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# taz.de -- Republik Moldau: Die EU entzweit das Land
> Die Unterzeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens stößt auf Zustimmung
> und Ablehnung. Gegner fürchten um die guten Beziehungen zu Russland.
Bild: Protestsuchbild in Chisinau. Finden Sie das US-Fähnchen.
CHISINAU taz | „Referendum“, rufen rund 300 Anhänger der Sozialistischen
Partei vor dem Regierungsgebäude im Zentrum der moldauischen Hauptstadt
Chisinau. Die meisten der Demonstranten sind Jugendliche, viele von ihnen
tragen eine rote sozialistische Fahne und ein Porträt von Che Guevara auf
dem T-Shirt. Die Protestaktion richtet sich gegen die Unterzeichnung eines
EU-Assoziierungsabkommens mit der Republik Moldau, die am Freitag erfolgen
soll.
„Das ist eine Gefangenschaft ohne Blutvergießen“, schimpft ein 50-jähriger
Moldauer. Mit den Sozialisten habe er eigentlich nie etwas zu tun haben
wollen, so der in der Landwirtschaft tätige Mann. Doch jetzt, mit der
geplanten EU-Assoziierung habe er Angst um seine berufliche Existenz. „Die
Regierung weiß genau, dass das Volk sie beim Abkommen mit der EU nicht
unterstützt, sie fürchtet ein Referendum.“
Die Republik Moldau solle sich lieber für die Zollunion mit Kasachstan,
Weißrussland und Russland entscheiden. Da wisse man, was man habe:
Absatzmärkte für die eigenen landwirtschaftlichen Produkte, Öl, Gas und
Sicherheit für die vielen moldawischen Arbeitsmigranten in Russland. „Und
wenn wir in Europa sind, müssen wir alles europakompatibel machen. Und wer
bezahlt das? Wir haben das für die Umstellung notwendige Geld nicht“, sagt
der Mann.
Moldaus Bevölkerung ist gespalten in Anhänger eines Assoziierungsabkommens
mit der EU und diejenigen, die sich Wohlstand nur von einer stärkeren
Annäherung an Russland versprechen. Auch auf den Straßen ist die Spaltung
sichtbar. Manche Autos schmücken sich mit moldauischen und europäischen
Fahnen, andere Autos haben demonstrativ das St.-Georgs-Bändchen auf dem
Armaturenbrett. Das Bändchen ist seit Anfang des Jahres Erkennungszeichen
der prorussischen Demonstranten in der Ostukraine.
Zu den Befürwortern des Assoziierungsabkommens gehört auch Adrian Lupusor,
Direktor des Thinktanks „Expert Group“. Nur durch eine enge Anbindung an
die Europäische Union, so Lupusor, werde es der Republik Moldau gelingen,
rechtsstaatliche Normen umzusetzen und die Korruption auszumerzen. Und das
sei die Grundlage einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Wolle man
Investoren finden, müsse man Eigentümern Rechtssicherheit garantieren.
## Unmut aus Moskau
Schon lange sei die EU, in die 50 Prozent der Exporte gingen,
Haupthandelspartner der Republik Moldau. Der Handel mit Russland mache nur
halb so viel aus. Die Gegner des Assoziierungsabkommens wollten nicht die
guten Beziehungen zu Russland gegen Versprechungen der EU eintauschen. Mit
der EU könne man ja weiterhin, auch ohne ein Assoziierungsabkommen, Handel
treiben.
„Ich hatte in drei Tagen nur zwei Fahrgäste“ schimpft der Taxifahrer in
Komrat, Hauptstadt der Autonomen Republik Gagausien. „Letztes Jahr hatten
wir noch viele Touristen aus Russland hier. Heute kommt keiner mehr. Die
Russen haben Angst, sie könnten hier genauso angefeindet werden wie in der
Ukraine. Es ist eine Katastrophe, was die Regierung in Chisinau mit der
Europäischen Union macht. Das isoliert uns von Russland. Von dort bekommen
wir Öl und Gas, von der Europäischen Union nur Versprechungen“, sagt er.
Zu den bekanntesten Gegnern des Assoziierungsabkommens mit der EU gehört
die frühere stellvertretende Wirtschaftsministerin Elena Gorelova. Die
Wirtschaft des Landes liege am Boden, die Waren könnten nicht mit den
qualitativ besseren und preiswerteren Waren der EU konkurrieren. Wenn die
Republik Moldau nun mit Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens seinen
Markt für die EU öffne, seien die moldauische Landwirtschaft und
Nahrungsmittelindustrie existenziell bedroht. „Bei einem schlechten
Binnenmarkt und schlechter Produktivität darf man den Markt nicht öffnen.“
Gorelova geht davon aus, dass Kasachstan, Russland und Weißrussland nach
der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens die zollfreie Einfuhr von
moldauischen Exporten gänzlich unterbinden werden. Man könne ja nicht
erwarten, dass Russland zulasse, dass Lebensmittel aus Frankreich über die
Republik Moldau zollfrei nach Russland gelangten.
In einem Punkt sind sich Befürworter und Gegner des Assoziierungsabkommens
einig: Die Unterzeichnung schmeckt Russland nicht. Und Moskau hat viele
Möglichkeiten, seinen Unmut zu äußern. 20 Prozent der Bevölkerung Moldaus
arbeiten in Russland. Würde Moskau diese Arbeitsmigranten unter Druck
setzen, wäre das ein Schlag für die gesamte moldauische Wirtschaft, die
stark von den in Russland erwirtschafteten Löhnen abhängt. Und Russland
könnte den Gashahn zudrehen oder bestimmte Produkte Moldaus mit einem
Embargo belegen. Bereits jetzt gibt es ein Teilembargo gegen moldauischen
Wein.
26 Jun 2014
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Moldau
EU-Assoziierungsabkommen
EU
Russland
Ukraine
Republik Moldau
Transnistrien
EU
Republik Moldau
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