# taz.de -- Kolumne Wutbürger: Warten, bis der Arzt kommt | |
> Hat der Zug gerade mal vier Minuten Verspätung, ist sofort Krawall | |
> angesagt. Aber beim Arzt werden alle wieder ganz devot. | |
Bild: Im Wartezimmer lässt es sich gut über die eigene Gesundheit sinnieren. … | |
Die Deutschen haben den Ruf, pünktlich zu sein. Wer Orte des Widerstands | |
gegen diese Tugend sucht, sollte einfach mal zum Arzt gehen. | |
Sobald ich eine Arztpraxis betrete, habe ich das Gefühl, eine lästige | |
Bittstellerin zu sein. Es geht hier nicht um den normalen Hausarzt, bei dem | |
alle ohne Anmeldung vorbeikommen, um ihre Krankschreibung abzuholen. Da | |
kann ich es akzeptieren, dass ich erst mal warten muss. Interessanterweise | |
ist dieser aber zackiger unterwegs als die Fachärzte. So scheitere ich seit | |
Jahren an dem Versuch, zu einem Hautarzt ins Behandlungszimmer | |
vorzudringen. | |
Das Spiel in diesen Praxen ist immer dasselbe: Völlig abgehetzt, aber | |
pünktlich stehe ich vor dem Tresen der medizinischen Fachangestellten. Die | |
ist gern genauso schlecht gelaunt, wie sie bezahlt wird. Nachdem sie sich | |
endlich meiner erbarmt, verlangt sie meine Karte, meistens ohne von ihrem | |
Bildschirm hochzuschauen, und schickt mich ungerührt ins Wartezimmer. Die | |
Bude ist schon gut gefüllt mit Patienten, die stoisch in abgeranzten | |
Zeitschriften und Broschüren blättern. Würden wir auf dem Bahnsteig stehen | |
und der Zug hätte vier Minuten Verspätung, wäre Krawall angesagt. Aber beim | |
Doktor werden alle ganz devot. | |
Da ich etwas ungeduldig bin und Termine ernst nehme, frage ich alle fünf | |
Minuten nach, wie lange das noch dauert und warum sie ihren Betrieb nicht | |
im Griff haben. Nach meinem fünften Auftritt ist die Stimmung zwischen mir | |
und dem Personal so vergiftet, dass ich besser gehe. | |
Inzwischen habe ich herausgefunden, dass meine Zwischenlagerung der Versuch | |
ist, mir kassenfremde Leistungen anzudrehen. Auf einem Ärzteportal wird | |
darauf hingewiesen, dass der Patient ins Wartezimmer muss – ob er will oder | |
nicht –, denn dort könnte er, während er über seine Gesundheit nachdenkt, | |
mit entsprechenden Broschüren gewinnbringend angeregt werden. | |
Mich regt das vor allem auf. | |
5 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
ISABEL LOTT | |
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