# taz.de -- Computerspiel „This War of Mine“: Manchmal muss man töten | |
> Krieg macht keinen Spaß. Das will ein neues Computerspiel nicht nur | |
> erzählen. Die Spieler sollen es fühlen. Ob das gelingt, entscheidet jeder | |
> selbst. | |
Bild: Die Spielfiguren in „This War of Mine“ trauern um einen verlorenen Fr… | |
Verzweifelt läuft der alte Mann hinter Roman her. „Bitte, nimm uns nicht | |
unser Essen weg“, fleht er. Vor ihnen im Kühlschrank liegen sie, die | |
wertvollen Vorräte: zwei Konservendosen und etwas rohes Gemüse. Sogar ein | |
Stückchen Fleisch hat das Ehepaar noch aufbewahrt. Eine Seltenheit dieser | |
Tage – denn es ist Krieg. | |
Roman muss sich entscheiden. Diese Leute können sich nicht wehren, es wäre | |
ein Leichtes, die Lebensmittel mitzunehmen. Und die Medikamente. Er und | |
seine Freunde haben seit Tagen nichts gegessen. Bruno ist schwer verletzt. | |
Vor zwei Tagen haben sie Arica verloren. Doch jetzt zuzugreifen, hieße, den | |
Alten und seine Frau dem sicheren Tod zu überlassen. Roman greift zu. | |
Es sind Situationen wie diese, die das Computerspiel „This War of Mine“ | |
ausmachen. Situationen, in denen es keine richtige, keine „gute“ | |
Entscheidung gibt, in denen der Spieler aber handeln muss – und dann mit | |
den Konsequenzen konfrontiert wird. | |
Die polnische Independent-Firma 11 Bit Studios [1][zeichnet ein düsteres | |
Szenario]: Eine belagerte Stadt. Überall verstecken sich Sniper, kriminelle | |
Banden ziehen umher. Bis hierher klingt es nach einem gängigen | |
Computerspiel-Szenario. Doch statt des mutigen Soldaten, der sich seinen | |
Weg an den Feinden vorbeikämpft, führt der Spieler hier eine verängstigte | |
Gruppe von Zivilisten durch das Geschehen. Ihr einziges Ziel: Überleben. | |
## Keine Lust auf Krieg | |
Viele so genannte Survival Games sind in den vergangenen Jahren [2][auf den | |
Markt gekommen]. Doch bei „This War of Mine“ geht es nicht darum, mit | |
möglichst großen Knarren möglichst viele Kugeln zu verschießen und so ein | |
möglichst blutiges Gemetzel anzurichten. Es geht darum, Nahrung und | |
Antibiotika aufzutreiben. Aus Brettern ein Bett zu zimmern und Wasser zu | |
filtern. | |
„Fuck the War“ steht in weißer Farbe an der Mauer vor der Ruine, in der die | |
Figuren sich verstecken. Lust auf Krieg macht dieses Spiel wahrlich nicht. | |
Und nachdem man die zweite Figur verloren hat, vielleicht sogar durch einen | |
verzweifelten Selbstmord, will man es am liebsten zur Seite legen. | |
Dabei findet die Auseinandersetzung mit dem Töten auf mehreren Ebenen | |
statt. Kehrt der Spieler mit einer der Figuren aus seiner Gruppe wieder in | |
das Haus der alten Leute zurück, findet findet er sie tot in ihren Betten | |
auf und muss diesen Fund emotional verdauen. | |
## Das Spiel soll keinen Spaß machen | |
Doch auch die Spielfigur Roman fällt nach seinem nächtlichen Raubzug in | |
eine Depression. Zlata, ein weiteres Mitglied der Gruppe, kann versuchen, | |
ihn aufzumuntern – doch Roman weist sie harsch zurück. Stattdessen sitzt er | |
reglos in der hinteren Ecke. Was auch immer der Spieler probiert, mit Roman | |
ist im Moment nichts anzufangen. „Broken“ steht in der Gemütsbeschreibung … | |
„gebrochen“. | |
„This War of Mine“ soll [3][nicht in erster Linie Spaß machen], sagt einer | |
der Entwickler, Pawel Miechowski, dem Computerspiel-Blog Kotaku. „Es ist | |
eine Erfahrung.“ Inspiriert zu dem Spiel habe ihn ein Text mit dem Titel | |
[4][„One Year in Hell“]. Dort beschreibt der Autor, wie er den Krieg in | |
Bosnien – wahrscheinlich im besetzten Sarajevo – überlebte. Diese | |
Schilderungen hätten ihn sehr mitgenommen. | |
„Es geht nicht nur darum, abstrakt vermittelt zu bekommen, dass Krieg | |
grausam ist“, erklärt der Ethnograph Christoph Bareither. „Es geht darum, | |
emotional zu erfahren, dass es so ist.“ Bareither erforscht in seiner | |
Doktorarbeit das Vergnügen an Computerspielgewalt. „Natürlich kann ein | |
Spiel keine wirkliche Kriegserfahrung simulieren“, sagt er. „Aber es kann | |
die moralischen Konflikte nachvollziehbarer machen, denen Menschen in | |
solchen Situationen ausgesetzt sind.“ | |
## Moralische Auseinandersetzung | |
Computerspiele haben aus der Sicht Bareithers das Potenzial, die | |
Konsumenten auf einer ganz anderen Ebene mit Gewalt zu konfrontieren, als | |
