# taz.de -- Neues Spiel „Starships“: Sozialdemokraten im Dauerkrieg | |
> Ergeben im neuen PC- und Tablet-Spiel „Starships“ die Kämpfe um Dominanz | |
> im All einen Sinn? Ja – wenn man dazu einen marxistischen Historiker | |
> liest. | |
Bild: Hegemonie wird durch bewusstes politisches Handeln und politische Organis… | |
Dominanz bedeutet 51 Prozent. Wer im neuen digitalen Spiel „Starships“, | |
entwickelt von den [1][Machern der „Civilization“-Spielereihe], zuerst 51 | |
Prozent des verfügbaren Raums im All beherrscht, gewinnt das Spiel. 51 | |
Prozent – das ist interessant. Es geht nicht um die totale Kontrolle von | |
Territorien, wie sie Diktatoren und Autokraten oft anstreben. 51 Prozent | |
klingt mehr nach einer Spitzenposition bei Marktanteilen, nach Unternehmen, | |
die um Warenabsätze konkurrieren. | |
[2][In „Starships“ startet man] mit einem Heimatplaneten, von dem aus eine | |
Raumflotte aufbricht, um anfangs benachbarte, später auch weit entfernte | |
Planeten und Planetensysteme zu erobern. Dafür müssen Aufgaben gelöst | |
werden, sei es ein Raumflottengefecht zu gewinnen, sei es unter Beschuss | |
Siedler von Ort X nach Ort Y zu bringen, sei es ein anderes Raumschiff | |
abzufangen. | |
Wenn Aufträge erledigt werden, wächst der Einfluss im entsprechenden Teil | |
des Alls; Planeten, Bewohner und Ressourcen werden dem eigenen Reich | |
hinzugefügt. Andere Spieler machen dasselbe und eine kleine Anzeige weist | |
stets aus, wer gerade wie viel des Weltraums dominiert. Auch | |
Verwaltungsaufgaben fallen an: Planeten sollen ausgebaut und | |
weiterentwickelt, die Sternenflotte muss modernisiert und die Bevölkerung | |
will zufriedengestellt werden. | |
Spätestens ab 25 Prozent Dominanz tritt das Spiel in die nächste Phase ein | |
und zur Erledigung der Aufträge gesellt sich mindestens ein munterer Krieg | |
mit der Konkurrenz, der selten endet, bevor ein Spieler jene 51 Prozent | |
Einfluss erreicht hat, die zum Sieg führen. | |
## Die „Verwaltung von Dingen“ | |
Marktanteile, Konkurrenzbeobachtung und ein Auftragsbuch, das abgearbeitet | |
werden will – man sieht, der Kapitalismus ist schon im All, bevor das erste | |
Raumschiff startet. Dominanz bzw. Einflussnahme, Verwaltung und Krieg – man | |
begreift, dass der Nationalstaat, der sich im Spiel als Reich, Empire oder | |
Dominion ausgibt und doch nur ein plumper Nationalstaat (mit oder ohne | |
Staatenbündnis) ist, dem Spieler stets einen Schritt vorauseilt. | |
Wo Kapitalismus und Nationalstaat aufeinandertreffen, sind wir im Spiel und | |
in der politischen Gegenwart zugleich. In der Realität haben sich | |
kapitalistische und nationalstaatliche Interessen bis zur Unkenntlichkeit | |
überlagert und vermischt. In „Starships“ ist es ebenso. Ein genauerer Blick | |
ins Spiel könnte lohnen, um zu erkennen, was wo wann und wie gemeinsam | |
auftritt und was sich trennen lässt zum Zweck analytischer Kritik, einer | |
Voraussetzung für praktische Kritik. | |
Hier kommt der britische Marxist und Historiker Eric Hobsbawm ins Spiel. | |
Hobsbawms Gesamtwerk ist geprägt von einem spezifischen Ansatz, der das | |
Wirken der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Staaten im Weltganzen | |
untersucht. Hobsbawm trat lange als solider Historiker in Erscheinung, | |
geschichtsphilosophische Ausführungen waren selten – bis 2011, ein Jahr vor | |
seinem Tod, sein Buch „How to Change the World: Tales of Marx and Marxism“ | |
erschien. | |
Hobsbawm wendet sich darin dem Frühwerk von Karl Marx und Friedrich Engels | |
zu, um näher zu bestimmen, wie die Arbeiterbewegungen die Welt in den | |
vergangenen 150 Jahren beeinflusst haben und was heute von ihnen übrig ist. | |
Damit landet er ganz nebenbei auch in „Starships“. | |
## Gramscis Hegemonie im All | |
Denn auf den ersten Blick scheint dort, wie so oft in Spielen von Sid | |
Meier, ein Satz von Marx und Engels zur spielerischen Realität geworden zu | |
sein: Die „Verwaltung von Dingen“ tritt zeitweise an die Stelle der | |
„Regierung über Menschen“. Der Spieler verteilt Ressourcen wie Geld, | |
Energie, Material, Wissen und Kultur auf Städte, Regionen, Planeten. Auch | |
