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# taz.de -- Akif Pirinçcis „Deutschland von Sinnen“: Ein nützlicher Idiot
> Akif Pirinçci pöbelt in seiner Hassschrift gegen das „Gutmenschentum“ u…
> erreicht Bestsellerstatus. Im Hintergrund mischt die rechte Szene mit.
Bild: Vom Krimi-Autor zur männlichen Eva Herman: Akif Pirinçci.
Übt der deutsche Buchhandel Zensur aus? Der Verleger Thomas Hoof zumindest
[1][klagt auf der Website buchreport.de darüber], dass der
Sortimentsbuchhandel einen seiner Titel ignoriere, obschon man Anzeigen in
den Fachblättern geschaltet habe. In diesem Zuge prognostiziert Hoof
sogleich unverhohlen den Tod des Buchhandels durch den Versandbuchhändler
Amazon. Das tut er, da sich das Buch „Deutschland von Sinnen“ von Akif
Pirinçci, das in einem von Hoofs Verlagen erschienen ist, bei Amazon gerade
auf Platz eins der Verkaufsliste befindet.
Akif Pirinçci hatte in den 80er und 90er Jahren einigen Erfolg mit den
„Felidae“-Krimis, das hat ihn wohlhabend gemacht. Nun muss er hohe Steuern
zahlen. Und vor einiger Zeit hat ihn dann auch noch seine Gefährtin
verlassen, die Mutter eines gemeinsamen Kindes, wie er in seinem Buch
berichtet, für einen anderen Mann.
Beides ließ Pirinçcis Blut kochen; das Ergebnis seiner Wut ist nun ein
„Sachbuch“, das sich wenig für eine Sache interessiert, dafür aber an
seiner Wut entzückt: „Nicht Künstler, große Denker und Visionäre geben
heutzutage im Kulturleben und im Feuilleton in Wahrheit den Ton an, sondern
irgendwelche Lesben auf Gender-Mainstreaming-Lehrstühlen, Gleichstellungs-
und Antidiskrimierungsbeauftragte, Organisationen wie Pro Asyl oder
Flüchtlingsräte, Solar- und Windenergiebarone, Greenpeace & Co.,
Professoren für Soziologie und bestellte Gutachter für die Migranten- und
Wohlfahrtsindustrie (Armenbericht, Kriminalität von Ausländern etc.),
Umweltverbände, stramme Kommunisten von den Linken, eine
staatsfetischistische Justitia, faschistoide Zusammenrottungen wie die
Antifa, schlussendlich ein vor allem von den Grünen im Laufe von dreißig
Jahren installiertes Gutmenschentum, dessen Fundament aus nichts als Lügen
besteht.“
In diesem Satz hat er beinahe alle seine Feinde aufgezählt, die er auf mehr
als 250 Seiten als „aggressive Lesben“, den „verschwulten Mann“, als
„Kindersexpartei“ oder „Scheißanstalt“ identifiziert und mit allerlei
unflätigen Wörtern bedenkt, da sie allesamt sein Geld in Form von Steuern
wegfressen und ihm die Frau abspenstig gemacht haben. Bereits im Untertitel
des Buches, „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“, steht
eigentlich alles, was das Buch dann nur variiert.
## Ein Buch macht Politik
Das Buch scheint sich nun zu einem Bestseller zu entwickeln, was nicht
allein damit zu erklären ist, dass Akif Pirinçci ja bereits zuvor
Bestseller vorgelegt hat. Dass Pirinçci kein gebürtiger Deutscher ist und
deutschnational denkt, mag für manche erstaunlich sein, den Erfolg erklärt
es nicht. Auch kann dieser kaum damit erklärt werden, dass jemand dieses
Geholze und Gebolze wirklich ernst nimmt.
Es dient jedoch dazu, Politik zu veranstalten und mit dieser Veranstaltung
indirekt politisch zu wirken. Thomas Hoof nämlich, der Verlagsinhaber, ist
kein verwirrter Kleinverleger, sondern ein reicher Mann. Der ehemalige
Landesgeschäftsführer der NRW-Grünen gründete 1989 das Versandhaus
Manufactum („Es gibt sie noch, die schönen Dinge“), das er 2007 vollständ…
an die Otto-Gruppe verkaufte, er betätigt sich in der Land- und
Forstwirtschaft und betreibt die Manuscriptum-Verlagsgruppe.
