# taz.de -- Pro & Contra Mindestlohn für Praktikanten: Unbezahlbar, unbezahlt | |
> Mindestlohn für Praktikanten nur in Ausnahmefällen: Eine Farce? Oder die | |
> richtige Entscheidung? Zwei taz- Praktikantinnen debattieren. | |
Bild: Praktikantenaufgabe Kaffeekochen? | |
Pro: | |
Der Mindestlohn bleibt eine Utopie. Wir sind die Generation Praktikum, für | |
unsere Eintrittskarte in die Arbeitswelt sammeln wir Berufserfahrung vor | |
dem Beruf. Für wenig und manchmal auch gar kein Geld. Daran haben wir uns | |
gewöhnt, der Spruch von den Lehr- und den Herrenjahren klingelt in unseren | |
Ohren. | |
Lange war der Mindestlohn deshalb wie der Heilige Gral, eine Verheißung, an | |
der „Nur gucken, nicht anfassen“ geschrieben stand. Unerreichbar für uns. | |
In der Debatte über den Mindestlohn wurden wir immer wieder übergangen, | |
früh war klar, dass Praktikanten die Ausnahme sein sollen. | |
Jetzt heißt es, er sei auch für uns zum Greifen nah – eine Farce. Denn nur | |
Praktikanten, die nach Ausbildungs- oder Studienabschluss länger als vier | |
Wochen in einem Unternehmen hospitieren, sollen Anspruch auf 8,50 Euro pro | |
Stunde haben. Die Mehrheit bliebe die Ausnahme. | |
Dabei ist das Hauptargument ziemlich simpel: Praktikanten seien keine | |
Arbeitnehmer und müssten dementsprechend auch nicht wie Arbeitnehmer | |
bezahlt werden. Genauso wenig wie Ehrenamtliche und Auszubildende – eine | |
sehr freie Interpretation der Realität, um nicht zu sagen: eine | |
Verarschung. | |
Denn Ehrenamtliche machen ihre Arbeit freiwillig, sie haben sich bewusst | |
dafür entschieden, einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. | |
Unentgeltlich. Das ist wirklich nett. Aber kein Praktikant will einfach nur | |
nett zu seinem Unternehmen sein – und kaum einer macht sein Praktikum | |
freiwillig. | |
Die meisten machen ihr Praktikum, weil sie es müssen. Weil es Ausbildung | |
und Studium vorsehen (Praxis), weil es der Arbeitgeber verlangt | |
(Kennenlernen), weil der Arbeitsmarkt nichts anderes hergibt (Prekariat). | |
Oder weil uns erzählt wird, ein Praktikum bringe unbezahlbare Einblicke und | |
Erfahrungen in die Berufswelt (der perfekte Lebenslauf). Ja genau, | |
unbezahlbar und unbezahlt. | |
Wer ein Praktikum macht, muss es sich leisten können. Wochenlang, | |
monatelang. Wer es nicht kann, soll sich mit Mitte, Ende zwanzig eben noch | |
mal von den unterhaltszwangsverpflichteten Eltern aushalten lassen. Oder | |
hat Pech gehabt. Daran wird sich nichts ändern: Herzlich willkommen in der | |
Zweiklassengesellschaft des Prekariats. | |
Die Zeiten, in denen Praktikanten nur zum Kaffeekochen eingestellt wurden, | |
sind lange vorbei. Tausende sitzen auf „echten“ Arbeitsstellen, machen die | |
gleiche Arbeit wie ihre besser bezahlten Kollegen. Trotzdem sagt ihnen der | |
Kontoauszug am Ende des Monats, dass sie nur zum Lernen da sind, noch in | |
der Ausbildung stecken. | |
Zukünftig sollen wenigstens längere Praktika nach Abschluss der Ausbildung | |
mit dem Mindestlohn bezahlt werden. Doch der Ausbildungsbegriff ist | |
dehnbar: In Praktikumsausschreibungen werden schon heute junge Leute am | |
Ende ihrer Ausbildung gesucht, im Haupt- oder Masterstudium, mit | |
Zusatzqualifikationen und Vorerfahrungen. Mit Berufserfahrung für die | |
Berufserfahrung. Auch daran wird sich nichts ändern. | |
Oft wurde uns erzählt, wir bekämen den Lohn für geleistete Arbeit in einem | |
späteren Job zurück. Schließlich seien wir dann gut ausgebildet und | |
verdienten dementsprechend. Doch mittlerweile sollte sich rumgesprochen | |
haben, dass gerade in typischen Praktikumsbranchen die Jobs rar, unsicher | |
und schlecht bezahlt sind. Der Journalismus ist eine solche Branche. Hier | |
gibt es keine Perspektive auf eine gut bezahlte Festanstellung, keinen Lohn | |
