| # taz.de -- Dramatikerin über Moldau und Europa: „Absolut kein Anlass zur Ho… | |
| > Die Dramatikerin Nicoleta Esinencu sieht die europäische Perspektive | |
| > ihrer Heimat pessimistisch. Den Glauben an Veränderung hat sie | |
| > aufgegeben. | |
| Bild: EU-Flaggen als Symbol der Hoffnung bei einer Kundgebung in Chisinau im No… | |
| taz: Frau Esinencu, woran denken Sie, wenn Sie „Europa“ hören? | |
| Nicoleta Esinencu: Oh. Das ist kompliziert, und es wird momentan sehr | |
| überlagert davon, was in der Region passiert. Die Politiker spielen sehr | |
| gern das Europa-Spiel – nach dem Motto: Natürlich sind wir Europäer; seht | |
| uns doch an! Aber es reicht nicht, sich ein Kostüm anzuziehen, um etwas zu | |
| sein, das man sein will. Von den europäischen Politikern, die nach Moldau | |
| kommen, habe ich denselben Eindruck. Sie spielen das Spiel unter | |
| umgekehrten Vorzeichen, reden von Reformen und Entwicklung und tätscheln | |
| dem Land wie einem gut erzogenen Kind das Köpfchen. Aber in der Realität | |
| sehe ich absolut keinen Anlass zur Hoffnung. | |
| Hoffnung worauf? | |
| Auf welche Art von Veränderung auch immer. | |
| Auch darauf, dass Moldau eines Tages Teil der EU sein könnte? | |
| Natürlich träumen wir davon. Aber wenn man sieht, was in Griechenland und | |
| anderen Ländern passiert, kann ich mir nicht vorstellen, dass Europa sich | |
| noch mehr Probleme leisten kann. Und auf unsere Politiker ist kein Verlass. | |
| An einem Tag schwingen sie große Reden über Demokratie, und am nächsten | |
| verbieten sie die Gay Pride Parade. | |
| Können Sie frei arbeiten? | |
| Ja, aber wir werden auch nicht unterstützt. Unsere Arbeit findet völlig | |
| abseits jeder staatlichen Kanäle statt. | |
| Und können Sie Ihre Stücke veröffentlichen? | |
| Kein einziges ist veröffentlicht. Die Leute können kommen und sehen sich | |
| meine Performances an. Aber sie können nicht in die Buchhandlung gehen und | |
| meine Texte kaufen. | |
| Und in Rumänien? | |
| In Rumänien ist ein bisschen etwas herausgekommen. | |
| Ihr Stück „Fuck you, Eu.ro.Pa!“ ist in mehrere europäische Srachen | |
| übersetzt | |
| Ja, in über zehn Sprachen. | |
| Sind Sie im Ausland bekannter als in Ihrem eigenen Land? | |
| Bekannt? Ach was. Es gab eine Zeit, in der ich ziemlich viel gereist bin, | |
| Stipendien hatte und Projekte in anderen Ländern. Aber ich hatte irgendwann | |
| das Gefühl, ich sollte wieder mehr zu Hause arbeiten. Und so habe ich | |
| begonnen, die kleine Bühne aufzubauen, auf der jetzt meine Performances | |
| stattfinden. | |
| Performances, bei denen Sie selbst auftreten? | |
| Nein, ich arbeite mit Schauspielern. Ich führe Regie und schreibe die | |
| Texte. Wir sind eine kleine Gruppe. Natürlich müssen wir für unseren | |
| Aufführungsort Miete zahlen und auch sonst alles selbst organisieren. | |
| Irgendwie kriegen wir es hin. | |
| Ihre Texte sind sehr zornig. Brauchen Sie die harsche Umgebung der | |
| moldauischen Realität, um so schreiben zu können? | |
| Absolut nicht. Ich denke, die Realität hat überall genügend dunkle Seiten, | |
| um darüber schreiben zu können. Ich denke nicht an Moldau, wenn ich | |
| schreibe. | |
| Woran arbeiten Sie gerade? | |
| Es geht um eine reale Geschichte, die ich von einer jungen Schauspielerin | |
| gehört habe. Eine junge Frau hat den Traum, nach Amerika zu gehen, und | |
| braucht dafür 3.000 Dollar. Um das Geld aufzutreiben, geht sie nach Moskau. | |
| Viele Moldauer machen das. Sie arbeiten dort auf Baustellen, meistens | |
| werden sie ausgebeutet, oft werden sie gar nicht bezahlt. Am Ende aber | |
| bekommt die junge Frau das Geld und fliegt nach Amerika. Verrückt: Willst | |
| du nach Amerika, musst du zuerst nach Russland! | |
| Wäre das Schreiben einfacher, wenn Sie für längere Zeit ins Ausland gingen? | |
| Ich habe das Gefühl, es ist wichtig, da zu sein, in meinem Land. Es gibt so | |
| viele Themen, über die wir sprechen müssen, Dinge, die bei uns noch nie | |
| wirklich angesprochen wurden. Den Holocaust zum Beispiel. Oder was es | |
| bedeutet, homosexuell zu sein. In Moldau geht das eigentlich gar nicht. Die | |
| Leute werden zusammengeschlagen, verfemt, von ihren Familien verstoßen. Wer | |
| sich traut, sich zu outen, ist geradezu ein Held. | |
| Was passiert, wenn Sie dieses Thema verarbeiten, wenn ein bildender | |
| Künstler sich damit beschäftigt? Könnte man diese Bilder ausstellen? | |
| Zensur gibt es nicht. Es gibt wahrscheinlich eine gewisse Kontrolle der | |
| staatlichen Bühnen. Wir anderen können machen, was wir wollen. Das ist aber | |
| kein Zeichen der Toleranz, sondern der Ignoranz. | |
| Moldau grenzt an die Ukraine. Sind die Ereignisse dort spürbar bei Ihnen? | |
| Odessa ist nur 200 Kilometer von Chisinau entfernt. Niemand versteht so | |
| richtig, was dort passiert. Die Spannungen zwischen Rumänen, Moldauern und | |
| Russen nehmen zu. Dieser Nationalismus ist auch etwas, worüber nie wirklich | |
| gesprochen wurde. Es gab nach dem Zerfall der Sowjetunion antirussische | |
| Demonstrationen. Viele Russischsprechende haben damals aus Angst das Land | |
| verlassen. | |
| Wie würden Sie Ihre eigene kulturelle Identität beschreiben? | |
| Die ist mir inzwischen egal. Rumänisch ist meine Muttersprache. Aber es ist | |
| nur eine Sprache. | |
| 10 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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