# taz.de -- Folter in Grand Theft Auto V: Gewaltfreaks sind immer die anderen | |
> Enthemmung, Mord und Folter – die Debatte um Gewalt in GTA V nimmt ihren | |
> Lauf. Fördert das Spiel Brutalität? Nein, problematisch ist der | |
> europäische Blick. | |
Bild: Das personifizierte Klischee Trevor: Szene aus Grand Theft Auto V. | |
Eine zu eng gebundene Krawatte sorgt dafür, dass das Gehirn schlecht | |
durchblutet wird. Und so ist eine Empfehlung fällig an den | |
Zeit-Online-Redakteur David Hugendick, doch bitte erst die Krawatte zu | |
lockern und dann für seinen durchaus [1][lesenswerten und differenzierten | |
Artikel] über Grand Theft Auto V eine Überschrift zu suchen und zu finden, | |
die weniger klischiert ist als „Fantasialand für Intensivtäter“. | |
Dass Zeit-Redakteure Krawatten tragen ist ein Klischee. Es hat mit der | |
Realität so viel oder so wenig zu tun wie die Behauptung, dass | |
gewaltbereite Intensivtäter den ganzen Tag lang Grand Theft Auto spielen. | |
Was dem einen sein Windsor- oder Prattknoten, ist dem anderen sein | |
Playstation- oder Xbox-Controller. | |
In der seit Jahren anhaltenden Debatte um Gewalt in der | |
Grand-Theft-Spielereihe sind weitaus mehr Klischees verbreitet worden als | |
Argumente. An Klischees kommt also niemand vorbei, der sich der | |
gegenwärtigen, seit dem Erscheinen von GTA V neu befeuerten Gewaltdebatte | |
stellen will. | |
Dabei braucht es die Gewalt erstmal gar nicht: Die Grand-Theft-Reihe ist | |
die spielgewordene „Soziologie des Rackets“ von Max Horkheimer, ein | |
Meta-Klischee des Alltags in der mal mehr, mal weniger organisierten | |
Kriminalität. Groß- und Kleinkriminelle machen was sie wollen, nehmen sich, | |
was sie brauchen und drangsalieren, wen sie können. Die Spieler wiederum | |
können sich in Grand Theft in all jene Rollen begeben, die den meisten von | |
ihnen im Leben jenseits der Spielkonsole dank Strafrecht, Polizei und | |
Über-Ich verwehrt bleiben. | |
Und so fliegen Passanten durch die Luft, während ein schöner Sportwagen mit | |
Tempo 140 durch Los Santos rast, dem digitalen Abbild von Los Angeles. Es | |
werden Cops erschossen und Gegner zu Tode malträtiert. GTA V ist ein Spiel, | |
in dem Hemmungen und rote Ampeln auf den ersten Blick die gleiche Funktion | |
haben. Sie sind Zierrat, Dekor, Ornament. | |
## Moral-Update war erfolgreich | |
Die [2][derzeit vieldiskutierte Folterszene] in GTA V zeigt, dass das nur | |
auf den ersten Blick gilt. Während der Spieler rote Ampeln auch dann nicht | |
zu beachten braucht, wenn die Polizei direkt daneben steht, ist das bei | |
Hemmungen angesichts bestimmter Gewaltformen anders. Wenn Trevor, das | |
personifizierte Klischee des skrupellosen und soziopathischen US-Agenten, | |
die Szenerie betritt, dauert es nicht mehr lange, bis Folterinstrumente zum | |
Einsatz kommen. | |
Zum Einsatz kommen müssen. Die Folterszene lässt sich nicht umgehen, es | |
gibt kein „opt-out“, keine Alternativszene, um zur nächsten Mission zu | |
gelangen. Viele Spieler beschreiben online, wie sie gelitten haben, als sie | |
Elektroschocks verabreichten und Zähne zogen, und ein gestandener Redakteur | |
des Bayrischen Rundfunks – bekanntlich alles andere als ein redaktioneller | |
Hort des Pazifismus – [3][schreibt:] „Ich habe (...) gezittert, mir war | |
schlecht vor Ekel. Ab da hatte ich null Bock mehr auf 'GTA V'.“ | |
Rockstar Games, die Firma, die mit GTA reich geworden ist und jedes | |
Klischee über die Spielereihe kennt, hat gewusst, was nach dieser Mission | |
