmert sich um die Rechte von In- und Ausländern und ist
damit auch Ansprechpartnerin für die Sorgen von Flüchtlingen. Sie war immer
stolz darauf, dass ihre Heimat Jordanien ein so großes Herz hat, wirbt
beiderseits für Verständnis. Ihr Vater war einer der ersten
palästinensischen Flüchtlinge, ihre Großmutter Syrerin.
Noch sei in der Bevölkerung Solidarität zu spüren, sagt Muhareb, sie
erzählt von Spenden und privaten Initiativen. Aber leider wachse auch
täglich die Ablehnung. Besonders kritische Punkte sind Wasser und Arbeit –
von beidem gibt es nicht genug. Wenn Jordanier sehen, wie viel Wasser zu
den Flüchtlingen ins Camp gekarrt werden muss, machen sie sich Sorgen um
die Reserven. Und bei schlecht bezahlten Jobs ziehen sie derzeit den
Kürzeren: „Egal, was ein Jordanier akzeptiert, ein Syrer würde für weniger
arbeiten“, sagt Samar Muhareb. Weil ihm nichts anderes übrig bleibt,
versteht sich. Doch das macht die Sache für die betroffenen Jordanier nicht
besser.
„Natürlich sind Flüchtlinge eine Last für jede Gesellschaft – ganz gleic…
ob in einem Land mit mittlerem Einkommen wie Jordanien oder in einem
industrialisierten Staat wie Deutschland“, sagt Peter Kessler, der bis Ende
Februar als Sprecher im Büro des Regionaldirektors des UNHCR in Amman
gearbeitet hat. „Aber Flüchtlinge bringen auch neue Talente und Fähigkeiten
mit, sind außerdem Konsumenten. Sie machen zehn Prozent der Bevölkerung
aus, da platzen jede Menge Leute in die Geschäfte und besuchen die Märkte.“
Abzuwarten bleibt, ob die Gastfreundschaft oder die Sorgen im Königreich
obsiegen. Doch ganz gleich, welche Weg die Jordanier einschlagen, schon
jetzt hat das Land viel dafür getan, die Notsituation seiner Nachbarn
abzufedern.
30 Mar 2014
## AUTOREN
Anja Martin
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