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# taz.de -- Streiks in Brasilien: Das Volk spielt nicht mehr mit
> Einen Monat vor der WM befinden sich in Brasilien etliche Berufsgruppen
> im Arbeitskampf. Sie fordern mit Streiks ihren Anteil vom Profit mit dem
> Ball.
Bild: Gutes Gelegenheitsfenster, großes Erpressungspotenzial: Kurz vor der WM …
RIO DE JANEIRO taz | Ach, wenn es nur Leidenschaft wäre. Aber Claudio
Santos kann gar nicht anders. Jeden morgen sitzt der 57-jährige Mann mit
dem stets gekämmten weißen Haar in seiner blauen Baumwolluniform anderthalb
Stunden im Bus, um zur Arbeit zu kommen. Dreimal muss er dazu umsteigen.
Und seine Arbeit, das ist dann wieder: der Bus. Tag um Tag manövriert der
„Rodoviário“ stundenlang Busse durch den rauen Verkehr in Rio de Janeiro.
Meistens fährt er dabei durch Viertel, in denen er sich niemals die Miete
leisten könnte. Jetzt hat Claudio Santos genug.
Er und Tausende Busfahrer legten am Dienstag und Mittwoch in Rio de Janeiro
die Arbeit nieder, um für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu
kämpfen. Bei der ohnehin angespannten Verkehrslage in der Stadt ist der
Busfahrerstreik derzeit das Gesprächsthema Nummer eins unter den
„Cariocas“, wie die Einwohner in der Metropole am Zuckerhut genannt werden.
Die Busfahrer, von denen viele umgerechnet gerade einmal rund 640 Euro
verdienen, verlangen eine Lohnerhöhung von 40 Prozent. Wie es mit dem
Busfahrerstreik in den kommenden Wochen weitergeht, ist auch deshalb schwer
einzuschätzen, weil nicht nur die Gewerkschaften die Auseinandersetzung
führen, sondern auch mächtige Dissidentengruppen, die ihre eigenen
Vorstellungen haben – und umsetzen. Das könnte auch ein Grund dafür sein,
warum bei den Busfahrerstreiks in den letzten zwei Wochen nach
Medienberichten bereits über 700 Busse demoliert oder angezündet wurden.
## Wettlauf um die nächste Lohnerhöhung
Das Markante: Die Busfahrer sind nur eine der Berufsgruppen, die sich
derzeit im Arbeitskampf befinden. Es ist, als habe in Brasilien einen Monat
vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft ein Wettlauf um die nächste
Lohnerhöhung begonnen. Das Gelegenheitsfenster ist gut und das
Erpressungspotenzial groß: Weil Brasiliens Image im Vorfeld der WM ohnehin
bereits enorm gelitten hat, hoffen viele ArbeiterInnen auf ein
Entgegenkommen – oder soll das Turnier etwa wirklich zum Fiasko werden?
Die Unzufriedenheit in der brasilianischen Bevölkerung ist unübersehbar.
Der Regierung ist es nicht gelungen, zu erklären, was sich für die
brasilianischen Arbeiterinnen und Arbeiter durch die WM zum Guten wendet.
Sie sehen vor allem Preiserhöhungen und ein marodes Gesundheits- und
Schulsystem.
Das führt dazu, dass selbst Botschaftsangehörige in den brasilianischen
Vertretungen ihre Arbeit ruhen ließen und bekannt gaben, dass derzeit eben
weniger Visa ausgestellt werden. Die Botschaft aus den Botschaften: „Mehr
Geld für uns Staatsbedienstete – oder weniger WM-Touristen.“
## Lehrer, Ingenieure, Architekten
In Rio de Janeiro, wo gigantische Bauprojekte für die WM nicht rechtzeitig
fertig geworden sind, traten in dieser Woche nicht nur Lehrer in den
Streik, sondern auch diejenigen, die für diese Bauprojekte unter anderem
zuständig sind: Ingenieure, Architekten und Geologen, die für die
Stadtverwaltung arbeiten. Ihr Streik sollte zunächst bis Donnerstag dauern.
Auch einige Museen sind geschlossen. Grund: Streik. Noch jemanden
vergessen? Ach ja: die Bankangestellten.
Zuvor hatten bereits Polizisten in zahlreichen WM-Städten demonstriert. Die
Polizeigewerkschaft drohte mit einer klaren Maßnahme: Sollte sich bis zur
WM nichts an der Bezahlung ändern, würden die Polizisten auch während der
Spiele in den Ausstand treten.
Die Regierung nimmt die Drohungen ernst und hat in allen
WM-Austragungsorten eine Reserve von mehreren tausend Soldaten eingeplant,
die im Zweifel einspringen können. Nach allem was man so hört, gibt es da
wohl noch keine Streikpläne.
15 May 2014
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Brasilien
WM 2014
Streik
Fußball-WM 2014
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Geiselnahme
Brasilien
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Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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Polizei
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