# taz.de -- Computerspiel „Mountain“: Ich bin erwacht | |
> Ist das Dasein als Berg erstrebenswerter als das als Mensch? Zunächst | |
> scheint es so. Doch dann wird der Fels dem Menschen viel zu ähnlich. | |
Bild: Berg sein. Schlecht gelaunt sein. „Mountain“ eben. | |
Berge sind heilig. Auf ihnen wohnen Götter, indische und griechische. Um | |
Berge zu bezwingen, braucht es fabelwesengleiche, drahtige Zausel, die | |
ihrerseits auf Bergen wohnen wie Reinhold Messner. Und selbst den Chef | |
einer Mörderbande umflort noch die Aura des Erhabenen, wenn man ihn den | |
„Alten vom Berge“ nennt wie den Anführer der syrischen Assassinen zur Zeit | |
der Kreuzzüge. | |
Berge sind massive Orte, verdichtete Materie und spirituell zugleich, | |
stehen sie im Dies- wie im Jenseits. Wie es wohl ist, ein Berg zu sein? | |
Kann man ausprobieren. Für nicht mal einen Euro. | |
„Mountain“ ist ein Spiel, mit dem man erfahren kann, wie es sich wohl | |
anfühlen muss, nun ja, eben ein Berg zu sein. Wobei ein Spiel ist es gerade | |
nicht. Das Computerspiel ist das interaktivste Medium, es funktioniert | |
nicht ohne SpielerIn, jemand muss die Handlung antreiben, ihr Herrscher und | |
Diener sein. „Mountain“ allerdings ist der Spieler egal. | |
Zu Anfang muss er noch weiße Flächen bemalen, über denen | |
bedeutungsschwanger bergwürdige große Dinge in großen Buchstaben stehen. | |
BROTHER. LOGIC. BIRTH. Hernach entsteht ein grüner Kegel, bestanden mit | |
grünen kleinen Kegeln – Nadelbäumen. Der Kegel dreht sich in einer großen | |
Blase aus Licht. Im Weltall. | |
## „Wenn man lebt, passiert gar nichts“ | |
HELLO? Der Berg denkt. Ab und an. In Großbuchstaben. Was der Spieler tun | |
darf, ist ihm dabei zuzusehen. Mehr nicht. Das Prinzip des Spiels ist ad | |
absurdum geführt. Er darf zusehen beim Drehen, dabei, wie Schnee das satte | |
Grün in Grau verwandelt. Beim Existieren. Beim Dasein. | |
IM AWAKE! Auch Berge werden als Kinder geboren, die Welt ertastend und | |
zugleich Platz in ihr behauptend. Hier bin ich! Anrührend. Wie anders der | |
Mensch, der erwachsene zumal. Jean-Paul Sartre beschreibt im Roman „Der | |
Ekel“, wie ein Mann, ein weitgereister Historiker, das Dasein erfährt: | |
„Wenn man lebt, passiert gar nichts. Die Szenerie wechselt, Leute kommen | |
und gehen, das ist alles. Es gibt nie Anfänge. Ein Tag folgt dem anderen | |
ohne Sinn und Verstand, ein unaufhörliches, eintöniges Aneinanderreihen.“ | |
IF I EVER SEE ANOTHER THING LIKE ME, WILL IT LIKE ME? Dinge stürzen auf den | |
Berg. Es gibt eine Außenwelt, und sie sendet einen Totenschädel, ein | |
Grammofon, eine Flasche Schnaps, zwei Tennisbälle, einen Globus, eine | |
riesige gelbe Quietscheente, eine Hantel, ein Segelboot. Der Berg wird | |
Müllhalde; Versuche, die Eindringlinge zu entfernen, sind schwergängig, es | |
ertönt tiefes Rumpeln. Das Grammofon spielt Lieder, in denen ein Mann, | |
Schmelz in der Stimme, seine Träume mit seinem Liebling teilen will, I | |
think of you night and day. | |
Musik ist das einzige, das Sartres Historiker Glück fühlen lässt, während | |
er sich entfremdet. Von den Dingen, den Menschen, sich selbst, bis ihn | |
alles anwidert, auch und gerade er selbst. Aber wenn Madeleine im Wirtshaus | |
Some of this days aufs Grammofon legt, Some of this days, youll miss me | |
honey!“, dann ist Stille, dann „habe ich meinen Körper hart werden fühlen, | |
und der Ekel hat sich verflüchtigt.“ | |
## Grässliche Trivialitäten | |
I WISH, I WERE BIGGER SOMETIMES Es ist einfach, den Berg sympathischer zu | |
finden als den Menschen. Sartres Buch liest sich wie eine Depression. Für | |
den, der sie hat, gibt es nichts Dringlicheres; für andere, die beobachten, | |
zuhören, gibt es schnell nichts Langweiligeres mehr. Der Berg ist meistens | |
still, und wenn nicht, dann ist er niedlich. | |
IM DEEPLY CONNECTED WITH THIS DAY Hm. Natürlich konnte es so schön nicht | |
bleiben. Ist der Berg in seiner Yoga-Phase? Wird er gecoacht? Er sondert | |
grässliche Trivialitäten ab über laue, stürmische, dunkle Nächte in Sommer, | |
Herbst und Winter ... | |
I HAVE NO WORDS FOR THIS AUTUMN NIGHT Grauenvoll. Wenn man weit | |
herauszoomt, wird der Berg eine Schneekugel, bei Glück ziehen Wolken auf | |
und er wird fast unsichtbar, jaja, dann kann er denken, was er will, das | |
einfältige, vorhersagbare Ding. | |
I FEEL HAPPY TO BE ALIVE IN THIS NIGHT FULL OF STARS Es ekelt mich. | |
5 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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