an Emotionen und Reaktionen kommt. Der Spieler, der in die Rolle des Trevor | |
geschlüpft ist, muss sich nun einen Monolog seiner eigenen Spielfigur | |
anhören: „Die Medien und die Regierung wollen, dass wir glauben, Folter sei | |
notwendig und dass wir die Infos brauchen, die wir bekommen können.“ In der | |
Folterszene aber habe sich gezeigt, dass Folter nur dem Folterer „eine gute | |
Zeit“ verschaffe. Sie sei „nutzlos als Mittel der Informationsbeschaffung�… | |
Da geht der Spieler dann in sich, bereut sein verwerfliches Tun und mit ihm | |
schütteln auch alle Folterer der Welt den Kopf und schlittern auf blutigen | |
Kacheln in eine Identitätskrise. Moral-Update beendet. Wollen Sie den | |
nächsten Auftrag inklusive Ethik-Upgrade annehmen? | |
## Besser als nichts und doch zu wenig | |
Jede Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die hier ansetzt, ist | |
richtig. GTA V ist nicht das erste Videospiel, in dem gefoltert wird, und | |
es wird auch nicht das letzte bleiben. Rockstar Games hat versucht, eine | |
zweite Ebene einzuziehen, die von der US-Armee und US-Geheimdiensten in | |
vielen Ländern der Welt praktizierte Folter anzuprangern und ihr die | |
Legitimität zu entziehen. Das ist besser als nichts und doch zu wenig. | |
Die Folter in GTA V passt sich somit perfekt ein in die von vielen | |
Rezensenten und Spielern so geschätzte realistische Szenerie des Spiels. | |
Los Santos steht dabei als vermeintlich typische US-Großstadt, in der | |
Verfall, Enthemmung und Gewalt um sich greifen. Franklin, einer der drei | |
GTA-V-Protagonisten, wird bei einem Einbruch im wohlhabenden Teil von Los | |
Santos von der Dame des Hauses und ihrem Tennislehrer ertappt. Ihr Problem | |
mit dem Einbrecher ist nicht, dass er ein Einbrecher ist, sondern: „Er ist | |
schwarz!“ | |
Das ist Klischee und Realismus zugleich – Realismus für Tausende schwarze | |
US-Amerikaner und Klischee für all jene Europäer, die Rassismus nur dann | |
als real empfinden, wenn er Tausende Kilometer entfernt ist. Böser | |
Rassismus in den USA, aber die Ablehnung des neuen Flüchtlingswohnheims im | |
eigenen Stadtviertel ist nicht rassistisch, sie macht nur städtebaulich | |
keinen Sinn. | |
Viele Rezensenten in Europa machen beim alten Gewalt-im-Videospiel-Bashing | |
nicht mehr mit. Ein Spiel, das ab 18 Jahren freigegeben ist, wird in eine | |
Reihe von Büchern, Filmen und Theaterstücken gestellt, die ebenfalls | |
wissen, dass es Gewalt gibt und das es keinen Sinn macht, sie in der Kunst | |
nicht zu zeigen. Was aber in der europäischen Rezeption bleibt, ist der | |
seltsame Impuls zu behaupten, dass Gewalt zu Amerika gehöre wie Hamburger | |
oder Baseball. | |
Ein Grand Theft Auto VI, in dem ein Spieler als Regierungsberater in Athens | |
City gezwungen ist, einem Staat nur dann finanzielle Hilfen zu gewähren, | |
wenn er seine Bürger ökonomisch und sozial in den Suizid treibt, wäre eine | |
gute Fortsetzung. Jenseits der Klischees ließe sich dann endlich auch in | |
Europa eine realistische Debatte über die vielfältigen Formen von Gewalt | |
führen – inner- und außerhalb von Videospielen. | |
2 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/2013/40/computerspiel-gta-grand-theft-auto-v | |
[2] http://www.google.de/search?hl=en&gl=us&tbm=nws&authuser=0&… | |
[3] http://www.br.de/puls/themen/popkultur/gta-v-folter-kommentar-100.html | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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