# taz.de -- Flüchtlinge in Berlin: Blitzregistrierung verblüfft Bezirk | |
> Beim Umgang mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz und der besetzten | |
> Schule hält der Senat viele Zusagen nicht ein. | |
Bild: Der Berliner Senat tut sich mit der Übernahme von Verantwortung für die… | |
BERLIN taz | Der Senat betrachtet die weitere Registrierung von | |
Flüchtlingen aus der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule seit Freitag als | |
beendet, teilte Senatssprecher Richard Meng am Dienstag mit. Nur 12 der | |
SchulbewohnerInnen haben sich laut Meng allerdings bisher registrieren | |
lassen. | |
Und nur für die soll dem Senatssprecher zufolge nun die im März zwischen | |
Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Flüchtlingsvertretern | |
getroffene Vereinbarung gelten. Für die übrigen, nicht registrierten | |
Flüchtlinge in der Schule sieht Meng nun nicht mehr den Senat am Zug: „Im | |
Fahrersitz bleibt der Bezirk“, so der Senatssprecher. | |
Insgesamt hätten sich damit von den 464 Personen, die auf einer von den | |
Flüchtlingen selbst zusammengestellten Liste stehen, 265 vom Senat | |
registrieren lassen, so Meng. Die Registrierung verhilft den Flüchtlingen | |
dazu, die zwischen ihnen und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) | |
getroffenen Regelungen wie Unterbringung, Fallprüfungen und Abschiebeschutz | |
in Anspruch zu nehmen. | |
Der Bezirk reagierte überrascht auf die neuen Entwicklungen und die | |
Perspektive der Senatsseite: „Wir haben immer darauf gewartet, dass die | |
Registrierung in der Schule anfängt – und nun ist sie plötzlich schon | |
vorbei“, wundert sich Sascha Langenbach, Sprecher der grünen | |
Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann. Es sei allen | |
Beteiligten bekannt gewesen, dass etwa 200 der auf der Liste verzeichneten | |
Flüchtlinge in der Schule lebten, sagt Langenbach. Dass die Verantwortung | |
des Senats auch für diese gelte, habe bisher nie in Zweifel gestanden. | |
Doch auch für die bereits registrierten Flüchtlinge sind die mit dem Senat | |
verhandelten Angebote bislang Makulatur. Rund sieben Wochen nach Räumung | |
des Oranienplatzes bleibt der Senat den größten Teil seiner Zusagen | |
schuldig. Eingehalten wurde, dass die registrierten ehemaligen Bewohner des | |
Oranienplatzes ein Bett in einem Asylbewerberheim sowie 362 Euro monatliche | |
Sozialhilfe erhalten. | |
## Strafverfahren wegen illegalen Aufenthalts | |
Doch die in der Einigung zwischen Flüchtlingen und Senat versprochene | |
Einzelfallprüfung der rechtlichen Situation der Registrierten stockt. Seit | |
April arbeiten 15 FlüchtlingsberaterInnen bei Diakonie und Caritas für die | |
von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) zugesagte Einzelfallberatung. | |
Katharina Müller ist eine von ihnen. „Mit der aufenthaltsrechtlichen | |
Beratung konnten wir immer noch nicht beginnen, weil der Senat zuvor noch | |
viel politisch klären muss,“ sagte die Diakoniemitarbeiterin. | |
Beispielsweise, ob Berlin bereit ist, Asylbewerber, deren Verfahren bisher | |
in anderen Bundesländern liefen, hierher umzuverteilen. | |
Auch die Zusage von Kolat, Abschiebungen bis zum Abschluss der erneuten | |
aufenthaltsrechtlichen Prüfung auszusetzen, steht auf unsicherem Boden. | |
Andere Bundesländer und der Bund halten sich offenbar nicht daran. Ein Mann | |
