# taz.de -- Neues Schleich-Computerspiel „Thief“: Guerillakrieg mit Wasserp… | |
> In „Thief“ bestiehlt der Meisterdieb Garrett einen finsteren Adligen. | |
> Dabei erweisen sich die Schriften von Mao Tse-tung als recht nützlich. | |
Bild: Auf Mission: Garreth, der Meisterdieb. | |
„Alle revolutionären Kriege sind gerecht“, schreibt Mao Tse-tung in seiner | |
„Theorie des Guerillakriegs“. Nun, dieser Kampf ist es auf jeden Fall, geht | |
es im Spiel „Thief“ doch gegen einen finsteren Adligen, der eine Art | |
Nazi-Regime errichtet hat. | |
Dicker Rauch wallt über einer Fabrik, ausgemergelte Körper hängen an | |
Fleischerhaken und Wachmänner versichern sich gegenseitig polternd, sie | |
würden hier nur Befehle ausführen. Ein Baron und seine Lakaien | |
terrorisieren eine Stadt, die in eine Zeit zwischen Mittelalter und Moderne | |
gebaut ist. Gegen die Tyrannei streitet ein Krimineller aus der Gosse, ein | |
Mann namens Garrett. | |
Er ist ein Dieb, der Beste. Garrett denkt zuvörderst an sich und sucht | |
stets nach der nächsten Möglichkeit, sich zu bereichern. Dass er den Helden | |
spielen muss, ist also eigentlich gar nicht seine Rolle. Aber er hat | |
versucht, den Baron auszurauben und bemüht sich nun, mit den Konsequenzen | |
zurechtzukommen. | |
Verbündet mit ein paar Versprengten aus der Unterschicht tritt Garrett | |
gegen die wohl gerüsteten Streitkräfte des sinistren Feudalherren an. Was | |
liegt näher als Mao Tse-tung zu Rate zu ziehen? Schließlich hat Genosse M | |
einen der längsten Kämpfe einer unterlegenen Macht – der chinesischen | |
Kommunisten – gegen mehrere überlegene Armeen geführt: gegen die in der | |
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts diktatorisch regierende Kuomintang und | |
gegen die Japaner, die China im Zweiten Weltkrieg besetzt hatten. | |
Fünfundzwanzig Jahre lang kämpfte Mao, bis zum Sieg. | |
Der Rebellenführer hat den erfolgreichen Partisanenkrieg erfunden. Mit | |
seinen Mitteln, schreibt der Historiker Sebastian Haffner, könne selbst ein | |
kleines und rückständiges Land jeden Eroberer wieder loswerden. | |
## Knüppel statt Flammenwerfer | |
So brutal wie im Krieg geht es in „Thief“ allerdings nicht zu. Garrett | |
sieht das Spiel zwar aus der Ich-Perspektive eines Ego-Shooters. Aber | |
anders als in den Ballerspielen hält er in seinen Händen keine großen | |
Pistolen oder Flammenwerfer, sondern einen Knüppel, um Gegner k. o. zu | |
schlagen. Und einen Bogen. Damit kann Garrett töten, in seinem Köcher hat | |
er aber auch Wasserpfeile, mit denen sich Fackeln löschen lassen. Die | |
Munition ist jedoch knapp und die Preise auf dem Schwarzmarkt sind hoch. | |
Praktischerweise ist Maos „Theorie des Guerillakrieges“ weniger eine | |
Theorie, sondern eher eine Sammlung zweckmäßiger Tipps für den Kampf. „Es | |
muss ein Grundsatz unserer Politik bleiben, dass wir uns hinsichtlich | |
unseres eigenen Bedarfs auf die Kriegsindustrie der imperialistischen | |
Länder und die unseres Feindes im eigenen Land verlassen“, empfiehlt der | |
rote Ratgeber bei Materialmangel. Und in der Tat kann Garrett betäubten | |
Wachen Geld abnehmen und aus Truhen Pfeile für den Bogen und andere | |
Nützlichkeiten stehlen. | |
Warum man die Waffen der reglosen Soldaten nicht einsacken kann, bleibt | |
obskur. Dafür liegt verkäuflicher Tand wie Kerzenständer, Lupen und | |
Mikroskope überall herum. Die Schlichen der Imperialisten sind wahrhaft | |
unergründlich. | |
## Ein Labyrinth lichtloser Gassen | |
Das Terrain des Meisterdiebs ist eine Stadt, die keinen Namen hat und auch | |
keinen braucht, in ihr gerinnt das Dunkle und Dreckige aller Metropolen zu | |
einem Labyrinth von lichtlosen Gassen, Durchstiegen, Schächten, Kanälen und | |
Löchern. Das Gelände ist für das schwere Militär unwegsam – ein bedeutsam… | |
Vorteil für einen Guerilla. „Der Feind rückt vor, wir ziehen uns zurück; | |
der Feind schlägt ein Lager auf, wir beunruhigen ihn; der Feind ermüdet, | |
wir greifen an; der Feind zieht sich zurück, wir verfolgen ihn.“ So schrieb | |
es Mao auf, während die Heerhaufen der Kuomintang immer wieder versuchten, | |
seine Rote Armee einzukreisen. Die wich aus und schlug dann dort zu, wo der | |
Gegner schwach war. | |
Für „Thief“ bedeutet das, leise, beweglich und ungesehen zu bleiben, den | |
Gegner zu umgehen und ihn von hinten niederzuschlagen. Flaschen und Gläser | |
lassen sich werfen, um Patrouillen in eine Richtung zu locken und | |
auseinanderzuziehen. Und wenn die Soldaten allein sind, gibt es was mit dem | |
Knüppel. | |
Allerdings stoßen Maos Weisheiten irgendwann an die Grenzen ihrer | |
Nützlichkeit. Denn der große Meister setzte auf einen Zermürbungskrieg | |
außerhalb der Städte. Für die wahren Kommunisten schrammte das damals nahe | |
an der Ketzerei vorbei, schließlich sollte eine Revolution laut Karl Marx | |
vom städtischen Proletariat ausgehen, nicht von zerlumpten Bauern. Doch Mao | |
nutzte die Größe Chinas, um die aus den Städten hervorbrechenden Horden der | |
Mächtigen erst auszumanövrieren, sich müde laufen zu lassen und dann zu | |
meucheln. Das kann Garrett nicht, denn es gibt nur die Stadt. | |
„Thief“ ist das vierte Abenteuer des Einbrechers, sein Debüt von 1998 zäh… | |
zu den ersten Computerspielen des Schleich-Genres. Garrett ist ein Veteran. | |
Aber wofür kämpft er? | |
Maos Ziel war klar: das Land einen, es beherrschen, Kommunismus natürlich | |
und die Abschaffung des Krieges, das schreibt er jedenfalls. Garrett | |
hingegen ist kein Revolutionär, er wird das feudale System nicht stürzen. | |
Deshalb erscheint er allerhöchstens als ein subversives Element, wie es der | |
linke Politikwissenschaftler Johannes Agnoli verstanden hat: „Alle | |
Subversion verweist auf ein unzweideutiges Prinzip, das Prinzip | |
Widerstand.“ Der Dieb ist kein politischer Krimineller, sondern allenfalls | |
ein Krimineller, der in die Politik geraten ist. | |
6 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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