# taz.de -- Dragon Age: Inquisition im Test: Vorsicht, Kastration! | |
> Unsere AutorInnen spielen ein Computerspiel anhand eines literarischen | |
> Vorbildes. Dieses Mal im Test: Glaube, Überwachung und Sex | |
Bild: Eine Szene aus dem Computerspiel: Wer wird hier gerade entmannt? | |
Von einem Gott erwählt zu werden gehört zu den unangenehmeren Dingen, die | |
einem im Leben passieren können. Jesus – ans Kreuz genagelt. Herkules – von | |
der eigenen Frau vergiftet. Und in Walhalla müssen die von Odin | |
ausgesuchten Geister tapferer Krieger jeden Tag aufs Neue kämpfen, bis sie | |
zum Weltuntergang endlich gegen das Böse antreten dürfen – und verlieren. | |
Das Dasein als Erwählter ist also mindestens mühevoll, oft tödlich. | |
Die Geschichte eines Messias erzählt das Rollenspiel „Dragon Age: | |
Inquisition“. Die höchsten geistlichen Würdenträger der Welt versammeln | |
sich, um einen ausufernden Bürgerkrieg zu beenden. Sie alle kommen bei | |
einer Explosion um; nur die vom Spieler gelenkte Hauptfigur überlebt. Sie | |
gilt danach als Abgesandter göttlicher Mächte. Der Terroranschlag hat | |
Löcher in die Realität gerissen, aus denen Dämonisches in die Welt drängt, | |
und nur der Überlebende kann diese Risse schließen. | |
Fortan schart man Anhänger um sich und sucht nach mächtigen Verbündeten, | |
lässt bezirzen, bestechen und ermorden und stellt eine religiöse | |
Massenbewegung auf die Beine – die Inquisition. Das Ziel ist die Rettung | |
der Welt, wie edel oder hinterfotzig man dabei vorgeht, obliegt dem eigenen | |
Ermessen. | |
Angesichts der zu erwartenden Viecher aus der Dämonenwelt, den höfischen | |
Intrigen und den Konflikten mit der sich von der Inquisition bedroht | |
sehenden Kirche ein ziemliches Stück Arbeit, dass über 100 Stunden | |
Spielzeit dauern kann. Einer der Gefährten, die man während des Spiels | |
einsammelt, fragt daher, ob man nicht lieber weglaufen wolle. | |
Kann man seinem Schicksal entkommen, seinem Gott? Und gibt es folglich so | |
etwas wie Bestimmung? Das verhandelt der Brite Kingsley Amis in „Die | |
Verwandlung“, einem zum Klassiker gewordenen, 1976 veröffentlichten Roman | |
über eine alternative Realität, in der die katholische Kirche den größten | |
Teil der Welt noch im festen Griff hat. Die Reformation hat es nie gegeben, | |
Luther ging nach Rom und wurde Papst. Der Auserwählte ist bei Amis ein | |
Knabe, Hubert Anvil, der so bezaubernd singt, dass ihn der Papst bittet, er | |
möge seine von Gott gegebene Stimme in den Dienst der Kirche stellen. Um | |
seinen Sopran zu erhalten, müsse Anvil allerdings kastriert werden. | |
## Entmannt und verblutet | |
Die Bitte des Papstes ist natürlich keine. Wer sich ihr entgegenstellt, | |
findet sich selbst schnell entmannt und verblutend am Fuße einer Treppe | |
wieder. Nach anfänglichem Ringen mit sich selbst und seinem Glauben | |
versucht Anvil zu fliehen in eines der wenigen Länder, in dem die Kirche | |
keinen Einfluss hat. | |
Spiel und Roman gemein ist die Annahme von einer Welt, deren größte Angst | |
die vor dem Zerfall und dem Chaos ist. In der „Verwandlung“ lauert außen an | |
den Grenzen der katholischen Christenheit der Türke, eine Macht, die, so | |
sagt es ein Kirchenmann, „niemals zerschmettert und nur in Schach gehalten | |
werden kann“. | |
Und im Inneren droht die Wissenschaft, die Idee vom selbstständigen Denken, | |
die überkommene Ordnung zu vernichten. In der Welt von „Dragon Age“ sind es | |
statt der Türken die Dämonen, die an den Grenzen der Realität lauern, | |
jederzeit bereit, in die Welt der Menschen vorzudringen. Besonders Magier | |
sind gefährdet, von den Wesenheiten „jenseits des Schleiers“ übernommen zu | |
werden, sie gelten deshalb vielen Menschen als potenzielle Gefahr, als | |
Schläfer, bei denen es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Böse in ihnen | |
hervorbricht und sie zu Mördern macht. | |
Sie werden in Türmen kaserniert und von einem Orden der Kirche überwacht, | |
der bereit ist, sie bei Anzeichen von Gefahr zu töten. Sie sind verurteilt, | |
