| # taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Im Land herrscht Pogromstimmung“ | |
| > Russlands Präsident Putin demonstriert Macht und macht sich damit beim | |
| > Westen unbeliebt. Ob er seinem Land gut tut? Russen und Russinnen | |
| > diskutieren. | |
| Bild: Die Polizei in Moskau trennt im Sommer 2013 schwule und lesbische Aktivis… | |
| Wladimir Putin war seit langem nicht mehr so beliebt bei seinem Volk wie | |
| gerade. Seine Umfragewerte schossen nach der erfolgreichen Übernahme der | |
| Krim in die Höhe, obwohl sich Russland damit außenpolitisch völlig | |
| isolierte. Ausgeschlossen von G8, tagen die nun sieben wichtigsten | |
| Industrienationen ohne Russland. EU und USA diskutieren über weitere | |
| Sanktionen. Was halten Russinnen und Russen von dieser Entwicklung? Glauben | |
| Sie, dass Putin gut ist für ihr Land? | |
| „Russland ist Sieger: In der Zahl der alkoholabhängigen und obdachlosen | |
| Kinder, der Schwangerschaftsabbrüche, der Korruption...“, schreibt Karina | |
| Kharebova, eine 17-jährige Schülerin aus dem sibirischen Krasnojarsk. Mit | |
| seinen „imperialistischen Ambitionen“ und „totalitaristischen Träumen“… | |
| Putin das Land erobert und danach zerstört. Die Russen hätten nichts getan, | |
| um ihn zu stoppen, schreibt Kharebova. „Der Maidan hat uns gezeigt, wie die | |
| Leute für ihre Rechte und Freiheit kämpfen, wie stark und patriotisch sie | |
| sind! Ich glaube, dass die ukrainische Revolution auch in meiner Heimat | |
| eine Tür geöffnet hat.“ | |
| Die russische Historikerin und Menschenrechtlerin Irina Sherbakova | |
| befürchtet das Gegenteil: „Ich sehe jetzt eine deutliche Gefahr, dass eine | |
| neue Mauer entsteht, um Russland herum.“ Sie befürchtet, dass „das Land | |
| sich nach Jahrzehnten wieder als eine belagerte, von Feinden umringte | |
| Festung sieht“, sich weiter von westlichen Werten abschotte und damit ihr | |
| und ihren Kindern „die Hoffnung nimmt, in einem demokratischen, freien | |
| Russland zu leben“. | |
| Dabei sei Putin im Jahr 2000 mit dem Versprechen an die Macht gekommen eine | |
| „Diktatur des Gesetzes“ zu schaffen, schreibt Nikolaj Plotnikov. Der | |
| russische Philosoph, der an der Universität Bochum lehrt, beobachtet jedoch | |
| das Gegenteil: „Es wurde eine Diktatur installiert, die das Gesetz nur als | |
| Herrschaftsinstrument nutzt, um die Interessen des an die Macht gekommenen | |
| Clans durchzusetzen.“ Schon die Wahlen seinen eine Farce, Opposition und | |
| Andersdenkende würden ausgeschaltet oder von Putins Propaganda erdrückt. | |
| „Wladimir Wladimirowitsch Putin ist der Retter Russlands“, hält die | |
| Rentnerin Tatjana Arischkewitsch aus Moskau aller Kritik entgegen. „Putin | |
| ist nicht nur ein würdiger Politiker, er ist auch ein würdiger Mensch, der | |
| Verehrung verdient.“ Er hätte mit der Annexion der Krim endlich der Welt | |
| die Stärke Russlands bewiesen. Arischkewitsch vertritt die Meinung vieler | |
| Russen, die das Gefühl haben, dass ihr Land in den letzten Jahren vom | |
| Westen erniedrigt und nicht Ernst genommen wurde. In ihren Augen war diese | |
| Machtdemonstration Putins längst überfällig. | |
| „Es ist furchtbar, wenn intelligente, nette Leute auf einmal beginnen, in | |
| einer patriotischen Ekstase zu zappeln und von der Dominanz Russlands in | |
| der Welt schwärmen,“ sagt hingegen taz-Leser Ilia Rykin. „Ich habe mit | |
| einigen Freunden und Verwandten gestritten, ja, Beziehungen abgebrochen. | |
| Das geht allen russischsprachigen Menschen so – die Barrikaden vom | |
| Maidan-Platz verlaufen quer durch die Freundschaften und Familien von | |
| Ukrainern und Russen.“ | |
| Im Land herrsche Pogromstimmung, so Rykin, „Die putinsche Propaganda | |
| verkündet, dass sich Russland von den Knien erhebt, tatsächlich aber | |
| kriecht die Sowjetunion aus dem Sarg. Ein diffuses Feindbild „Der Westen“ | |
| wird aufgebaut: homosexuell, dekadent, pervers.“ Westliche Medien sehen | |
| eine böse autokratische Regierung, unter der ein freundliches Volk leide. | |
| „Das ist gut gemeint“, sagt Rykin, aber die Stimmung im Lande werde | |
| komplett verkannt. „Die russische Regierung ist insofern demokratisch, als | |
| dass sie der Stimmung des Volkes entspricht.“ | |
| Die Streitfrage diskutieren vier weitere Russinnen und Russen: Timur | |
| Galimow aus Jekaterinburg, Lehrerin Lara Völker aus Krasnojarsk, Wladimir | |
| Truschew, ein Bänker aus Mokau und Ewgenija Popowa, Mitarbeiterin des | |
| russischen Fernsehsender STS – in der taz. am wochenende vom 29./30.3.2014. | |
| 29 Mar 2014 | |
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| Fumiko Lipp | |
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