# taz.de -- PC-Spiele in der Therapie: Virtuelle Schneeballschlachten | |
> Krebspatienten ballern auf Tumorzellen und eine Eislandschaft lindert die | |
> Schmerzen von Brandopfern: Die Medizin entdeckt „Serious Games“. | |
Bild: Schmerzlinderung im Krankenbett: Ein Patient in einer niederländischen K… | |
Wieder taucht eine große Qualle im Gang des Lymphsystems auf. Ein gezielter | |
Schuss aus dem Chemoblaster, dann hat Titelheldin Roxxi Ruhe – jedenfalls | |
bis zum nächsten Lymphknoten. Auf den ersten Blick ist „Re-Mission“ ein | |
knallharter Ego-Shooter. Grafisch etwas in die Jahre gekommen, trotzdem 20 | |
Level lang eine Herausforderung. Die Quallen breiten sich schnell auf dem | |
Schlachtfeld aus – wie Tumorzellen im Körper. | |
„Re-Mission“ richtet sich an junge Tumorpatienten. „Spielerisch sollen sie | |
mehr über Krebs und die Wirkung der Chemotherapie lernen“, sagt Ute | |
Ritterfeld, Medienpsychologin von der Technischen Universität Dortmund. Die | |
Re-Mission-Botschaft ist klar: Du kannst den Krebs besiegen. Dafür musst du | |
aber kämpfen und deine Medikamente nehmen. | |
Das Konzept geht auf. Eine Wirksamkeitsstudie von Mediziner der Stanford | |
University zeigte, dass sich die jungen Patienten dank Re-Mission | |
motivierter an der Chemotherapie beteiligen und regelmäßiger ihre | |
Medikamente nehmen. Inzwischen gilt das von der amerikanischen | |
HopeLab-Stiftung finanzierte Spiel als einer der wichtigsten Genrevertreter | |
der Health Games – Spiele, die nicht nur unterhalten, sondern Therapien | |
unterstützen. | |
Ihren Ursprung haben die „gesunden Spiele“ im Militärbereich. So kam die | |
US-Army bereits während des letzten Irakkriegs auf die Idee, Computerspiele | |
therapeutisch einzusetzen. „Virtual Iraq“ soll beispielsweise bei der | |
Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen helfen. Die Patienten | |
durchlaufen dabei virtuelle Missionen und werden unter Anleitung eines | |
Psychologen mit Stresssituationen konfrontiert. Explosionen, verwundete | |
Kameraden, Angriffe aus dem Hinterhalt, die gesamte Storyline steuert der | |
Therapeut. | |
Der medizinische Nutzen der Simulation ist umstritten. Umso interessanter | |
sind die dabei gemachten Beobachtungen. Die Soldaten erlebten die | |
Krisensituationen am Bildschirm sehr intensiv. „Dank der menschlichen | |
Vorstellungskraft gelingt es den Spielern, sich schnell in die | |
Spielsituationen hineinzufühlen“, erklärt Ritterfeld. | |
Genau diese Fähigkeit nutzt auch das Spiel „Snow World“. In einer | |
Eislandschaft liefern sich die Spieler Schneeballschlachten mit virtuellen | |
Gegnern. Die Forscher von der University of Washington entwickelten das | |
Winterspiel für die Behandlung von jungen Verbrennungsopfern. Das Spiel | |
dient als Ablenkung während der schmerzhaften Verbandwechsel. Durch die | |
Eislandschaft soll das Kälteempfinden der Patienten stimuliert werden. Mit | |
Erfolg: Das subjektive Schmerzempfinden sank bei den Probanden der | |
Wirksamkeitsstudie um bis zu 50 Prozent. | |
## Wachsender Bedarf | |
Das mit Abstand größte Potenzial für Health Games sehen Experten jedoch in | |
der alternden Gesellschaft. „In der Altenpflege werden wir in Zukunft immer | |
mehr Roboter und virtuelle Systeme zur Unterstützung sehen“, erklärt | |
Ritterfeld. Interaktive Systeme könnten die Senioren beispielsweise an die | |
Flüssigkeitsaufnahme erinnern oder mit kleineren Übungen fit halten. Auch | |
bei der Therapie von Altersdepressionen könnten Computerspiele hilfreich | |
sein. | |
Hinweise darauf gibt eine kürzlich im [1][Fachjournal Nature | |
Communications] veröffentlichte Studie. Forscher aus den USA und China | |
untersuchten eine Gruppe von 60- bis 89-Jährigen, die unter schweren | |
Altersdepressionen litten. Das Ergebnis: Nachdem sie vier Wochen lang | |
anspruchsvolle Gedächtnisspiele nutzen, verbesserte sich ihr Gemütszustand | |