etwa Filme. „Als Spieler hat man eine besondere körperliche Beziehung zum | |
Spielgeschehen. Man handelt, und das eigene Handeln hat Konsequenzen.“ | |
Bei „This War of Mine“ wird dem Spieler die Auseinandersetzung mit der | |
eigenen Moral und den Folgen der Gewalt geradezu offensiv angeboten, das | |
Vergnügen wird immer wieder ins Gegenteil verkehrt. | |
„Zu dieser Konfrontation zwingen können einen die Game Designer aber auch | |
wieder nicht“, sagt Bareither. Er beschreibt, wie man sich als guter | |
Stratege mit Leichtigkeit eine gefüllte Vorratskammer und ein beachtliches | |
Waffenarsenal einrichten kann. | |
## Es kommt darauf an, wie man spielt | |
Eine zierliche Frau, die bis zum Ausbruch des Krieges als Anwältin | |
gearbeitet hat, kann aus dem Hinterhalt ein Dutzend Soldaten mit einem | |
Küchenmesser niedermetzeln. „Wenn man es aber auf diese Weise ehrgeizig | |
spielt, kann man auch die moralische Konfrontation umgehen“, sagt er. Dann | |
sei das Spiel nur noch ein durchschnittliches Survival-Game. | |
„Das Spiel als eine Software kann einem bestimmte Erfahrungen nur | |
anbieten“, erklärt Bareither. „Am Ende kommt es immer darauf an, wie wir | |
mit diesem Angebot umgehen. Genau deshalb brauchen wir nicht nur eine | |
gesellschaftliche Debatte über das Design von Spielen, sondern auch | |
darüber, wie wir sie spielen wollen.“ | |
Den unterschiedlichen Umgang zeigen verschiedene Youtube-Videos, in denen | |
Gamer das Spiel mitschneiden und kommentieren. Der Spieler EnterElysium | |
etwa [5][bewegt seine Figur mit viel Geschick] durch die belagerte Stadt. | |
Dann trifft er auf feindliche Bewaffnete – und greift nicht an. „Ich würde | |
sie ja töten, aber ich möchte nicht depressiv werden“, erklärt die Stimme | |
des Spielers. Das ist Taktik, nicht Moral. | |
Ganz anders der User Bruugar. Er hat seine Figur [6][ebenfalls auf die | |
Suche nach Beute geschickt]. Als er den Keller eines alten Hauses | |
durchsucht, tauchen zwei feindliche Figuren auf. Er wehrt sich, eine der | |
beiden Figuren bricht zusammen. „Was, hab ich den jetzt totgehauen? | |
Ernsthaft?“ fragt Bruugar. „Och nö, Leute, das ist ... ach, man ...“ Imm… | |
wieder geht er darauf ein, was eben passiert ist. „Was hätte ich denn | |
machen sollen?“, fragt er, während seine Figur unruhig Treppen hoch- und | |
wieder runterläuft. „Ich fühle mich gerade voll schlecht.“ | |
## Unterstützung von Kindern in Kriegsgebieten | |
„Dass solche Spiele Erfolg haben, zeigt, dass es zumindest in Teilen der | |
Gaming-Szene den Bedarf nach einer kritischeren und weniger einseitigen | |
Darstellung von Gewalt gibt“, sagt Bareither. Und in der Tat: Das Spiel | |
verkaufte sich von Anfang an so gut, dass die Einnahmen [7][bereits nach | |
zwei Tagen die Produktionskosten] deckten. „Ich denke, es wird mehr solche | |
Spiele geben“, sagt Bareither. „Ich hoffe es.“ | |
Doch 11 Bit verweist nicht nur auf der Spielebene auf die Grausamkeit des | |
Krieges. Der Spielehersteller beteiligt sich an der Kampagne [8][„Real War | |
is not a Game“] der NGO [9][War Child]. Die Organisation hilft Kindern in | |
Kriegsgebieten. Ziel der Kampagne ist es, die Spieler von Kriegsspielen | |
daran zu erinnern, was Krieg für tatsächlich Betroffene bedeutet. | |
Auch Wargaming.net, der Hersteller des Kriegsspiels „World of Tanks“ ist | |
seit 2013 Teil der Kampagne. Auf seiner Webseite erklärt der | |
Spieleentwickler: „Bewaffnete Kriegsführung ist etwas, das unserer | |
Überzeugung nach auf den Computern und Konsolen der Leute stattfinden | |
sollte, und nicht in der echten Welt.“ | |
27 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.11bitstudios.com/games/16/this-war-of-mine | |
[2] http://store.steampowered.com/tag/en/Survival/?l=german#p=0&tab=NewRele… | |
[3] http://kotaku.com/the-making-of-a-very-different-kind-of-war-video-game-156… | |
[4] http://www.naturalnews.com/040249_bosnia_preppers_survival_strategies.html | |
[5] http://www.youtube.com/watch?v=b1QCNpCKR7M | |
[6] http://www.youtube.com/watch?v=Jms2l_u6Pmw | |
[7] http://www.vg247.com/2014/11/27/this-war-of-mine-recoups-development-budget… | |
[8] http://www.warchild.org.uk/content/real-war-not-game | |
[9] http://worldoftanks.eu/en/news/46/warchild-resume/ | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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