sitzt nach Darstellung der Grünen Bayram bereits in Sachsen-Anhalt in | |
Abschiebehaft, obwohl er sich als ehemaliger Oranienplatzbewohner ausweisen | |
konnte. „Die Zusage von Kolat scheint in Sachsen-Anhalt nicht zu gelten“, | |
so Bayram. | |
Sie erzählt von einem weiteren Fall: „Zwei Männer sind in Berlin in eine | |
Kontrolle der Bundespolizei geraten. Sie haben sich mit der Chipkarte | |
ausgewiesen, die ihnen der Senat als ehemalige Oranienplatzbesetzer | |
ausgestellt hatte.“ Doch aus Sicht der Bundespolizei bedeutete diese | |
Chipkarte nicht Schutz, sondern im Gegenteil den Nachweis einer Straftat: | |
Denn die Männer waren Asylberechtigte in Italien und dürfen darum nur als | |
Kurzzeittouristen nach Deutschland kommen. | |
Durch die vom Land Berlin ausgestellte Chipkarte wurde klar, dass sie nicht | |
nur wenige Tage, sondern seit Monaten in Berlin sind. Die Folge: Sie haben | |
ein Strafverfahren wegen illegalen Aufenthalts. Kolats Sprecher Mathias | |
Gille will sich zu den Fällen nicht äußern, „weil das in unserem Haus | |
bisher nicht bekannt ist“. | |
Ein Flüchtling wurde nach Darstellung des linken Abgeordneten Hakan Tas von | |
der Berliner Ausländerbehörde aufgefordert, bis Ende Mai auszureisen. Tas: | |
„Andernfalls sollte ihm die Abschiebung drohen. Frau Kolat hat aber | |
erklärt, sie will sich darum kümmern, dass er bis Ende der | |
Einzelfallberatung bleiben darf.“ | |
## 300.000 Euro bereitgestellt | |
Auch die von Kolat zugesagten Deutschkurse haben noch nicht begonnen. Dabei | |
hat das Abgeordnetenhaus für dieses Kalenderjahr 300.000 Euro für solche | |
Kurse bereitgestellt. Kolat hat im Parlament erklärt, sie wolle das Geld | |
durch EU-Mittel verdoppeln und vorrangig den ehemaligen | |
Oranienplatzbewohnern Kurse anbieten. Allerdings sei man noch immer auf der | |
Suche nach einem Träger. | |
Das antwortete Kolat im Mai auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen. | |
Ohne aufenthaltsrechtliche Prüfung und deutsche Sprachkenntnisse sind auch | |
die von Kolat ebenfalls zugesagten Prüfungen erworbener beruflicher | |
Qualifikationen und Hilfen bei der Integration in den Arbeitsmarkt nur | |
Zukunftsmusik. Laut Kolats Sprecher Mathias Gille werde über die | |
Deutschkurse „in Kürze“ entschieden. | |
Die ehemaligen Oranienplatzbewohner sind bisher auch nicht | |
krankenversichert. „Das bedeutet, dass unser Arbeitsalltag meist aus | |
Notfallhilfe besteht“, sagt Diakoniemitarbeiterin Müller. Regelmäßig würd… | |
ihre Kolleginnen Flüchtlinge in die Notaufnahme von Krankenhäusern | |
begleiten. Nur dort und von ehrenamtlich tätigen Ärzten bekommen sie Hilfe. | |
Viele ehemalige Oranienplatzbewohner leiden an schweren Infektionen oder | |
verschleppten Erkrankungen. Für die jetzt vermehrt auftretenden | |
posttraumatischen Belastungsstörungen arbeiten zwar Fachärzte auch ohne | |
Krankenversicherung – aber dort fehlen Kapazitäten, so Müller. | |
Die Beraterinnen werden auch von Bewohnern der besetzten Schule aufgesucht, | |
die bisher aus allen Sozialleistungen herausfallen. Sie müssen sie an | |
Suppenküchen, ehrenamtlich tätige Ärzte und andere Beratungsstellen | |
weitervermitteln. | |
27 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
Stefan Alberti | |
Alke Wierth | |
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