In deren Imprint mit dem umständlichen Namen Lichtschlag in der Edition
Sonderwege hat Pirinçci dann gleich zwei Verlagsleiter – André F.
Lichtschlag, der zudem das rechtslibertäre Magazin Eigentümlich Frei
herausgibt, und den Publizisten Andreas Lombard. Beiden wurde von der
rechten Wochenzeitung Junge Freiheit der Gerhard-Löwenthal-Preis verliehen.
Lichtschlag und Lombard kämpfen seit Längerem gegen die Schwulenehe, gegen
Steuern, gegen Gender-Mainstreaming, und derartige Bücher finden sich –
neben Titeln von Ernst Nolte und Frank Böckelmann – beinahe ausschließlich
im Programm der Manuscriptum-Verlagsgruppe. Es ist ein unappetitliches
Gebräu aus Ressentiments, und dem Männerrechtler Hoof gefällt dies, wie er
in verschiedenen Beiträgen für rechte Magazine kundtut, sehr.
Doch der Erfolg des Buches kommt auch nicht allein dadurch zustande, dass
hier ein reicher Verleger seine neurechten Freunde zum Kauf bewegt hat.
Auch die von Pirinçci so gescholtenen Medien spielen eine fatale Rolle.
[2][Die ZDF-Moderatorin Susanne Conrad etwa lächelte die ganze Zeit, als
ihr Studiogast Pirinçci seine Hassreden führte], nannte seine Ausfälle
interessant und bewarb das Buch als „das wahrscheinlich politisch
unkorrekteste Buch des Jahres“.
[3][In der aktuellen Zeit hingegen nimmt Ijoma Mangold das Buch mit Ruhe
auseinander], um dann unnötigerweise zu schreiben: „In seiner Mischung aus
Brutalität und Heulerei erinnert das Buch – ich schwöre, ich habe noch nie
einen Hitler-Vergleich gezogen in meinem Berufsleben – an Adolf Hitlers
‘Mein Kampf‘.“ Just solche Überreaktionen übrigens hatten Pirinçci und…
schon vor der Publikation vorhergesagt.
[4][In der Süddeutschen Zeitung überraschte Marc Felix Serrao dagegen mit
der Aussage]: „Wer Pirinçcis Buch liest und darin nicht nur nach heiklen
Stellen sucht, wird mehr als einmal zum Denken angeregt.“
## Inhaltsloser Kampf gegen die „Gutmenschen“
Das Problem ist: Jeder Kampf gegen das „Gutmenschentum“ gilt heute bereits
als Wert an sich. Wie gesagt, hier wird Politik veranstaltet, und
politische Topoi werden mit Unmut und Gefühlen verrührt. Unmittelbare
politische Konsequenzen können und wollen Hasssprecher wie Pirinçci
allerdings nicht ziehen: Sie fordern weniger Steuern oder mehr Integration,
und alle, die anderes meinen als sie, sollen „die Fresse halten“.
Ihre Veranstaltung aber hat Konsequenzen – denn sie begeistert viele
Unzufriedene, die auch von der Moderne überfordert oder von ihrer
Männlichkeit enttäuscht sind, die glauben, dass die Veranstaltung der
politischen Realität entspreche. Populisten können sie dann abholen. Und
Leute, die sich mit Büchern wie „Deutschland von Sinnen“ beschäftigen,
müssen sich daher genauer positionieren, um nicht nur das Unflätige zu
betonen und das Bedenkenswerte gegen die von ihnen herbeigeredete Hitlerei
abzuwägen.
Sie müssen sagen: Hier haben politisch erfahrene Rechte einen nützlichen
Idioten gedungen, der in ihrem Sinne wirkt.
8 Apr 2014
## LINKS
[1] http://www.buchreport.de/nachrichten/bestseller/bestseller_nachricht/datum/…
[2] http://www.youtube.com/watch?v=swz1AH9U05E
[3] http://www.zeit.de/2014/15/pirincci-deutschland-von-sinnen
[4] http://www.sueddeutsche.de/kultur/schriftsteller-akif-pirinci-liebe-landsle…
## AUTOREN
Jörg Sundermeier
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