# taz.de -- Die Stadt Maan in Jordanien: Ein Hort des Ungehorsams | |
> Der strukturschwache Süden Jordaniens gilt als traditionell königstreu. | |
> Eine Ausnahme ist die Stadt Maan. Revolte hat hier Tradition. | |
Bild: Die Geschäfte in Maan haben nicht viele Kunden. | |
MAAN taz | „Das ist unsere Stadt. Was haben sich König und Geheimdienst | |
hier einzumischen?“, fragt der ehemalige Bürgermeister von Maan, Khaled | |
Schammari. Er empfängt den seltenen Besuch ausländischer Reporter in seinem | |
Wohnzimmer. Regimekritische Sätze wie die seinen hört man selten in | |
Jordanien. Allerorten wird König Abdallah II. als Vater der Nation | |
gepriesen – teils aus Überzeugung, teils aus Angst vor Repression. Maan | |
aber, Schammaris Heimatstadt, gilt als Nest des Ungehorsams. | |
Auf den ersten Blick unterscheidet sich Maan kaum von anderen Städten in | |
der jordanischen Peripherie: Veraltete Infrastruktur und junge Männer | |
prägen das Straßenbild. Die Kleinstadt mit ihren 50.000 Einwohnern gilt als | |
religiös-konservativ. Aufkleber fordern Frauen auf, sich keusch zu kleiden. | |
Maan ist der letzte Ort vor der Grenze zu Saudi-Arabien. | |
Die Stadt kämpft mit der Massenarbeitslosigkeit. Die von der Regierung | |
angeordnete Verschlankung des Staatsapparats wirkt sich hier besonders | |
stark aus. Fast zwei Drittel der Bevölkerung sind im öffentlichen Dienst | |
tätig. Die vormals staatliche Phosphatfabrik wurde teilprivatisiert, lokale | |
Angestellte wurden durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland ersetzt. | |
Gegenwärtig ist jeder fünfte Maani erwerbslos. | |
„Mit unseren Steinbrüchen, Phosphatvorkommen und dem Touristenmagnet Petra | |
müsste es der Region gutgehen,“ kritisiert Exbürgermeister Schammari. „Do… | |
der Zentralstaat und ausländische Investoren greifen sich die Gelder ab.“ | |
Nur der Schmuggel floriert: Billiges Benzin gelangt von Saudi-Arabien nach | |
Jordanien, dafür werden Drogen und Alkohol ins Königreich der Wahhabiten | |
geschleust. | |
## Strukturschwacher Süden | |
Maan steht exemplarisch für den strukturschwachen Süden Jordaniens. Während | |
landesweiter Proteste gegen die wirtschaftliche Lage und neoliberale | |
Reformen 2011 und 2012 waren die Städte des Südens Zentren der Proteste, | |
obwohl die ländlichen, tribal geprägten Gebiete traditionell die Machtbasis | |
des haschemitischen Königshauses stellen. Doch die Kluft zwischen dem | |
Königshaus in Amman und dem Hinterland ist spürbar gewachsen. Inspiriert | |
vom arabischen Frühling, wurden auch Forderungen nach politischem Wandel | |
laut. | |
In Maan wurde mit besonderer Intensität demonstriert. Anwohner lieferten | |
sich Straßenschlachten mit der Polizei. Arbeiter besetzten die | |
Phosphatfabrik und skandierten: „Wir arbeiten oder wir sterben.“ Die | |
Eskalation in Maan wiederum überraschte wenige: Revolte hat hier Tradition. | |
Die Stadt hat seit den 1980er Jahren fünf größere Unruhen erlebt; 1989 | |
fanden hier die Proteste ihren Ausgang, die das Ende der | |
Militärgesetzgebung einläuteten. Jedes Aufbegehren wurde von der Armee | |
gewaltsam niedergeschlagen. | |
Schon die Anlage der Stadt zeigt, dass das Verhältnis zum Zentralstaat | |
bestenfalls distanziert ist. Staatliche Institutionen wie die Polizeiwache, | |
die Universität oder das Kulturzentrum finden sich allesamt außerhalb des | |
Stadtkerns – Aufsicht aus Amman ist nur bedingt gewünscht. Die Polizei | |
betritt die Innenstadt nur noch in Ausnahmefällen. | |
## Urbaner Norden | |
„Nachdem sie versucht haben, Maan mit Waffengewalt und schikanösen Methoden | |
zu kontrollieren, sind wir eingeschritten,“ erklärt der amtierende | |
Bürgermeister Madsched Scharari. „Wir lassen der Regierung in Amman wenig | |
Raum und kümmern uns selbst um unsere Belange.“ Die Rechtsprechung erfolgt | |
heute durch Klan-basierte Schiedsgerichte. | |
Im urbanen Norden Jordaniens genießt Maan den Ruf eines rechtsfreien Raums. | |
„Für kein Geld der Welt würde ich nach Maan fahren, zu gefährlich“, sagt | |
etwa Yarob Nahhas, ein Touristenführer aus Amman. Die negative | |
Außenwahrnehmung verärgert viele Maanis: „Die jordanischen Medien zeichnen | |
von uns das Bild von Fanatikern“, kritisiert Scheich Abu Yasser, Schlichter | |
an einem Schiedsgericht. | |
Dabei sehen sich viele Maanis als „Wurzel“ Jordaniens: „Wir waren hier, | |
bevor die Haschemiten kamen“, erklärt der Bürgermeister. „Maan sollte eine | |
starke Rolle spielen, doch stattdessen vernachlässigt uns der Staat | |
wirtschaftlich und mischt sich gleichzeitig in innere Belange ein.“ | |
Tatsächlich war Maan bis zur Staatsgründung wichtigste Stadt an der | |
Pilgerroute gen Mekka. | |
## Junge Leute wollen weg | |
„Heute wollen viele junge Leute mit Uni-Abschluss weg aus Maan“, berichtet | |
der 19-jährige Mohammad. Er ist Vorsitzender des Studierendenrates an der | |
Universität Maan, wo zuletzt 2013 drei Menschen bei einer Schießerei ums | |
Leben kamen. „Die Regierung in Amman vernachlässigt die Region, wir hinken | |
in allem hinterher“, sagt er. „Das macht junge Leute angespannt und führt | |
zu einer Atmosphäre der Gewalt.“ | |
Königshaus und Regierung wissen um die Gefahr, die Ressentiments in Maan | |
für sie bedeuten. Anfang des Jahres zeigte sich erneut, dass die Regierung | |
an Aussöhnung interessiert ist. Der Abdallah schenkte den Maanis 7.000 | |
Hektar Staatsland, ein Stück Wüste für jeden. Bürgermeister Scharari | |
kommentiert die Nachricht lapidar: „Die Regierung sollte besser | |
Arbeitsplätze schaffen.“ Die angespannte wirtschaftliche Lage des | |
Königreiches, das seit 2011 insgesamt 700.000 syrische Flüchtlinge | |
aufgenommen hat, macht solche Investitionen unwahrscheinlich. | |
Wurde Maan vom Staat abgehängt oder hat sich die Stadt von ihm losgelöst? | |
Die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Der Status quo ist jedenfalls | |
einzigartig: „Wir sind wie die Gallier“, lacht Abu Yasser, „die einzigen, | |
die sich gegen das Regime wirklich wehren.“ | |
22 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Christoph Dinkelaker | |
Lea Frehse | |
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