mit Verspätung. | |
Natürlich haben Praktika ihre Berechtigung, für viele sind sie sinnvolle | |
Praxiserfahrung, für manche tatsächlich ein Berufseinstieg. Trotzdem sind | |
wir erst mal nur billige Arbeitskräfte, denen jetzt das Recht anderer | |
Billigkräfte verwehrt werden soll. Das Recht auf Mindestlohn, ein | |
egalitäres Gut. (Lan-Na Grosse) | |
Contra: | |
Der Mindestlohn ist eine Dystopie. Angenommen, heute wäre Mindestlohn, | |
müssten Sie wahrscheinlich auf einen der Texte hier verzichten. Zwei | |
Praktikanten könnte sich dieses taz-Ressort nämlich nicht mehr leisten. Die | |
taz müsste, wie viele Unternehmen unterschiedlicher Branchen, ihre Stellen | |
für Praktikanten immens kürzen. Wir wären schlicht zu teuer. Unser Versuch, | |
einen Platz zu ergattern, würde damit zum erbitterten Kampf. Ein | |
Mindestlohn für alle Praktikanten mag gerecht klingen, doch er würde unsere | |
Situation nur noch verschlimmern. Denn er zementiert das "System | |
Praktikum". | |
Angenommen, heute wäre Mindestlohn, ginge es vor allem in Kultur und Medien | |
blutig zu, denn schon jetzt bewerben sich zu viele auf die schlecht | |
bezahlten Stellen. Die beliebten Praktikumsbranchen leiden an chronischer | |
Unterfinanzierung, ständig wachsenden Sparvorgaben, aber auch an der | |
fehlenden Zahlungsbereitschaft ihrer Konsumenten. Sie brauchen Billigkräfte | |
wie uns und wir die Berufserfahrung. Ohne einen mit Praktika prall | |
gefüllten Lebenslauf haben wir keine Chancen auf den Berufseinstieg. Es ist | |
eine scheinbar perfekte Symbiose: Praktikanten tauschen Arbeitskraft gegen | |
Erfahrung, Unternehmen sichern ihre Existenz in der Branche. Der | |
Mindestlohn wäre der Tod für beide Partner. | |
Um das Gemetzel zu verhindern, plant die Politik Ausnahmen: Praktika im | |
Rahmen der Ausbildung. Sie sollen auch weiterhin ohne Lohnuntergrenze | |
auskommen. Machen müssen wir sie trotzdem, oft sind sie Pflicht, sonst eine | |
nachdrückliche Empfehlung. Wir Studenten und Auszubildende sind im "System | |
Praktikum" gefangen und werden weiterhin als Billiglöhner auf den Markt | |
geschwemmt. | |
Angenommen, heute wäre Mindestlohn, Absolventen gingen wohl leer aus, | |
schließlich kosten sie dann 8,50 Euro die Stunde, ähnlich wie ein | |
Angestellter - Jobs ohne vorheriges Praktikum im Hause blieben für | |
Absolventen dennoch unerreichbar. Also könnten wir die Ausbildung künstlich | |
verlängern, uns an Universitäten einschreiben und hundert plus x Euro | |
Verwaltungsgebühr zahlen, falls es mit dem Mindestlohn-vergoldeten | |
Praktikumsplatz nach Abschluss nicht klappt. | |
Und da bliebe noch ein Schlupfloch, das niemand infrage stellt: | |
ehrenamtliche Arbeit, die, wie gehabt, unvergütet bleiben soll. Schließlich | |
ist ein Praktikum doch auch ein freiwilliges Amt auf Zeit, das nicht auf | |
Entgelt ausgerichtet ist. Stellen gäbe es damit wieder genug, schließlich | |
verursachen wir dann keine Kosten mehr. Außer die, auf denen wir selbst | |
sitzenblieben. | |
Bisher überweisen manche Unternehmen wenigstens eine monatliche | |
"Unterstützung", bei der taz sind es 200 Euro. Sie sollen uns beim | |
möglichen Umzug in eine andere Stadt unterstützen, bei den Kosten für die | |
öffentlichen Verkehrsmittel, und in der Kantine Mittagessen sollten wir | |
auch. Diese Almosen fielen dann dem Ehrenamt zum Opfer - Mindestlohn sei | |
Dank - uns Praktikanten bliebe die Ehre. | |
Angenommen, heute wäre … es wäre nichts besser. Unser Problem liegt im | |
System. Der Mindestlohn hätte lediglich den Effekt einer Schmerztablette: | |
Er überdeckt zwar die Symptome, nicht aber die Ursachen. (Fumiko Lipp) | |
28 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Lan-Na Grosse | |
Fumiko Lipp | |
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