Arbeit ist nur eine Ressource, die verwaltet wird. | |
Engels hingegen bezog sich mit diesem Satz auf Henri de Saint-Simon und | |
schloss, dass nach dem Ende der „Regierung über Menschen“ auch die Politik | |
in der Ökonomie aufgehen könne, was wiederum die Abschaffung des Staates | |
möglich mache. Arbeit ist dabei keine Ressource, sondern die Grundlage | |
eines Selbstverständnisses, das zur Veränderung drängt: „Die Menschen | |
machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien | |
Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar | |
vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (Karl Marx). | |
Die überlieferten Umstände in „Starships“ drängen auf Expansion, auf die | |
Veränderung von Besitz- und Machtverhältnissen im All. Ein Auftrag wird | |
abgearbeitet, die Hegemonie im Raum wird größer. Hobsbawm wendet sich von | |
Marx und Engels ab und dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci zu: | |
„Gramscis Hauptbeitrag zum Marxismus“ bestehe darin, „als einer der ersten | |
eine marxistische Theorie der Politik vorgelegt zu haben.“ | |
Marx und Engels seien ohne eine Theorie der Politik ausgekommen, sie | |
zeigten dass „Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu | |
begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des | |
menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen | |
Lebensverhältnissen wurzeln“. Die materiellen Lebensverhältnisse und damit | |
auch die „Rechtsverhältnisse wie Staatsformen“ in „Starships“ wandeln … | |
rasch. Was eben noch klein und eigenständig war, wird von einem der | |
wachsenden Spielerreiche geschluckt. | |
„Neu bei Gramsi ist die Beobachtung, dass auch die (...) Hegemonie nicht | |
automatisch gegeben ist, sondern durch bewusstes politisches Handeln und | |
politische Organisation erlangt wird“, analysiert Hobsbawm. Spätestens hier | |
zeigt sich, dass die „Verwaltung von Dingen“ in den Spielen Sid Meiers | |
tatsächlich nur auf den ersten Blick existiert. Von der Konkurrenz | |
getrieben, wird die „Verwaltung von Dingen“ rasch dem Interesse | |
unterworfen, das eigene Reich zu vergrößern und sich dabei so zu | |
organisieren, dass dieses politische Ziel erreicht werden kann. | |
## Der Spieler als Staat | |
Marx und Engels, meint Hobsbawm, „kritisierten durchweg die Auffassung, der | |
Staat stehe über den Klassen, vertrete das gemeinsame Interesse der | |
gesamten Gesellschaft (...) oder sei den Klassen gegenüber neutral.“ Der | |
Spieler in „Starships“ schlüpft unfreiwillig in die Rolle des Staates und | |
landet gleichzeitig in der politischen Gegenwart des Jahres 2015. Der | |
Klassenantagonismus existiert nur noch in verkümmerter Form. Hobsbawm | |
resümiert: „In den reichen Ländern des alten Kapitalismus gibt es die | |
Arbeiterbewegungen noch immer, wobei sie ihre Stärke jedoch aus dem | |
öffentlichen Dienst beziehen.“ | |
So gesehen ist es egal, welche „Affinität“ in „Starships“ gewählt wir… | |
bevor das Spiel startet. Egal ob „Reinheit“, „Vorherrschaft“ oder | |
„Harmonie“ – [3][alle drei „Affinitäten“ wurden aus Civilization: Be… | |
Earth“ übernommen] –, im Grunde agiert der Spieler als staatlicher | |
Herrscher und sozialdemokratischer Beamter in einem. Er hat die 51 Prozent | |
zu erreichen und dabei, in den Worten Hobsbawms, „das Sozialprodukt unter | |
der Bevölkerung zu verteilen, und zwar unter menschlichen Bedingungen, und | |
diejenigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, die vom Markt nicht zu | |
erfüllen sind.“ | |
Wo aber der zum Spieler gewordene öffentliche Dienst sein Ziel ohne | |
Laserkanonen, Alltorpedos und Stealth-Technologien nicht erreichen wird, | |
bleibt „die Politik eine notwendige Dimension des Kampfes um | |
gesellschaftliche Verbesserungen“ (Hobsbawm). Anders gesagt: „Starships“ | |
ist ein schlichtes, kurzweiliges Spielchen, das Zeit zum Lesen lässt. | |
29 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Videospiele-mit-philosophischem-Anspuch/!133820/ | |
[2] http://www.2k.com/games/sid-meiers-starships | |
[3] /PC-Spiel-Civilization-Beyond-Earth/!149312/ | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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