merklich. Ein Effekt vergleichbar mit der Einnahme von Antidepressiva. | |
Schon länger vermuten Forscher, dass Altersdepressionen auch durch | |
mangelnde geistige Aktivitäten ausgelöst werden können. Senioren | |
flächendeckend zum Daddeln animieren, wäre trotzdem zu früh. Die Studie | |
untersuchte nur elf Probanden, auch die Kontrollgruppe, die mit Tabletten | |
behandelt wurde, umfasst nur 33 Senioren. Die Ergebnisse soll deshalb in | |
größeren Studien überprüft werden. | |
## Spiele fördern die Bewegung | |
Doch Health Games dienen nicht nur der Information oder Ablenkung, sie | |
bringen auch Menschen in Bewegung. Ein Beispiel dafür sind | |
Schlaganfallpatienten. Auf ihre Rehabilitation hat sich die Schweizer | |
Robotikfirma Hocoma spezialisiert. Der Roboterarm „Armeo“ trainiert zum | |
Beispiel die motorischen Fähigkeiten der Patienten mit möglichst vielen | |
Wiederholungen. Ein Exoskelett unterstützt dabei jede Bewegung. | |
Die Besonderheit: Einfache Spiele versüßen das oft eintönige Training. | |
Schon mit kleinen Armbewegungen schneiden die Patienten auf dem Bildschirm | |
pixelige Möhren oder putzen virtuelle Herdplatten. Durch die ständigen | |
Wiederholungen werden die Bewegungsabläufe trainiert und neu verinnerlicht. | |
Bei einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigte | |
sich, dass das spielerische Training mit Roboter ähnlich effektiv ist wie | |
herkömmliche Physiotherapie. Die Patienten zeigten sich jedoch durch die | |
Spiele deutlich motivierter. | |
## Therapeuten werden nicht arbeitslos | |
„Den Therapeuten völlig ersetzen werden solche Angebote sicher nicht. Sie | |
sind vielmehr eine sinnvolle Weiterentwicklung konventioneller | |
Trainingsmethoden“, sagt Stefan Göbel von der Technischen Universität | |
Darmstadt. | |
Die moderne Medizintechnik macht die Rehabilitation ohnehin immer | |
effektiver, Sensoren zeichnen die Trainingsfortschritte viel genauer auf, | |
Roboter entlasten die Therapeuten. Einen kleinen Beitrag dazu leisten auch | |
die Spiele, sie motivieren, visualisieren, unterhalten. | |
„Ich sehe deshalb zukünftig drei große Absatzmärkte für Health Games. | |
Rehazentren, Krankenkassen und gesundheitsbewusste Senioren. Der Gewinn für | |
das Gesundheitssystem würden dann auch eine stärkere Förderung durch | |
beispielsweise die Krankenkassen rechtfertigen“, sagt Göbel. | |
Genau davon ist man in Deutschland allerdings noch weit entfernt. In den | |
USA beteiligen sich große Stiftungen an der Entwicklung von Health Games. | |
Für „Re-Mission“ macht das HopeLab sagenhafte 4,6 Millionen US-Dollar | |
locker. Hierzulande bleibt die öffentliche Förderung schwer. Potenzielle | |
Geldgeber, große Stiftungen etwa, sind nicht in Sicht. | |
## Finanzierung ist nicht gegeben | |
Auch die Krankenkassen übernehmen anders als in den Niederlanden oder | |
Skandinavien keine Anschaffungskosten oder Therapie-Einheiten. Das | |
Interesse der Krankenhäuser und Senioreneinrichtung ist entsprechend | |
überschaubar. Auch für Software-Unternehmen lohnt sich die Entwicklung | |
aufwendiger Health Games nicht. | |
„Die Zielgruppe ist oft begrenzt und damit auch das wirtschaftliche | |
Potenzial. Gerade die therapeutischen Spiele sind auf ein ganz bestimmtes | |
Krankheitsbild spezialisiert“, sagt Göbel. Die Folge: Viele Spiele sind im | |
Gameplay und Grafik schlampig umgesetzt. Nur die wenigsten wurden bisher | |
gründlich auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. | |
Gerade der Vergleich mit großen Unterhaltungstiteln fällt schlecht aus. Bei | |
den Patienten mindert genau das die Motivation zum häufigen Spielen. Völlig | |
kontraproduktiv, denn nur wer viel spielt, wird auch gesund. | |
1 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nature.com/ncomms/index.html | |
## AUTOREN | |
Birk Grüling | |
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