bevor sie auch nur die Chance haben, ein Verbrechen zu begehen. | |
## Sicherheit statt Freiheit | |
Die Völker beider Welten haben Sicherheit gegen persönliche Freiheit | |
getauscht. Die vermeintliche Gewissheit der Ruhe im Inneren der | |
Gemeinschaft ist der Lohn dafür, dass alles außerhalb als fremd und | |
feindlich gelten muss. Ebenso gewiss ist, das alles Widerständige im | |
Inneren gnadenlos ausgemerzt gehört. Den Russen unter Putin, den Chinesen | |
mit ihrerm Einparteienkapitalismus wird solches Denken und Handeln des | |
Öfteren vorgeworfen, letztlich ist es aber die grundlegende Formel für | |
jeden Überwachungsstaat. Und sowohl Spiel als auch Roman stellen die Frage, | |
ob der Tausch persönlicher Freiheit gegen Sicherheit und Ordnung | |
tatsächlich ein so übler ist. Die Kirche sei das Einzige, was die Menschen | |
und Staaten miteinander verbinde, sagt eine der Anführerinnen der | |
Inquisition in „Dragon Age“.Ohne sie drohe Kampf und vielfacher Tod. | |
Das Christentum sei in den vergangenen Jahrhunderten „eine Tyrannei | |
besonderer Art gewesen“, so heißt es in der Verwandlung. „Mittels der Seele | |
beherrschte es die Gedanken der meisten und die Handlungen aller. | |
Infolgedessen hat es in ganz Europa keine Kriege gegeben.“ | |
Ist eine Welt in Stase, in ewigem Gleichgewicht, nicht einer vorzuziehen, | |
die vom Gedanken an Fortschritt und Entwicklung ständig in Umwälzungen und | |
Konflikte getrieben wird? Zumal in der mittelalterlichen Welt von „Dragon | |
Age“ Dinge möglich sind, die in der realen Moderne utopisch erscheinen: | |
Frauen sind gleich gestellt, bekleiden hohe Ämter, leisten Militärdienst. | |
Weil die Prophetin der Kirche – eine Mischung aus dem Krieger Mohammed und | |
dem freiwilligen Opfer Jesus Christus – eine Frau war, sind auch alle | |
kirchlichen Würdenträgerinnen weiblich. | |
Schlafen darf jeder weitestgehend, mit wem er möchte. In „Dragon Age“ kann | |
der Hauptcharakter Romanzen haben, wenn er oder sie sich ausreichend | |
interessiert an den Gefährtinnen zeigt. Homosexuelle Beziehungen mit den | |
vom Computer gesteuerten Figuren waren in allen Teilen des Spiels möglich, | |
denn viele der Nichtspielercharaktere waren bisexuell. Aufregung gibt es | |
darüber regelmäßig. Außerhalb des Spiels, in unserer Realität. | |
## Verstecken geht nicht | |
Der dritte Teil ließ die Diskussionsforen im Internet noch heißer laufen | |
als sonst, weil man sich zum ersten Mal in einen rein schwulen und einen | |
rein lesbischen Charakter verlieben kann, Küssen und Sex inklusive. In | |
Indien, Bangladesch und Pakistan soll das Spiel nicht verkauft werden, die | |
Facebook- und Onlinekommentare vieler LeserInnen weltweit zeigen ein hohes | |
Maß an Unbehagen. | |
Die Kirche in „Die Verwandlung“ ist da weitaus traditioneller, Sex ist nur | |
in der Ehe erlaubt, und auch sonst gilt das Primat alles Männlichen. Aber | |
auch sie bietet eine echte Alternative zur Leistungsgesellschaft – hier | |
kennt jeder seinen Platz und bleibt dort auch, ob Bauer oder Adliger. | |
Entfremdung? Gibt es in solch wohlsortiertem Leben nicht. Keine ganz | |
unbekannte Sehnsucht im so gern als schnelllebig beschriebenen Hier und | |
Jetzt. Menschen, die "Landlust" abonniert haben, könnte auch diese Welt | |
gefallen. | |
Der Junge Hubert Anvil kann nur weglaufen und sich verstecken. Der | |
Spielcharakter in „DragonAge" kann das nicht, denn sonst geht es schlicht | |
im Spiel nicht weiter. Der Sängerknabe flieht gerade einmal 100 Seiten | |
lang, als Inquisitor kämpft und intrigiert man Wochen oder gar Monate. | |
Anvil personifiziert die Ohnmacht in Gestalt eines kleinen Jungen. Der oder | |
die Inquisitorin wird zum mächtigsten sterblichen Wesen seiner Zeit. Und | |
doch entkommen sie beide der Kirche nicht. Ihr kann man nicht entfliehen. | |
Und sie ist auch nicht zu vernichten. | |
Das Bedürfnis nach Sicherheit ist einfach zu stark. Letztendlich wollen die | |
Menschen keine Freiheit, sondern jemanden, der sie beschützt. | |
28 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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